Wie soll es passieren, dass aus den Vieren Sila wird? Somit wäre Sila kein Doppelwesen, sondern ein Viererwesen. Es wäre ja auch zu einfach, einfach zu schreiben, dass Ysil, Bela, Manola und Thygyrill, da sie ohnehin so feinstofflich wie Leuchtende Wesen sind, zu einem Körper verschmelzen und schon steht Sila da. Ist ja auch nicht so, dass aus Affen plötzlich Menschen geworden sind oder sie sich Jahrhunderte lang zu Menschen entwickelt haben. Es gibt keine Entwicklung, zumindest keine wirkliche. Es gibt nur Energie und Wahrnehmungs- oder Bewusstseinsblasen. Das ist das wahre Bild und gleichzeitig auch falsche Bild, denn es sollte keine derartigen Emanationen der Quelle geben. Im Grunde genommen, was die absolute Wahrheit betrifft, gibt es ohnehin nur die Quelle.
Wir verrennen uns da in etwas. Manola denkt dasselbe und Thygyrill ist im Begriff, sich aus dem Staub zu machen. Die Haushaltshilfe war heute nicht da und alle Möbel sind staubig. Man muss husten und niesen, wenn Staub in die Nase kommt. Schlimmer ist Zigarettenrauch. Kim hat auch geraucht. Es sah sehr aufreizend aus, wenn er die Zigarette lässig zwischen seinen sinnlichen Lippen hängen ließ.
Manola und Ysil sitzen auf einer weißen Bank im weißblühenden Garten und rauchen. In diesem Moment erscheint wieder die Menschenwelt. Ein anderes Bild folgt. Nichts anderes geschieht. Bild für Bild. Wie ein Film. Alles ist wie ein Film. Nur der Schluss steht noch nicht fest, obwohl er längst vorbei ist.
„Wir werden nicht vergehen“, meint Manola zwischen zwei heftigen Lungenzügen und denkt dabei: „Ach, wie lange ist es her, seit ich eine geraucht hab! Ist ja gar nicht mehr wahr!“
„Ich weiß“, antwortet Ysil. „Wir können nicht vergehen, weil wir der Projektor sind.“
„Das meine ich nicht damit. Ich meine es wortwörtlich. Wir bleiben. Jeder Moment unseres Seins, ob es nun wirklich ist oder nicht, bleibt erhalten. So hat es mir mein geliebter Daddy immer gesagt. Er sagte, ich muss keine Angst vor dem Tod haben, weil er etwas Wundervolles ist. Er sagte, wir fühlen uns wohl, wenn wir tief schlafen. Das ist reine Erholung. Und dann erwähnte er auch, dass die Franzosen zum Orgasmus kleiner Tod sagen. Im Moment des körperlich höchsten Gefühls vergisst du dich selbst und bist nur mehr Gefühl. Du bist der Ausdruck dessen, was du fühlst. Da ist nichts, was behindert und dreindenkt, wie es im Normalzustand der Fall ist. Das Dreindenken ist das Fürchterliche. Vor allem, wenn dir ein Ohrwurm summt und du die Melodie und wohl auch manche Worte nicht los werden kannst. Also, wenn der Tiefschlaf und der Orgasmus mit dem Tod vergleichbar ist, gibt es tatsächlich nichts zu fürchten.“
Ysil dämpft hustend ihre Zigarette aus, während Manola nach ihrer Rede mit der Glut der alten eine neue Zigarette anraucht.
„Du meinst, wir werden oder sind bereits Sila, nur nehmen wir das noch nicht wahr?“ fragt Ysil nach dem Hustenanfall.
„Du bist gut, wenn du das aus meinem kleinen Monolog heraus gehört hast. Ja, - so in der Art meine ich es wirklich. Wir sind bereits alles, weil wir nun mal sind. Es muss uns nur bewusst werden. Und schließlich werfen wir einmal alles weg, weil wir es nicht mehr brauchen, weil vielleicht etwas ganz Neues entsteht. Ich glaube, ohne Universum geht es nicht mehr – und wenn es sich tausend mal um Illusionen handelt.“
„Ich glaube, wir sind im Arsch, Manola“, krächzt Ysil und fächert mit den Händen Manolas Zigarettenrauch weg.
„Wieso?“
„Weil wir das, was wir wissen, nicht mehr ausdrücken können. Es ist etwas in uns, das nicht mehr raus kann, obwohl es raus soll. Frag deinen geliebten Daddy. Er wird dir dasselbe sagen. Die Föten hätten niemals schlüpfen sollen. Ich weiß nicht, ob du und Bela oder Thygyrill dasselbe gesehen haben, als das Meer uns umhüllte, aber ich weiß, dass die Föten zuerst da waren. Es machte 'Plopp' und ein Fötus war plötzlich da. Ein weiteres 'Plopp' und ein nächster Fötus erschien. So ging es eine ganze Weile. Aber ich kann nicht sagen, was es bedeutet. Mit Geburten hat es, meinem Gefühl nach, nichts zu tun. Eher mit Tod und zwar mit einem endgültigen Tod.“
„Du bist so pessimistisch, Ysil. Das warst du schon immer. Keine Lebenslust. Alles war, ach so, sinnlos. Dein Selbstmitleid schrie ja förmlich bis zum Himmel hoch.“
„Ich habe mir nicht leid getan. Da irrst du, Manola. Ich wollte nicht sein und trotzdem war ich und bin ich. Am liebsten hätte ich jedem Fötus einzeln in den unförmigen Arsch getreten, sie angeschrien, sie sollen sofort wieder zurück in den Mutterleib. Immer wenn ich von Totgeburten hörte, beneidete ich diese Wesen. Und gleichzeitig fragte ich mich, welchen Sinn so was hat. Nicht einmal jetzt erkenne ich einen Sinn dahinter. Am besten an deiner Rede hat mit das über den Tod gefallen, was dir dein geliebter Daddy sagte. Der Tod ist etwas wundervolles. Ja, damit könnte ich sogar leben.“

Manolas Blick schweift über den weißblühenden Garten. Sie erinnert sich, als sie einst auf einer Bank im großen Garten vor dem großen Haus saß und im Voraus um ihren geliebten Daddy trauerte, der bald für immer die Erde verlassen wird. Sie wusste, er war mit Mum irgendwo in der Stadt und konnte gar nicht hier sein, bei ihr, im Garten vor dem Haus. Und doch war er da. Eine Erscheinung. Eine Vision, die er für sie zurück lassen wird.
Multidimensionalität funktioniert nicht anders. Sie bedeutet nicht nur, gleichzeitig mehrere Wesen an verschiedenen Orten zu sein. Sie bedeutet viel mehr, etwas von sich zurück zu lassen. So etwas wie einen Wegweiser, der anzeigt: Hier war ich und dorthin ging ich. Oder viel mehr: Hier bin ich und hier bleibe ich.
„Er war immer bei mir“, murmelt Manola.
„Er?“ fragt Ysil.
„Mein geliebter Daddy. Ich hatte eine Schwester. Sie war nicht meine leibliche. Sie war auch in Daddy verliebt und meinte, im Gegensatz zu mir, sei ihre Liebe legitim. Meine Eltern haben sie adoptiert, weil Mum keine Kinder mehr bekommen konnte. Sie starb in einer anderen Erddimension, um für immer bei Daddy zu sein. Verstehst du? So groß war ihre Liebe und ihr Vertrauen, dass sie für ihn starb. Das war eine Meisterleistung. Verstehst du, was ich sage?“
Ysil nickt.
„Ich hatte auch immer das Gefühl im falschen Film zu sein. Eine ganz andere Dimension wäre mein Leben gewesen. Also hat sich jemand schwer geirrt und mich irgendwohin projiziert, wo ich nicht hin gehöre“, sinniert Ysil ironisch und beginnt daraufhin laut zu lachen.
„Bei meiner Mum war es etwas anderes. Sie hatte nicht das Gefühl im falschen Film zu sein, denn sie suchte Daddy in der anderen Erddimension, aber sie fand ihn nicht. Irgendwann dachte sie sogar, alles nur im Koma erlebt zu haben. Zehn Jahre, die sie mit Daddy verbrachte, waren zehn Tage Koma. Sie brach zusammen. Warum, weiß niemand, da sie immer kerngesund war. Man brachte sie ins Krankenhaus, wo sie zehn Tage im Koma lag. Als sie aufwachte, war Robert, ihr ehemalige Freund bei ihr am Krankenbett. Daddy gab es nicht in dieser Erddimension. Ihn gab es nur einmal – in der sechsten Erddimension. Die siebente ist die Leuchtende Welt – damals eine zukünftige Erddimension.“
Ysil reißt konfus die Augen auf.
„Ich weiß, alles sehr verwirrend“, meint Manola, raucht eine weitere Zigarette an und spricht weiter. „Thygyrill wurde auf der Leuchtenden Welt geboren. Er ist wunderschön, nicht wahr? Auf der Erde gab es einst einen jungen Pharao, dessen Totenmaske genauso aussieht wie Thygyrills Gesicht. Er kleidet sich auch immer so pharaonisch. Meinst du nicht, Ysil?“
Ysil nickt und fühlt sich abermals wie im falschen Film.
„Diese langen, bunten und Gold bestickten Kleider – glaub, Tuniken nennt man das - und die seltsamen Sandalen. Aber meist latscht er eh barfuß durch die Gegend. Aber nun weiter über meine Mum, als sie sich entschloss, für Daddy zu sterben. Ich war damals noch klein und verstand nicht, was da passierte.“
„Darf ich dich unterbrechen? Ich verstehe nämlich auch nicht, was du mir da erzählst und warum du mir das erzählst.“
Jetzt ist es Manola, die konfus die Augen aufreißt.
„Ich will dir die Liebe zu Arima klar machen. Spielt sich denn bei oder in dir gar nichts ab, wenn du ihn siehst oder als du ihn das ersten Mal gesehen hast? Sila und er werden die allerletzte Vereinigung vollziehen. Sie werden das allerletzte Paar sein, das in die ewige Quelle eingeht. Das Universum wird nicht mehr sein – so lange, bis diese ekligen Föten erscheinen und wieder ein neues Universum geschaffen wird. Weiß der Teufel von wem!“
„Und du meinst, wenn du mir erzählst, wie und warum sich deine Mutter wegen deines Vaters die Kugel gab...“
„Sie schnitt sich in der Badewanne die Pulsadern auf.“
„Verdammt! Ist doch egal, wie sie sich heimgedreht hat!“ schreit Ysil entnervt auf. „Also“, spricht sie etwas ruhiger weiter, „du meinst, wenn du mir erzählst...“
„Nein, natürlich nicht. Niemand muss sich selbst umbringen, um Daddy seine Liebe zu beweisen. Am liebsten wäre ihm ohnehin, dass ihn niemand verehrt. Deshalb dürfte er im neuen Universum ganz anders aussehen – klein, dick und glatzköpfig. Aber jetzt schneidet er in alle Herzen. Man betet ihn an. Man fällt vor ihm zu Boden...“
„Haben wir getan. Wir fielen auf die Knie, als er da oben auf dem Thron saß. Und der Schnitt ins Herz tut noch immer weh.“
„Was?! Daddy saß auf einem Thron?“
„Er sah wirklich aus wie ein König. Er war wunderschön – unbeschreiblich schön. Also bohre nicht weiter in dieser Wunde. Bela und ich wissen, was er in allen Lebewesen auslöst.“
Manola senkt den Kopf und dämpft die Zigarette aus.
„Es tut mir leid. Ich erinnere mich eben so gerne an diese Zeit, als er bei uns war, als wir eine Familie waren und als wir so glücklich waren und es nicht zu schätzen wussten. Weißt du, was das Schlimme am menschlichen Leben ist? Dass wir das Glück, das wir eben erlebten, nicht schätzen konnten. Wir konnten den Moment nicht genießen und wenn wir es versuchten, bewusst versuchten, war er schon wieder vorbei. So ist es nicht nur im Glück, auch im Pech, selbst wenn uns die Pechmomente viel länger und viel bewusster erscheinen. Eigentlich sind Menschen recht negative Lebewesen.“
Ysil legt sanft ihre Hand auf Manolas Hand.
„Wir waren auch nicht besser. Humanoide Wesen lernen nun mal nur aus Fehlern. Wenn einem das einmal bewusst ist, kümmert einem weder Glück noch Pech.“

Es hätte alles mit Manola beginnen sollen. Manola, die erzählt, wie ihre Eltern zusammen gefunden haben und wie schwer es für ihren geliebten Daddy war, zu akzeptieren, wer er ist. So ähnlich schrieb ich bereits, als ich dachte, es wäre besser gewesen, alles der Maria zu überlassen, die vom Verrückten die ganze Geschichte erzählt bekam. Soll angeblich auch in einer Erddimension passiert sein. Ebenso die Geschichten über den Gärtner und den Mörder, der grundlos tötet, die aber wirklich nur erfunden sind, auch wenn man sich Kim als Gärtner, aber niemals als Mörder vorstellen kann.
„Warum nicht?“ fragt Arima, der sich zwischen die beiden, Ysil und Manola, auf die weiße Bank setzt. „Warum sollte ich kein Mörder sein? Ihr beide geht zu sehr von euren aufgesetzten Moralvorstellungen aus. Warum soll man nicht töten? Weil es das Gesetz oder die Religion verbietet? Menschen töten ständig. Aber Pflanzen und Tiere sind ihre natürliche Nahrung, also hat das nichts mit töten zu tun. Warum diese Unterschiede? Weil man leben muss?“
„In dieser Hinsicht warst du schon immer extrem, Daddy – verzeih, Arima.“
„Schon okay, Manola. Ja, weil ich nicht unterschieden habe. Ich habe mich als Mörder empfunden, sobald ich etwas gegessen habe.“
„Er sagte einmal, er könnte auch Menschenfleisch essen“, flüstert Manola Ysil hinter Arimas Rücken zu.
Wir sind vom Weg abgekommen und ich habe mich wieder in einer Seitengasse verleiten lassen, über Altes, bereits lange Vergangenes zu schreiben, was so ganz und gar nicht im Buch, das nie geschrieben wurde, verzeichnet ist. Das alles hat gar nichts mehr mit dem Buch, das nie geschrieben wurde, zu tun.
„Vielleicht hat es das doch“, meint Arima.
„Was?“ „Wie?“ fragen Ysil und Manola.
„Ach nichts, ich dachte, eine von euch hätte nach dem Buch, das nie geschrieben wurde, gefragt.“
„Ich habe auch so etwas Ähnliches gehört. Ruft Sila bereits?“ fragt Ysil.
„Es ist noch viel zu früh für Sila, obwohl sie euch bereits lächelnd beobachtet“, antwortet Arima und lächelt auch.
„Wo ist sie?“ fragt Manola und sieht sich unbehaglich um.
„Sie ist immer da. Wo ihr seid, ist auch sie. Das war schon immer so und wird so lange so sein, bis sich das Universum schließt und der Traum ein Ende hat, der zugleich wieder beginnt.“
„Was denkst du dir eigentlich dabei, im nächsten Universum als kleiner, dicker Mann, mit Glatze aufzutreten?“ fragt Manola empört.
„Siehst du, auch das sind so aufgesetzte Dinge in euch, die ihr unbedingt los werden müsst. Was ist so verkehrt an einem kleinen, dicken Mann, mit Glatze? Er ist nicht schlechter oder besser als ein großer, schlanker Mann, mit langem schwarzen Haar. Das Wahre bleibt, obwohl das Wahre mehr als subtil in beiden enthalten ist.“
„Lüg nicht, Daddy – verzeih, Arima – denn du weißt selbst, dass du etwas Besonderes bist. Mum hat die Textstelle gestrichen, als dich die Quelle der Kraft prüfen wollte. Sie hat sie gestrichen, weil sie nicht verstand, was da passierte, obwohl sie zu dir sagte: Du hast die Quelle der Kraft empfindsam gemacht.“
„Hat deine Mum das Buch, das nie geschrieben wurde, geschrieben?“ fragt Ysil auf sehr paradoxe Weise.
„Zum Teil hat sie das“, antwortet Arima für Manola. „Aber dieses Buch schreibt sich auch selbst und ist deshalb sehr schwer zu enträtseln.“
„Wie war das nun mit der Quelle und ihrer Prüfung?“ bohrt Manola nach. „Und steht es in diesem seltsamen Buch?“
„Manola, ich weiß selbst nicht, was damals wirklich passiert ist. Ich fühlte nur, dass ich mit einem Schlag alles zum Besten lösen könnte, indem ich mich selbst auflöse, als hätte es mich nie gegeben. Es war nur das, was ich fühlte. Mehr nicht. Ich wusste nicht, wie ich das zustande bringen könnte, mich selbst aufzulösen. Ich sagte nur innerlich laut 'Ja!' Mehr war da nicht.“
„Es musste mehr gewesen sein, weil Mum alle deine Freunde zusammen trommelte, die, wie sie, verhindern wollten, dass du dich auflöst.“
„Mir wurde seltsam zumute und irgendeine Kraft zwang mich, Maria zu sagen, was geschehen könnte. Aber das war es nicht, was Maria auf den Gedanken brachte, dass die Quelle der Kraft durch mich plötzlich Gefühle bekommen hat. Das ist auch jetzt noch mehr als absurd für mich und ich denke, deine Mum hat da ziemlich geschwindelt.“
Plötzlich verändert sich Arimas Aussehen und Maria sitzt zwischen den beiden Frauen.
„Du bist wunderschön“, flüstert Ysil und ist versucht, wie bei Arima, auf die Knie zu fallen.
„Das ist lieb von dir, danke“, sagt Maria lächelnd. „Nein, ich habe nicht geschwindelt. Das weiß ich heute umso besser, weil ich die Quelle jetzt viel mehr fühle als damals. Ich wusste, dass Kim von ihr geprüft wird. Und ich wusste, dass weder ich noch Sila seine große Liebe sind. Für ihn gab es immer nur eine Liebe und das war die Quelle der Kraft.“
Maria zittert plötzlich, dann lacht sie hell auf, bevor sie weiterspricht.
„Er wehrt sich dagegen, was ich eben sagte, was ja klar ist. Aber ich weiß es besser. Immerhin stecken wir beide schon lange genug als Doppelwesen zusammen. Ich sage ja nicht, dass er mich oder Sila nicht liebt. Das tut er. Er liebt uns mit all seiner Kraft. Aber wenn die Quelle ruft, lässt er alles liegen und stehen und fällt vor ihr auf die Knie. Warum sonst hätte er schon damals alles aufgegeben und war vollkommen damit einverstanden, sich aufzulösen?“
„Und er wusste, dass ihr ihn nicht vermissen werdet, weil es so sein wird, als hätte es ihn nie gegeben“, setzte Manola hinzu.
„So ist es, meine Liebe“, bestätigt Maria. „Aber als ich ganz besonders spürte, was er in der Quelle auslöst, war das später, als wir zu Bett gingen und uns liebten. In diesen Momenten war mir die Quelle so nah wie noch nie – nicht einmal jetzt ist sie mir so nah. Sie wollte fühlen. Sie wollte Kim in sich so fühlen wie ich. Sie wollte jenes Wesen, das bereit war, alles, wirklich alles, für sie aufzugeben, mit allen Sinnen spüren. Und sie hat ihn gefühlt. Das weiß ich. Seitdem kann ich nicht mehr sagen, dass sich die Quelle der Kraft nicht um unsere Träume und Illusionen kümmert. Das tut sie sehr wohl, vor allem dann, wenn eine Illusion bereit ist, alles für sie zu tun und ohne zu zweifeln zu ihr zurück zu kehren.“
Im nächsten Augenblick saß wieder Kims Gestalt zwischen den beiden Frauen, denn Arima war 'es' ja auch als Marias Gestalt.
„Nun?“ fragt Manola neckisch.
„Völlig überbewertet und reine Phantasie“, antwortet Arima.

„Aber“, spricht Arima weiter, „das Buch, das nie geschrieben wurde, lässt sich nicht anders übersetzen und wenn, wird es noch banaler. Vergesst nicht, wir sind Illusionen, Visionen, Träume, aber nichts, was man Wirklichkeit nennen könnte.“
Arima spricht hier allgemein, also nicht nur über sich und die anderen Protagonisten meiner Geschichten. Auch wir Menschen sind nichts anderes als Illusionen, Visionen, Träume und vielleicht auch Erscheinungen, die zu schnell wieder verblassen.
„Dennoch – völlig überbewertet und reine Phantasie, denn ich glaube, was Maria gespürt hat, war nichts oder niemand anderes als Sila.“
Diesmal geht auch ein heftiges Zittern durch Arimas Körper, da sich Maria gegen seine Aussage wehrt.
Mir fällt auf, dass ich Maria nie Arima genannt habe, obwohl sie das ist. Sie ist, genauso wie Kim, nicht mehr und nicht weniger Arima und dennoch nannte ich sie niemals Arima, als sie ihre Gestalt angenommen hat, was den Doppelwesen durchaus stets möglich ist. Selbst Sila verändert oft ihre Gestalt und ist nicht immer nur das niedliche, kleine Hippiemädchen, als das sie sich am liebsten zeigt. Luftige, lange Kleider, wenn möglich nach indischer oder auch indianischer Art, langes, buntes Haar, oft Dreadlocks, in denen Bänder geflochten sind und gerne trägt sie auch Gesichtsbemalung, was bei Wesen ihrer Art einfach ist, denn ein Gedanke genügt und man ist vollkommen geschminkt. Ich ersehne diese Art Leben!
Was ich auch noch anmerken möchte, bevor sich Kim weiter gegen Überbewertung wehrt, sind die Blasen, Perlen oder wie auch immer, die an einem Energiestrahl hängen, der unsere Ganzheit darstellt. Nochmals vorweg: Es ist nur eine bildliche Darstellung einer Vorstellung. Natürlich ist die Quelle keine Sonne, und die Ganzheiten auch nicht ihre Strahlen, an denen Blasen oder Perlen hängen, durch welche unterschiedliche Lebewesen wahrgenommen werden. Es ist nur eine Art Vorstellung, wie alles zusammenhängt und die Tatsache (?), dass immer alles zusammenhängt. Wenn die Strahlen sich auch, je länger sie sind, voneinander entfernen, sind sie in der Quelle doch immer verbunden und eine Einheit. Ob wir selbst nun die Quelle sind (dann würde sich unsere Individualität auflösen und es würde auch nur eine einzige Ganzheit geben, welche die einzig wahre Schöpfung der Quelle wäre) oder wir nur Aspekte oder Emanationen von ihr sind (dann würde unsere Individualität erhalten bleiben, zumindest, was die Ganzheit betrifft), lässt sich schwer sagen und im Buch, das nie geschrieben wurde, ist dies die heikelste Stelle, denn um sie zu dechiffrieren, müssten wir über uns selbst hinausgehen.
Nun zu dem Bild, das mir vorschwebt: Wir nehmen unsere Welt ja einstimmig wahr – sehen den Himmel, die Wiesen, die Meere, usw. Wir sehen also alle eine Wiese und nichts anderes, wie etwa ein Haus oder ein riesiges Auto. Da ist eine Wiese und die sehen wir alle. Das setzt voraus, dass wir Menschen alle unter einer einzigen Blase stecken. Dennoch weichen unsere Wahrnehmungen voneinander ab. Auch wenn wir alle eine Wiese sehen, sind unsere Empfindungen unterschiedlich. Demnach müsste jeder einzelne von uns unter einer Blase stecken. Das Bild, das ich nun vor mir sehe, sind Kreise, die sich um die Quelle bilden. Ein Kreis davon stellt die menschlichen Bewussteinsblasen dar, ein anderer irgendeine tierische Blase und so weiter.
Früher hatte ich ein anderes Bild vor mir: nur eine Blase, in welche Aspekte einer Ganzheit gesteckt wurden. Jetzt 'sehe' ich Strahlen von der Quelle ausgehen und jeder einzelne Strahl ist kreisförmig mit Blasen oder Perlen bestickt. So in etwa könnte man das, was im Buch, das nie geschrieben wurde, dechiffrieren.
„Das ist tatsächlich ein Thema wert“, meint Arima plötzlich, „Was stellt ihr euch unter der Quelle vor?“ fragt er und nun gesellen sich auch Thygyrill in seiner bunten Tunikapracht und Bela, der wie ein Knappe aus dem Mittelalter gekleidet ist, zur weißen Bank. Sie setzen sich aber im Schneidersitz gegenüber auf die Wiese, direkt unter einem weißblühenden Strauch.
Manola antwortet als erste: „Eigentlich ist sie das einzig Wirkliche. Aber es war schon immer schwer, über das, was allgemein unter den Menschen 'Gott' genannt wurde, zu sprechen. Man spricht nicht über ihn, man kann ihn nur fühlen. Wenn ich die Quelle fühle, weiß ich, dass sie alles ist, dass sie es ist, die uns in sich trägt und niemals fallen lässt.“
„Du meinst also, dass du in dem Fall keine Projektion, sondern ein von ihr erschaffenes Lebewesen bist?“ fragt Ysil.
„Ich wünsche es mir. Diesen Wunsch hatte ich schon immer und ich war auf Daddys Seite, obwohl er missverstanden wurde und alle meinten, er kämpfe nur für Individualität. Nein, ich meine nicht, dass ich ein von ihr erschaffenes Lebewesen bin. Das, was Maria – meine Mum – erzählte, musste genauso sein, denn nur so konnte Daddy das Universum retten und das Gleichgewicht wieder herstellen. Er brauchte die Kraft der Quelle, die in diesem Fall bei der körperlichen Liebe – auch wenn ich es nicht verstehe – nur über Maria in ihn hinein fließen konnte. Es war das eine Wort, wenn man das so sagen kann, von der Quelle, die all diese Projektionen, mit einem Streich wegwischen kann. Das einzig Wahre ist die Quelle und sonst nichts. Anders kann ich es nicht sagen.“
Die anderen nicken zustimmend und Arima klatscht rhythmisch in die Hände.
„Bravo, dann hast du auf Avalon doch sehr viel gelernt“, lobt er seine Tochter.
„Es steckte sehr viel Erfahrung in diesem Leben als Priesterin. Und es war ein herrliches Leben, aus dem ich nur ungern heraus gerissen wurde. Im Leben auf Avalon erkannte ich diese Verbundenheit zwischen allen Lebewesen. Es war so friedlich, trotz mancher Gesetze, wodurch ich bei einem Gesetz einen Riesenfehler machte und nicht erkannte, wer meine Tochter wirklich ist.“
„Du hattest eine Tochter als Priesterin. Leben die nicht keusch?“ fragt Bela.
„Es musste so sein. Es diente allein meiner Erkenntnis, da ich zu hochmütig wurde. Ich dachte, ich kann mich über alles hinweg setzen und mir kann nichts passieren, nicht einmal der kleinste Fehler. Ich war die vorbildlichste Oberpriesterin auf Avalon. Nicht mal Morgana war so vollkommen. Dann kam ein junger Mann auf Avalon. Woher weiß ich nicht. Es geschah einfach und er nach getaner 'Arbeit' – ich muss es so nennen, weil es nichts mit Liebe zu tun hatte – ging er wieder und ließ mich schwanger zurück. Das Gesetz auf Avalon besagt, dass nur eine gewisse Anzahl als Priesterinnen auf der Insel sein dürfen und da Mayla meine Tochter war, ging ich davon aus, dass auch sie eine Priesterin wird. Aber das durfte nicht sein, also schickte ich sie weg und machte sie damit sehr unglücklich. Viele, viele Jahre musste sie aus Unsterbliche in einer Welt verbringen, die nicht ihre war. Schließlich erkannte ich meinen Fehler und holte sie zurück, bevor die Welt, in der sie war, zugrunde ging. Mayla war ein Baumwesen und der Mann, mit dem ich mich paarte, war ein Baum, der Menschengestalt angenommen hat. Es war so, dass ich einen Lieblingsplatz nicht weit entfernt vom Kloster hatte. Dort stand ein wunderschöner, mächtig großer Baum – vergleichbar mit unserer einstigen Eiche – an dem ich mich gerne niederließ und an seinen Stamm lehnte. Das verband uns, aber ich empfand niemals eine derartige Liebe. Dennoch geschah es, denn der Baum schien sich in mich verliebt zu haben. Oder nein, er mochte mich, fühlte sich wohl, wenn ich mich an ihn lehnte. Ich war willkommen, was zwischen Bäumen und menschlichen Wesen nicht immer so einstimmig der Fall ist. Deshalb wollte er mir ein Geschenk machen, mir etwas Gutes tun.“
„Und was geschah dann mit Mayla?“ fragte Ysil.
„Als wir auf Avalon zurück waren, nachdem ich sie aus dieser schrecklichen Welt heraus geholt habe, wo ich mir gar nicht so sicher, ob es nicht eine unserer Erddimensionen waren, ging Mayla direkt zu einen Baum. Es war nicht 'mein' Baum, aber es war ein ähnlich großer, kräftiger, ähnlicher unserer Banyanbäume. Sie setzte sich neben ihn und plötzlich wurden ihre Finger, ihre Zehen und ihr ganzer Körper mit dem Baum eins. Sie vereinigte sich mit dem Baum. Wurde zum Baum, was schon immer ihr Wunsch und ihr Leben war.“

Die Sprache der Seele – zwischen den Zeilen lesen. Es kann nicht benannt, aber gefühlt werden. Nützt uns das was? Auch Gefühle sind eine Sprache, und die Sprache der Seele erst recht. Sprache verwirrt. Schon immer fragte ich mich, was in den Köpfen der Menschen vor sich ging, als es noch keine Sprache gab. Bilder? Man erinnert sich oft an Bilder, Filmszenen, an Vergangenes, das man miteinander kombiniert, um Ähnlichkeiten zu finden, zu erkennen. Wenn wir zum Himmel hoch blicken, erkennen wir in den Wolken Ähnlichkeit mit Bekanntem. Abstraktes fällt uns noch nicht auf. Es wäre der nächste Schritt, scheinbar Unförmiges in Form zu bringen, zu übersetzen, zu dechiffrieren.
Das Leben als Baum. Kann man es verständlich übersetzen? Die Baumsprache. Bäume kommunizieren miteinander. Alle Lebewesen, jede Spezies, kommunizieren miteinander. Kommunikation statt Sprache, wobei Kommunikation auch eine Sprache ist. Die Sprache ohne Worte. Zeichen geben. Handzeichen. Die Sprache der Stummen und Gehörlosen. Sie wissen, ob ein fallender Baum einen Ton von sich gibt, wenn niemand da ist, der ihn hört. Tonlose Sprache.
„Ich vermisse das Leben auf Avalon schon sehr“, sinniert Manola und senkt ihren Blick, um nicht undankbar zu wirken. Es mag ja schön sein, zu den Auserwählten zu gehören, aber Gewohnheiten sind nun mal Gewohnheiten. Und das Leben auf Avalon war wirklich etwas Besonderes. Man war friedlich unter sich und dennoch allein. All-ein. Nicht einsam. Man war Individuum und doch Teil einer Einheit. Teil einer Einheit von Vielheit. Die Priesterinnen vom Kloster, das sich ganz oben auf einem Berg erhebt, sind nur ein kleiner Teil der Lebewesen auf der Zauberinsel.
„Es war wie Magie, als ich zum ersten Mal einem Einhorn begegnet bin“, träumt Manola weiter.
„Und ausgerechnet ich war dieses erste Einhorn“, meint Kim grinsend.
„Ach, ja!“ ruft Manola aus und kann endlich wieder lachen.

Alle Blicke richten sich auf Thygyrill. Jetzt ist er an der Reihe, über 'sein Avalon' zu berichten, obwohl Manola noch lange nicht alles gesagt hat, was es zu sagen gibt und was überhaupt sagbar ist. Bei Thygyrill ist es schon schwieriger, denn seine Erfahrung in der Höhle der Könige ist etwas ganz anderes. Man könnte es in etwa mit diesem Gedicht ausdrücken, das teilweise auch die Dechiffrierung des Buches, das nie geschrieben wurde, darlegt:
Die Sprache der Seele
Zwischen den Zeilen geschrieben
Die Magie der Poesie
In sich selbst hinein träumen
Wortlos – gefühllos – wahrnehmungslos
Sich fallen lassen
Der Blick zu den Wolken hoch
Das Abstrakte erkennen
Ohne es mit Bekanntem vergleichen
Kein Netz – kein Seil
Sich fallen lassen
In die Magie des Unbekannten
In die Sphären des Unerkennbaren
Normalität war gestern
Heute ist Wahnsinn gefragt
Die Höhle der Könige ist etwas Unbekanntes und für viele Leuchtende Wesen auch etwas Unerkennbares. Nur wenige Leuchtende Wesen 'sehen' die ehemaligen Könige und Königinnen, deren Körper einen silbrigen Schimmer hat und nicht derart grell leuchtet wie noch lebende Leuchtende Wesen. Und nur wenige Leuchtende Wesen haben sie 'gesehen'. Man könnte die Höhle der Könige durchaus mit Avalon oder anderen so genannten Zwischendimensionen der Erde vergleichen, auch wenn es nur ehemalige Könige oder Königinnen sind, die einen Teil ihrer Seele in der Höhle und einen kleinen Außenbereich um der Höhle zurücklassen. Dennoch ist sie etwas Abstrakteres als Avalon. Vieles ist schon über Avalon geschrieben worden, über König Artus und die Runde der tapferen und treuen Ritter, wobei nicht immer alle treu ergeben waren und sich an die Frau des anderen machte. Wie ich schon einmal (?) erwähnte, gefällt mir die Version von Marion Zimmer Bradley am besten. Vor allem das alte keltische Ritual der Hirschjagd, wo sich Männer als Hirsche verkleiden und sich an die Frauen eines der Nachbardörfer ran machen, um Inzucht zu vermeiden. So kam Morgana zu ihrem und ihres Bruders Artus Sohn Mordred, dem die Rolle des Bösen zugeschoben wurde.
„Wir spielen Rollen“, beginnt Thygyrill, „Wir können uns zu nichts zwingen. Uns wurde auferlegt so zu sein, wie wir sind.“
„Sprich nicht in der Mehrzahl, mein geliebter Sohn“, dringt eine weibliche Stimme aus Arima, „Sprich nur über dich selbst.“
„Du hast recht, denn es betrifft nur mich. Nur ich habe erkannt, dass ich eine Rolle in diesem riesigen Schauspiel, genannt Universum, spiele.“
Wieder wird daran erinnert, dass es um die Leitern geht, die alle irgendwann einmal und irgendwo weggeworfen werden, weil sie und ihre viele Stufen nicht mehr gebraucht werden. Jedes Individuum hat so eine Leiter, bis es am so genannten Ziel ist und jede Leiter ist unterschiedlich und genauso eine Illusion wie ihr Träger und Kletterer. Manche tragen die Leiter wie ein schweres Kreuz, aber viele erkennen, dass man an ihr auch hochklettern und Sprosse für Sprosse hinter sich lassen kann. So wird sie leichter, wenn man sie wieder einmal tragen 'muss'.
Warum Thygyrill zurechtgewiesen wurde, müsste auch klar sein und warum jede Leiter (Spiritualität, Philosophie, Religion) richtig und gleichzeitig falsch ist, ebenso. Wir bekommen jene Leiter, die für uns 'gemacht' wurde, aber nicht immer erkennen wir sie wirklich. Wir tragen sie in uns, deshalb müssen wir – wie es im Gedicht oben geschrieben steht – in uns selbst hinein träumen und uns fallen lassen. Wir sind nämlich sehr viel mehr die Leiter als das, was wir als Ich wahrnehmen. Wir sind der Weg. Wir selbst. Deshalb sagte Kim mehrmals: „Auf einem bereits gegangenen Weg liegt kein Herz.“ Das drückt natürlich aus, dass wir uns nicht an gängige Philosophien oder Religionen oder Ähnliches orientieren sollten, aber oftmals geht es nicht anders, da sich viele Leitern sehr ähnlich sind. Irgendwann – so die alte Rede – kommt jeder ans Ziel, denn jeder ist selbst das Ziel. So erkannte Thygyrill (für sich) in seiner Leiter die Rolle, die ihm auferlegt wurde.
„Der Weg ist das Ziel“, murmelt Thygyrill und lächelt. „Aber ich würde so gerne meine Erkenntnis hinaus schreien. Mich zeigen, wie ich bin. Es führt zu Einsamkeit, wenn sich jeder nach sich selbst richtet.“
„Das ist nicht wahr, denn auf diese Art erkennt sich jeder im anderen, auch wenn jeder anders ist oder viel mehr deswegen“, sagt Bela und nickt Thygyrill aufmunternd zu. „Ich habe im Sanatorium, wo ich ebenso abgeschottet lebte wie du in der Höhle der Könige, dasselbe – aber eben auf eine andere Art – erlebt. Ich war anders als alle anderen. Aber das waren die Anderen auch. Jede und jeder für sich war anders und als ich das erkannte, erkannte ich das Eine in uns allen. Das Eine, das viele ist.“

Alles recht und gut. Thygyrills Welt ist natürlich nur schwer zu verstehen und die Dechiffrierung mehr als verfälscht. Immerhin 'reden' die vier und Arima nicht mehr so wie wir Menschen das tun, auch wenn sie sehr menschlich erscheinen mögen. Erscheinen! Das ist stets das Zauberwort. Und nur nicht vergessen: So tun als ob! Denn es stellt sich ja auch die Frage, wie es möglich ist, dass so viele unterschiedliche Götter an erster Stelle sein können. Ganz einfach: Weil es keine höchste Stelle gibt. Oder viel mehr, weil es nur höchste Stellen gibt. Sozusagen ein Punkt, an dem sich alles zusammenfügt. Man fragt sich ja auch, ob alle Naturgesetze im gesamten Universum gelten. Etwa dass ein Körper nicht an mehreren Orten gleichzeitig sein kann. In der Quantenphysik geht es zwar nicht um Körper, aber hier sind manche Teilchen gleichzeitig an mehreren Orten. Sozusagen gilt die Aussage, wie im Großen so im Kleinen oder umgekehrt, nicht. Wie oben so unten, würde ich dennoch bezweifeln. Außerdem werden wir in diesem Leben ohnehin keine Beweise haben, da wir keine Raumschiffe haben die Lichtgeschwindigkeit fliegen. Mit unserem Tempo würde nicht mal, wenn wir mehrere Familien raus ins Universum schicken, die letzte Generation vor den Idioten der Inzucht, einen Planeten entdecken, auf dem es sich leben lässt. Mir kam eben der Gedanke, dass dies schon mal der Fall hätte sein können, nämlich als unsere Erde von den ersten Menschen bevölkert wurde. In dem Fall, was ich manchmal gar nicht abstreiten würde, stammen wir von Idioten ab.
Ysil bekräftigt das, indem sie zu sprechen (eben auf ihre Art, die natürlich nicht menschlich ist, aber doch humanoid) beginnt.
„So hochtrabend, wie Thygyrill, hatte ich es in meinem Leben nicht. Ich denke, meines war dem Manolas auf der Erde sehr ähnlich. Wie waren die Menschen dort, Manola? Auch so eigensüchtig, habsüchtig und ohne Rücksicht auf andere? Nur man selbst zählt, alles andere kommt danach?“
„Viele waren genauso“, bestätigt Manola, „aber es gab auch andere, die vollkommen selbstlos handelten. Ich war zu einer Zeit auf der Erde, das man durchaus das goldene Zeitalter nennen könnte, als Daddy Konzerte gab und wir manchmal in fremde Städte nachreisen durften. Das Leben damals war aufregend. Wir konnten unsere Kindheit und Jugend wirklich sorglos genießen. Ich achtete nicht so sehr auf das Leben der Anderen, denen es nicht so gut ging wie uns. Immerhin waren wir eine der reichsten Leute auf der Welt. Es war aber so, dass ich gerne für mich alleine war. Ich zeichnete und malte gerne und da konnte ich keine Gesellschaft brauchen. Na ja, und da ich die Tochter des weltberühmten Stars Kim war, hatte ich es auch nicht leicht. Viele wollten mich zur Freundin haben, aber nicht meinetwegen und das spürte ich mit der Zeit. Und die späteren Zeiten? Nach den vielen kleinen Kriegen, als es mehr einzelne Länder als je zuvor gab, wurde es ganz schlimm mit der Menschheit. Es gab fast nur mehr Militärregierungen und alles gehörte dem Staat. Von Demokratie war keine Rede mehr. Vielleicht gab es irgendwo im Osten noch humanere Regierungen, aber großteils bestimmten irgendwelche Schreihälse über alles. Meine Enkelin könnte ein Lied darüber singen. Sie wurde Opfer der ersten Revolutionen.“
„Selbstsucht und Habgier“, meint Ysil, „also auch in deiner Menschenwelt.“
„Machtgier“, setzt Manola hinzu. „Das war etwas, was ich auf Avalon nicht kannte. Hier lebten alle miteinander, ohne sich gegenseitig irgendwie zu stören. Zwerge, Elfen, Baumwesen, Einhörner, selbst geflügelte Pferde, wie Pegasus, gab es und Vögel mit Menschen- oder anderen Tierköpfen. Auf der Erde nannten wir sie Fabelwesen. Auf Avalon gab es sie wirklich.“
„Vorsicht, Manola, mit dem Wort 'wirklich'“, ermahnt Arima. „Aber wir wissen, was du meinst. Übrigens, es besteht kein Unterschied zwischen Avalon und der Erde und allen anderen Dimensionen. Würden wir alle DEN Blick haben – manche nennen es den Blick fürs Ganze – würden wir erkennen, dass alles an ein und dem selben Ort existiert und gleichzeitig existiert alles an unterschiedlichen Orten. Für Menschen wäre dies das Chaos, weil ihr Bewusstsein unterscheiden muss. Mit DEN Blick gibt es nichts zu unterscheiden, weil alles DA ist und doch nicht DA. Das menschliche Bewusstsein, auch eures Ysil und Bela, kann vieles noch nicht erfassen. Unendlich – endlich, hier - aber doch nicht hier, gleichzeitig an allen Orten – aber alles an einem einzigen Ort. Unvorstellbar, nicht wahr? Das Oben wird zum Unten und ist doch grundverschieden vom Unten, wie auch das Unten vom Oben grundverschieden ist , obwohl es das Oben ist. Paradoxien dieser Art bringen humanoide Wesen den Wahnsinn nahe. Aber ihr werdet erkennen. Schon sehr bald – mit Silas Hilfe.“

Davon sind wir noch weit entfernt. Und doch scheint es uns manchmal – zumindest einigen von uns – dass es da noch Wesen gibt, die sich vor uns verbergen und sich nur sehen lassen, wenn sie gesehen werden wollen. Das erinnert ein wenig an Leuchtende Wesen, die sich vor Ihresgleichen verbergen, wenn sie Ruhe haben wollen. Das sei aber gar nicht nötig, weil es doch ihre Gefühle ausdrücken und die anderen es sofort aufnehmen würden. Dennoch verbergen sie sich manchmal, wenn sie vollkommen in sich gehen.
Man kann sich wirklich nicht vorstellen, alles auf einmal wahrzunehmen. Wir sind schon mit unserer Umgebung überfordert und nehmen nur das bewusst wahr, worauf wir uns konzentrieren. Alles andere liegt im Nebel und bleibt eventuell im Unterbewusstsein. Aus diesem Unterbewusstsein stammt sehr oft das, was wir 'Phantasie' nennen. Unzählige Geschichten und sogar Religionen sind aus dieser Phantasie entstanden.
Vielleicht zeigen sich manche Wesen den Menschen, wie etwa Einhörner, ein Pegasus oder gar ein Pferd mit Menschenoberkörper, die so genannten Zentauren. Die Liste der Fabelwesen ist sehr lang.
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Fabelwesen
Unter ihnen gibt es aber auch einige, die den Menschen nicht wohl gesinnt sind. Kein Wunder, ist er doch ständig im Begriff, die Natur zu zerstören. Wesen dieser Art sind die Natur selbst und nehmen es sehr persönlich, wenn man in ihr Revier eingreift. Der Gehörnte, Satan, zum Beispiel, wird von einigen Menschen als sehr böse betrachtet. Als was betrachtet sich der Mensch dann? Wo der Gehörnte (man muss aber auch hier zwischen zwei Spezies unterscheiden) doch nur sein Revier verteidigt und gegen Zerstörung rebelliert. Pan ist einer davon. Man weiß nie, woran man bei ihm ist. Vor allem dann nicht, wenn er auf der Flöte spielt und dann ein wenig an Krishna erinnert, der mit seinem Flötenspiel auch die Menschen verzaubert.
Fabelwesen sind Wesen der Vergangenheit, aber auch der Zukunft, denn sie werden die Menschen überleben. Sie werden nicht so schnell aussterben, denn die Natur erholt sich immer wieder.
Arima erwähnte in seiner Rede 'Paradoxie', wie ich das gesamte Buch, das nie geschrieben wurde, nennen würde. Es ist eine einzige Paradoxie. Zumindest für Menschen. Wir sind tatsächlich so ziemlich am Ende der Liste der wahrnehmenden Wesen und glauben wahrhaftig, eine Schöpfungskrönung zu sein. Wie vermessen!
Wir glauben nicht, noch so viel lernen zu müssen, so viel wahrnehmen zu müssen, bis wir endlich diese vermaledeite Leiter mit ihren manchmal sehr kompliziert zu überwindenden Sprossen wegwerfen können. Es ist noch ein weiter Weg. Und wir lassen uns von so vielem aufhalten, indem wir uns zu sehr mit uns selbst beschäftigen – vor allem mit dem Äußerlichkeiten. Aber nicht nur das, denn wenn uns ein schwerer Schicksalsschlag trifft, lassen wir alles hängen, klagen und jammern und baden im Selbstmitleid. Dann ist nichts mehr so wichtig, als nur unser Leid.
Es muss eine Zeit des Leids geben, genauso wie es eine Zeit der Freude gibt. Und so lange wir nicht bewusst erfahren, dass alles immer wieder vergeht und sich ständig abwechselt, überwinden wir diese so schwierige Sprosse niemals. Denn nur mit diesem Bewusstsein erkennen wir in uns Gelassenheit und bereits einen kleinen Aspekt der unvergänglichen Wirklichkeit.
Was hat jetzt das alles mit Fabelwesen zu tun? Vielleicht klärt es sich noch auf. Ich meine, dass sie es sind, die uns jede Menge lernen können, aber nur dann, wenn wir besonders aufmerksam sind. Auf jeden Fall erscheinen manchmal sehr widersprüchliche Abschnitte im Buch, das nie geschrieben wurde, und die Abschnitte scheinen auch nicht in für Menschen verständlicher Ordnung zu sein. Aber das ist gut so, denn nur so kann gelernt werden, dass sich nicht immer alles ordnen lässt.

Weiß jemand Genaueres über Pegasus, das mythische, geflügelte Pferd? Angeblich stammt es von griechischen Göttern ab und ihm wurde ein Sternbild gewidmet. Pegasus wird auch das Dichterross genannt. Eine Inspiration für Künstler aller Art.
Der Pegasus, über den im Buch, das nie geschrieben wurde, dürfte ein anderer sein. Aber vielleicht stammt auch er von den alten griechischen Göttern ab, flog einst von einer der wunderschönen griechischen Inseln in Sphären und Zwischenwelten, wo er seine Begleiterin und sie ihn als seinen Begleiter fand. Liebe auf den ersten Blick? Nun, so weit wollen wir es nicht kommen lassen. Es war eine Vereinbarung, um Kräfte zu sparen und Spaß macht es auch, auf einem geflügelten Pferd durch die Lüfte zu segeln. Mit einem Pferd, das noch dazu ein magisches Einhorn mitten auf der Stirn trägt. Seit es Sila gibt, gibt es das geflügelte Einhorn. Es scheint, als wären sie zusammen aufgewachsen, als hätten sie sich gegenseitig aufgezogen.
Es ist schwer, diese Texte zu dechiffrieren, da sie zu vielfältig sind, zu viel auf einmal aussagen und wenn es Zeile für Zeile sozusagen „übersetzt“ wird, fehlt zu viel, um das Wahre hier auf Papier zu bringen. Ein Bild vielleicht? Das geflügelte Einhorn schwebt aus einem sanften gelben Licht übers Gebirge, wobei das Gebirge natürlich keines ist. Es erscheint gebirgig, steinig. Eine Landschaft, die keine ist. Farben zerrinnen darin, aber das geflügelte Einhorn und darunter Sila sind gut zu erkennen. Immer gemeinsam. Sila und das geflügelte Einhorn gehören zusammen. Das ist die einzige wahre Aussage, denn weitere Worte würden mehr und mehr verfälschen, obwohl natürlich auch Bilder fehl am Platz sind. Das innere Leben lässt sich nun mal nicht auf Papier und auch nicht auf Leinwand bannen. Aber es kann dadurch noch mehr verinnerlicht werden. Und genau das wollte Manola, als sie dieses Bild von einem geflügelten Einhorn und einer elfenartigen Frau malte.
„Hat es einen Namen?“ fragt Ysil und ist entzückt von Manolas Malerei.
Manola lächelt nur.
„Ah, du willst es nicht verraten.“
„Wollen vielleicht, aber ich habe ihm noch keinen Namen gegeben“, verrät Manola und taucht den Pinsel zum reinigen ins Wasser. Sie malt am liebsten mit Acrylfarben, weil die nicht so kräftig riechen und auch viel schneller trocknen. „Und wenn, ich weiß nicht... Irgendwie habe ich einen Bezug zu diesem wundervollen Fabeltier, als wäre es mein Krafttier oder so was Ähnliches.“
„Ich auch“, bekennt Ysil und erschrickt, als sie wieder in Thygyrills weißblühenden Garten auf der weißen Bank sitzen und er, Bela und Arima vor ihnen im Gras hocken.
„Was war das?“ fragen Ysil und Manola gleichzeitig.
„Eine Szene, nichts anderes“, lächelt Arima sanft.
„Eine Szene?“ fragen Ysil und Manola wieder gleichzeitig.
„Ja, eine Szene aus eurem Leben – aus eurem unbewussten Leben. Es gibt in jedem Leben unbewusste Szenen. Aber sie sollten bewusst werden, deshalb werdet ihr jetzt einige derartige 'Aussetzer' haben. Bei Thygyrill bin ich mir nicht so sicher, aber ich denke, auch er wird einige haben. Bela – du wirst dich jetzt nach oben in diese Berge verziehen. Deine Aussetzer haben es in sich und du musst dich ihnen stellen. Szene für Szene. Aber ich gebe dir einen weisen Begleiter mit. Lady Ferryn, die Schwarze, wird dich begleiten und dir mit Rat und Tat zur Seite stehen.“
Die Drachin landet direkt vor Bela. Es ist immer ein gewaltiger Anblick, wie diese riesigen Tiere so sanft und leise landen, als wären sie gar nicht da. Als Lady Ferryn mit Bela, der allem schweigend zustimmt, abhebt, setzt Arima hinzu: „Und du wirst erkennen, dass dich Lady Ferryn schon immer begleitet hat – so wie das geflügelte Einhorn stets an Silas Seite war und ist.“
Ysil und Manola sehen sich an.
„Das heißt, wir kennen uns schon länger und wissen nichts mal etwas von derartigen Szenen?“ meint Ysil und die beiden lachen herzhaft.

„Denn einen Menschen zu töten ist zweifellos nichts anderes, als einem Lamm die Kehle aufzuschlitzen, aber die anderen denken nicht so...“, schrieb schon Roberto Arlt in den zwanziger Jahren in seinem Buch „Die sieben Irren“. War er damit seiner Zeit voraus?
Und wieder dieser Sprung zu einem anderen Thema, wo doch das letzte so schön fließen konnte. Aber so ist es mit dem Buch, das nie geschrieben wurde. Es flitzt von einer Ecke zur anderen, überspringt manche und landet dort, wo man es zu allerletzt vermutet.
Aber ich muss ebenso auf dieses Thema zurückgreifen, bevor ich mich wieder Sila und ihrem geflügelten Einhorn widme. Das Thema der konstruierten Menschenwelt. Manola, Ysil und Bela stimmen mir sicher zu, denn sie lebten in derartigen Welten, vor allem Manola, obwohl sie in der besten Erddimension lebte, die es gibt, denn nur dort existierte Kim, ihr geliebter Daddy. Bei Ysil und Bela war es eine ähnliche Welt, auch voll mit egoistischen, profitgierigen Machthabern.
Das Thema ist die konstruierte Welt, die Menschengesetze, die sie nur vor sich selbst schützen. Oder meint jemand, es geht den Menschen wirklich um die Umwelt, darum, die Natur zu retten oder vor dem Aussterben bedrohte Tiere zu schützen? Nein, weit gefehlt! Denn sie wissen durchaus, dass die Natur auch ohne sie auskommt und sie möchten natürlich auch ihren Kindern noch die putzigen kleinen Eisbären, oder weißen Tigerbabys in Käfigen vorführen. Es geht ihnen nicht um die Natur, nicht um die Tiere, die es wieder gut haben sollen.
Steht das auch so im Buch, das nie geschrieben wurde, oder ist jetzt wieder meine Menschenwut mit mir durchgegangen?
Nun, im Buch steht vielmehr der Blick oder der Griff über den menschlichen Tellerrand hinaus. Das passierte schon während der unzähligen Gespräche mit Kim. Der Tod kommt immer zur rechten Zeit und er hat viele Gesichter, deshalb verurteile keine Krankheit, keinen Unfall und keinen Mörder. Bestimmung? Ist es einigen von uns bestimmt, böse zu sein? Darum geht es gar nicht, denn auch die Begriff „gut“ und „böse“ stammen aus der Menschenwelt. Böse nennt er nur das, was ihn bedroht, aber selbst darf er bedrohen, einsperren und auch töten, aber nur jene, die nicht zu seiner Spezies gehören. Unter gewissen Umständen ist natürlich auch das Töten der eigenen Spezies gestattet, sei es aus Notwehr, im Krieg oder als Henker. Recht zweifelhafte Gesetze, die nur zum eigenen Vorteil da sind.
„Sollen sie gegen sich selbst da sein? Das wäre ja doch mehr als verblödet. Gesetze schützen immer jene, die sie aufstellen“, schallt es aus Arima, der dazu noch den Kopf schüttelt.
„Stimmt auch wieder“, gibt Manola zu, die es genauso wenig wie ich ertragen kann, was sich Menschen alles heraus genommen haben und es (in meiner Zeit) noch immer tun. „Aber man sollte doch so fair sein, auch anderen Lebewesen Schutz zu gewähren und nicht immer nur sich selbst.“
„Und wie ist das mit dem Urteilen und Verurteilen?“ fragt Arima und blickt von Manola zu Ysil und von Ysil zu Manola.
„Es ist wie es ist?“ stellt Manola die alles entscheidende Frage, die einst ein liebevoller Menschen die Liebe sagen ließ.

Aber diese Qualen, die wir anderen auferlegen! Und nicht nur anderen Spezies, sondern auch uns selbst. Wie wir selbst mit uns umgehen, uns gegenseitig betrügen und einander hassen! Und der freie Wille? War er es, der den ohnehin sehr dünnen Faden, der uns mit Gott verbunden hat, durchschnitten hat? Haben wir um einen freien Willen gebeten?
„Das dürft ihr nicht! Alles zurück! Retour! Wir müssen das alles verhindern!“
Atemlos kommt Bela daher gerannt, über ihm die schwarze Drachin, die eine lauten Schrei der Empörung ausstößt, weil der junge Mann (?) es vorgezogen hat, zu Fuß den Weg zurück zu legen, anstatt auf ihr zu reiten und schließlich Richtung Norden (?) davon fliegt.
Im nächsten Moment erblickt er hinter der weißen Bank auf der nun Arima, Thygyrill, Ysil und Manola sitzen, eine kleine Gestalt, in der er Sila erkennt. Noch weiter hinten grast ein wunderschönes, riesiges, geflügeltes Einhorn mit unbestimmbarer Farbe. Manchmal erscheint es schneeweiß, dann funkeln wieder einige Farbflecken, wie rotbraun, grünlich und manchmal sogar rosa auf seinem weichen Fell.
„Du? Was machst du schon hier? Du, die du ich – wir – sind?“ stammelt Bela aufgeregt weiter. „Wie kann das sein, dass sie hier ist?“ wendet er sich Arima zu, aber Sila übernimmt das Wort (?).
„Krieg dich wieder ein, kleiner Krieger. Es ist nicht immer alles so wie der esoterische Wahnsinn es vorschreibt.“
Bela öffnet den Mund (?), schließt ihn aber wieder sofort. Sila! Ein bezauberndes Wesen, keine Frage. Aber sie ist so klein und wirkt so kindlich, je näher man sie betrachtet. Von weitem wirkt sie wirklich majestätisch, vor allem dann, wenn sie all ihre bunten Farben trägt. Wo? Überall, - sogar auf der Haut (?).
„Sie wächst noch“, murmelt Arima und grinst in sich hinein.
Von hinten wischt Sila ihm über das Haupthaar und zischt: „Nur nicht frech werden, Kleiner!“
Und zu Bela gewandt spricht sie: „Und du hock dich erst mal hin und beruhige dich und dann sag mir, wie du dir das mit der Vereinigung vorgestellt hast? Doch nicht etwa so wie die Evolution? Da kommt erst mal ein kleines Teilchen, das sich teilt, dann teilen sich die beiden und die vier teilen sich abermals, dann entsteht eine Landschaft, aus der Pflanzen und Tiere hervorgehen und schließlich entsteht aus einem der Tiere ein menschliches Wesen. Ja? Klar, so hat sich Kleinhänschen das schon immer vorgestellt. Nur – so ist es nicht, denn in gewissen Ebenen oder Sphären, oder wie immer du es nennst willst, ist alles gleichzeitig da – nicht nur die Zeit, sondern auch alle räumlichen Verhältnisse.“
Sila kommt hinter der Bank hervor. Ihre bunten Dreadlocks sind beachtlich. Schwer und dick hängen sie fast bis zu den Knien. In einigen der Dreadlocks hängen bunte Federn. Gekleidet ist Sila in ein langes, luftiges, fliederfarbenes Kleid, auf dem Blumen aller Art abgebildet sind. Ihre kleinen Füße stecken in leichten Sandalen. Das ist natürlich nicht alles, denn ihre dünnen Arme sind mit allerhand Reifen geschmückt, wie auch ihre langen, zartgliedrigen Finger mit Ringe bestückt sind – und wohl auch um den Hals hängen unterschiedlich bunte und lange Ketten mit Perlen und Federn und allerhand Tand. Es klingelt und scheppert, wenn sie sich bewegt. Und wie sie sich bewegt! Als würde sie ständig tanzen. Anders kann man es nicht beschreiben.
„Warum ist sie so klein?“ fragt Manola mit einem Blick auf Arima. „Sie kann keine 1 Meter 50 sein.“
„Wäre sie größer, wäre sie nicht zum aushalten. Aber warte ab – sie wächst noch. Vor allem wird sie uns allen über den Kopf wachsen“, murmelt Arima.
„Ja und? Ich bin nun mal von kleinem Wuchs. Elfen sind halt nicht größer“, meckert Sila mit schriller Stimme. Das kann sie auch. Sie kann unheimlich schrill keifen. Aber im normalen Tonfall ist ihre Stimme angenehm dunkel, was ihren zarten Erscheinungsbild widerspricht.
„Und nun erzähl, lieber Bela, warum wir alles verhindern müssen?“ wendet sich Sila wieder an den jungen Mann, der sich inzwischen auch auf der Bank niedergelassen hat. Sila hockt sich vor ihnen ins Gras und kreuz ihre Beine, die seltsamerweise unheimlich lang erscheinen, zum Schneidersitz.
„Es ist nicht nur, weil der Allerschönste plötzlich nicht mehr der Allerschönste...“
„Moment!“ wendet Arima ab. „Vergiss endlich das mit dem Schönsten und Hässlichsten. Das hat keinen Wert! Herzige, süße Kätzchen liebt man, aber Schweine, die sich im Dreck suhlen, tritt man in den Schlachthöfen. So oder ähnlich geschah es einst in allen Erddimensionen. Nur weil einige süß und andere nicht süß aussehen. Hinweg mit dem Aussehen! Das zählt nicht! Das Außen kann täuschen. Ein wunderschöner Engel kann dich eher vernichten als ein hässliches Monster. Schält euch endlich raus aus diesen vorgefertigten Blasen. Lasst sie zerplatzen.“
„Schon gut, Arima – ich sagte ja auch“, verteidigt sich Bela, „dass es nicht nur deshalb ist und auch nicht, weil Sila eine Art Känguruh sein wird...“
Sila lacht schrill auf, lässt Bela aber weitersprechen.
„...es ist viel mehr, weil es ein schlechtes Omen ist. Das Innen wird das Außen vernichten. Das Gleichgewicht wird noch mehr gestört.“
„Das soll es ja auch, mein lieber Bela“, meint Arima. „Denn nur durch all diese Störungen lassen sich weitere Universen vermeiden, weil dann die Lebewesen endlich erkennen, welchem Lug sie sich selbst auferlegt haben.“

„Wieso nennst du dich Elfe?“ fragt Manola aus dem Nichts (?) heraus.
Anders lässt sich dieser Begriff nicht dechiffrieren. Wie nennt man das Nichts? Alles?
„Klein, zart, bunt – eben elfisch, also nenne ich mich eine Elfe“, gibt Sila keck zurück. „Eigentlich hätte ich von euch andere Fragen erwartet.“
„Wenn es keine Evolution gibt, was dann?“ fragt Thygyrill.
„Wir dürfen kein neues Universum zulassen“, raunt Bela immer wieder und geht im Kreis.
„Gute Frage und du, junger Mann, hör auf damit“, schimpft Sila Richtung Bela. „Tja, wenn es keine Evolution gibt, was gibt es dann? Nichts, meine Freunde! Es gibt etwas und es gibt nicht etwas. Ja und nein. Ach, hattet ihr schon?“
Gelangweilt wird Sila angesehen, nur Arima lächelt sanft.
„Bela“, richtet Sila ihre dunkle Stimme an ihn, „Manche wollen sich eben vergnügen.“
„Solange man lebt, muss man leiden“, murmelt Bela und geht noch immer im Kreis. Er wagt es nicht, seinen Kopf zu heben und einen der fünf in die Augen zu sehen.
„Typisch Autist“, bemerkt Ysil. „So war er die ganze Zeit, als ich ihn im Sanatorium beobachtet habe. Er ging dauernd im Kreis, den Kopf zu Boden gesenkt und irgendetwas murmelnd. Moment! Ja, das ist es! Er sagte damals dasselbe! Er sagte, - es darf kein neues Universum geben.“
„Schockstarre!“ bemerkt Sila, geht auf Bela zu, packt ihn an den Schultern, obwohl sie ihm nur knapp bis unters Kinn reicht und stößt einen irre lauten und irre schrillen Schrei aus. Die anderen halten sich geschmerzt die Ohren zu und Bela starrt das kleine, zarte Geschöpf, das ihn mit aller Kraft festhält, groß an.
„Was ist los? Wo bin ich?“ stammelt er.
„Los, pfeife deinen Drachen zurück und ab wieder in die Höhle!“ befielt Arima und pfeift selbst nach Lady Ferryn, der schwarzen Drachin.
„Wieso hast du keinen Drachen?“ fragt Ysil Sila und die zuckt nur mit den Schultern.
„Magst du sie nicht?“ lässt Ysil nicht locker, während Lady Ferryn heranbraust, Bela auf ihren Nacken klettert und die beiden wieder abfliegen, als wäre nichts gewesen. Was war? Bela hatte tatsächlich so etwas wie eine Schockstarre – eine Erinnerung, die wie ein Trauma für ihn gewesen sein muss, das er ins Unterbewusstsein verdrängt hat.
„Seit ich bin, begleitet mich das geflügelte Einhorn und trägt mich hin, wo immer ich hin möchte. Wozu soll ich dann einen Drachen haben?“
„Seit wann bist du?“ fragt Ysil.
„Seit wann bist du?“ stellt Sila die Gegenfrage. „Kannst du das mit Sicherheit sagen? Aus dir selbst heraus?“
„Irgendwie schon. Ich bin meine Erinnerungen. Wo keine Erinnerung sind, bin ich nicht.“
„Das wäre mir zu einfach, denn das Sein besteht am allerwenigsten aus Erinnerungen.“
„Wenn man es so sieht, hast du sicher recht. Also, von mir selbst heraus kann ich tatsächlich nicht sagen, seit wann ich bin“, sinniert Ysil und verfällt in einen Traum.

Der Eisberg. Der allerseits berühmte Eisberg des Bewusstseins. Das Herausragende ist nur ganz winzig – eine kleine Spitze, aber was sich darunter verbirgt, ist einfach nicht zu fassen. Das Buch, das nie geschrieben wurde, legt jedoch klar, dass es sich dabei nicht nur um das so gepriesene, menschliche Bewusstsein handelt. Es geht um die so genannten Strahlen – die Energiestrahlen, die mit Blasen (Perlen, Kugeln oder was auch immer) gespickt sind, um das, was darunter oder drinnen an Energiestrahlteilchen steckt, genau das wahrnehmen zu lassen, was die Blasen vorschreiben. In der menschlichen Blase nimmt sich das Energiestrahlteilchen als Mensch wahr, in der hündischen Blase, usw. Man weiß es ja, wenn man sich ein wenig mit dem Buch, das nie geschrieben wurde, auseinandergesetzt hat. Das kommt zwar selten bewusst vor, aber es kommt öfter vor, als man denkt.
Was ist nun der Eisberg, von dem Ysil träumt? Sie erkennt so etwas wie Ebenen in ihm, Stufen, Sprossen auf ihm... Ach, nicht schon wieder! - wird man aufschreien, denn man wartet ja auf ein ganz großes Geheimnis, seit Sila aufgetaucht ist. Und woher ist sie aufgetaucht? Und seit wann gibt es sie, gibt es uns? Aber das gibt auch das Buch, das nie geschrieben wurde, nicht so preis, wie wir das gerne hätten.
Unlängst las ich: „Es gibt keine Antwort. Es wird keine Antwort geben. Es hat niemals Antwort gegeben. Das ist die Antwort.“ Hat Gertrude Stein gesagt, eine US-amerikanische Schriftstellerin, die die Erde um 1946 verlassen hat. Recht hat sie! Aber warum suchen wir dann ständig nach Antworten und versuchen Geheimnis um Geheimnis zu enträtseln? Ganz einfach, weil man uns verarscht. Weil wir uns – um ganz genau zu sein – selbst verarschen. Wir machen uns was vor. Nein, nein, nicht schon wieder der Stolz des Menschen, die Wichtigkeit und der Egoismus. Das mit dem Sich-was-vormachen ist was anderes. Wir machen uns uns selbst und die Welt vor. So ist das gemeint. Wir meinen: „Da schau, welch schöner Baum und wie alt der ist! Was der schon alles gesehen hat – viel, viel mehr als wir mit unserem kleinen Leben. Der Baum ist fast tausend Jahre alt und wir werden höchstens ein Zehntel davon.“ Und so weiter. Und so wird gestaunt und gerätselt, warum wir nicht auch so alt werden können – und es wird geforscht, wenn geht, nach dem Brunnen des ewigen Lebens. Pfui! Pfui Teufel! Gott spielen! Nein, auch das ist es nicht, denn Gott spielt nicht und der Teufel ist auch nicht pfui, weil es beide so nicht gibt, auch wenn es sie in unserer Vorstellung geben mag und schon das ist zu viel des Guten und des Bösen. Es mag uns und die Welt in unserer Vorstellung geben... Moment! Das wäre schon wieder zu viel von allem. Hat ja schon der gute, alte Schopenhauer die Welt als Wille und Vorstellung beschrieben. Dennoch, teilweise ist auch das wahr. Im Grunde genommen ist alles wahr, wie der Elefant der Blinden, wo jeder einen Körperteil des Elefanten berührt und ihn als Elefant beschreibt und keiner recht hat oder alle ein bisschen. So ähnlich könnte man sich das ganz große Geheimnis vorstellen. Aber es wird nichts verraten. Es kann auch nichts verraten werden. Es gibt wirklich keine für uns befriedigende Antworten, wie wir schon im Buch, das nie geschrieben wurde, erkannt haben.
Je höher man klettert, je unbewusster wird alles. Mag ja alles aus dem menschlichen Gehirn kommen, aber der Empfänger empfängt nun mal von außen. So ist der Mensch. Er hat nichts in sich, außer Empfänger. Damit empfängt er alles von außen. „Schau in dich!“ - gibt’s nicht, denn da ist nichts drinnen, wenn wir nichts hinein gefüllt haben. Wir sind Füller, während Götter Schöpfer sind. Nur Götter schöpfen aus sich selbst heraus. Oder schöpfen sie uns aus? Ja, teilweise. Denn wir sind ein Teil von ihnen. Ein Aspekt, wie die Binsenweisheit der Esoterik besagt. Ja, Binsenweisheit, denn glaubt wirklich ein Mensch, dass ausgerechnet er ein Geheimnis knackt, das nicht zu knacken ist? Auch wenn wir uns verkrampft in das Außen kämpfen – da ist nichts, was uns antwortet. Und wenn, sind wir es selbst in einer anderen, vielleicht höheren und vielleicht sogar einer tieferen Ebene. Sind wir jetzt schlauer geworden? Mitnichten!
Ysil ist verwirrt, aber sie lächelt.

Wie war das mit meinem Lieblingsspruch von Kim? „Wenn du dich der Quelle der Kraft ergibst, führt sie dich genauso wie dich das Ich geführt hat, nur mit dem Unterschied, dass du dich nicht mehr danach fragst, was du davon hast.“ Wenn ich etwas mache, will ich ein Resultat sehen. Wenn ich etwas für jemanden mache, will ich Anerkennung oder wenigstens Dankbarkeit. Wenn ich Fragen über Fragen stelle, denke und denke, will ich wenigstens eine kleine Erleuchtung. Vielleicht ist es geistig noch viel schwerer als materiell. Ich erwarte mir etwas, wenn ich meditiere. Ich will was davon haben, wenn ich Antworten finde. Ich will Glückseligkeit und Gelassenheit. Ja, von wem denn? Da gibt’s keinen, der dir so was gibt! Entweder du hast es oder du hast es nicht. Erwarte dir nichts, egal, was du tust. Es kommt wie's kommt. So einfach ist es. So einfach wäre es und doch so schwer.
Und nun der zweite Lieblingsspruch von Kim: „Zwang bringt dich nirgendwohin.“ Ich will so sein, dass ich mir nichts erwarte. Und schon schnappt die Falle zu. Wie gesagt, es kommt, wie's kommt. Das menschliche Bewusstsein braucht lange, bis es kapiert. Immerhin brauchen wir Jahre, bis wir Mitglied der menschlichen Gesellschaft sind und nicht mehr an Elfen, Einhörner und geflügelte Pferde glauben und unsichtbare Spielkameraden haben und lachen, wenn uns zum Lachen ist und weinen, wenn uns zum Weinen ist und zornig schreien, wenn wir zornig sind. Erst dann fressen wir alles in uns rein, bis wir platzen.
Rekapitulation ist das Zauberwort. Setz dich irgendwohin, wo du deine Ruhe hast, schließ die Augen und atme tief ein und aus. Ganz ruhig. Lass irgendeine Situation aus deinem Leben vor deinem „inneren Auge“ vorüberziehen und versuch zu empfinden, was du damals empfunden hast. Schick das, was du los werden willst mit deinem Atem zurück. Wende deinen Kopf langsam von einer Seite zu anderen, wie einen Fächer, indem du ausatmest und deine vergeudete Kraft von damals wieder zurück holst, indem du einatmest. Der so genannte Fegeatem bringt dir wieder inneres Gleichgewicht.
Und schon wieder lauert die Falle. Das bringt dir dies und jenes bringt dir das. Werde zum Guru, indem du das tust oder jenes machst. Dennoch – rekapituliere, indem du dir nichts davon erwartest. Zen-Meditationen sind genauso. Man sitzt, lauscht, riecht, schmeckt, fühlt – alles hier und jetzt. Was früher war oder später sein wird, ist wie Wolken am Himmel, die einfach vorüberziehen, oder wie ein Spiegelbild, das der Spiegel zwar zeigt, aber niemals annimmt oder gar sich etwas vom Spiegelbild erwartet. Da ist nichts. Da war nichts. Da wird nichts sein.
Ysil ist verwirrt, aber sie lächelt. Jetzt hat sie ihre gesamte Welt entrümpelt. Es ist wichtig zu entrümpeln. Das ist der wahre Sinn der Rekapitulation. Brauche ich etwas? Will ich mich wirklich mit all dem Zeug vollstopfen und zu dem werden, womit ich mich vollstopfe? Nur so kann die Blase aufgebrochen werden. Aber wir wollen ja nichts, denn alles passiert, wenn es passieren soll, auch wenn nie etwas passiert ist.
Ysil lächelt.

Wer oder was ist es, der-die-das sich der Quelle ergibt und der-die-das bisher vom Ich geführt wurde? Wenn ich weder die Quelle, noch das Ich bin, was dann? Sein? Oder doch die Quelle selbst, oder auch nur einer ihrer winzigen Emanationen, wie wir bereits recherchiert haben? Es gibt ja nur die Quelle, nur Gott, aber kein Ich. Das Ich war und ist nur eine Illusion.
Aber es gibt viele Sichtweisen, wie wir bereits festgestellt haben. Unzählige Sprossen, die ans Ziel führen, wobei ja der Weg das Ziel ist oder zumindest sein soll. Schließlich wird die Leiter und auch der Weg, der das Ziel war, weggeworfen.
„Gott ist in der Wandlung. Gott pulsiert im Wandel...
Die Menschen – die sich ja selbst immerfort wandeln - haben Angst vor allem, was unstet und ewig veränderlich ist, deshalb haben sie sich etwas ausgedacht, was nicht existiert, nämlich das Unwandelbare, und sie haben beschlossen, dass das Ewige und Unwandelbare vollkommen ist. Also haben sie Gott die Unwandelbarkeit zugeschrieben. Und auf diese Weise haben sie die Fähigkeit verloren, ihn zu verstehen,“ schreib die Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk in ihrem Buch „Ur und andere Zeiten“.
Was ja auch eine sehr interessante Sichtweise ist, denn was gibt es in der Menschenwelt Ewiges oder Unendliches? Es ist durchaus erfunden, erdacht. Vielleicht geht man davon aus, wenn es das Eine gibt, muss es auch das Andere, auch stets das Gegenteil davon geben. Wenn etwas endlich ist, muss es auch etwas Unendliches geben. Aber mir fällt im Moment nichts Unendliches ein. Nicht mal beim Universum ist man sicher, ob es nicht doch endlich ist und man irgendwann an eine schwarze Wand stoßt, hinter der nichts mehr ist. Warum auch nicht?
Wenn es nun so viele Sichtweisen gibt, warum sich auf eine versteifen und sie bis aufs Blut verteidigen? So ist es mit allem in der Menschenwelt. Jeder will recht haben. Jeder will der Klügste sein.
Sagen wir nun zu allem ja und amen? Immerhin erwarten wir uns nichts mehr. Von nichts und niemandem. Einfach nur da hocken und Däumchen drehen? Warum nicht? Aber wir können auch raus gehen und beobachten. Das Leben beobachten und das ohne Urteil, ohne Vorurteil. Und nicht immer über die bösen, bösen Menschen schimpfen. Sich selbst am Genick packen, wie einen Hasen und schütteln, bis all die Schimpftiraden ein Ende haben.
Ist doch das Leben viel spannender, wenn man nicht weiß, was hinter der nächsten Ecke lauert. Außerdem lacht Gott stets, wenn man Pläne macht. Es kommt wie es kommt. Deshalb wäre das artgerechte Leben der Menschen ein ganz anderes. Es wäre planlos und aufregend, weil niemand weiß, was der Tag alles bringen wird und manchmal auch die Nacht, wenn man im Vollmond um ein Lagerfeuer tanzt.
Ysil lächelt und mit ihr Manola und auch Thygyrill kommt ein winziger Grinser in seine Tut-anch-amun-Maske geflogen, während Bela in einer der kleinen Höhlen oben im Gebirge herzhaft lacht. Arima und Sila blicken einander an und nicken stumm, während auch um ihren Mundwinkeln ein kleines Lächeln spielt.