Du sollst dir kein Bildnis machen. Dem Bild keinen Sinn geben, den es nicht hat. Wie das Leben. Sinnbildlich vermenschlicht. Aber anders geht es nicht, wenn man in einer bestimmten Blase gefangen ist, sich buchstäblich (!) in die Blase hineingestürzt hat, um zu sehen, was denn da drinnen los ist.

Sampanna ist (laut Wikipedia) ein Adjetiv auf Sanskrit und heißt „erfolgreich“, „glücklich“, heißt, du hast etwas abgeschlossen, etwas vollendet. Sampanna heißt auch „vollkommen“ und „perfekt“, eben „vollendet“. Sampanna heißt also auch „etwas Vollkommenes“. Und nicht von ungefähr ist Sampanna auch ein Beiname Shivas, dem Hindugott der Erschaffung und zugleich der Zerstörung. Der Gott des ständigen Werdens und Vergehens.
Sampanna ist der Urknall, das erste, wie auch das letzte Sein. Sampanna kann nicht erklärt werden. Man kann es sich vorstellen – wie ein Paradies, in dem alles enthalten ist, wo es noch keine wahrnehmbare Trennung gab und gibt, obwohl es die erste Trennung vom Ganzen ist. Was das Ganze ist, auch darüber lässt sich nur spekulieren. Vielleicht umhüllt es alles und vielleicht durchdringt es auch alles. Ohne es wäre wohl kein „Sein“ entstanden. Aber auch das ist Spekulation.

„Mein“ Sampanna ist Arimas Reich. Arima, in dem Kim und Maria und noch viel mehr Seelen enthalten sind, die sich in Sampanna wiedererkennen. Von hier komm ich her. Von hier schaue ich herab auf all die Blasen, die wie Seifenblasen im leuchtend blauen Himmel tanzen. Von hier stürze ich mich in all die Blasen, um all die Leben zu leben, die es zu leben gibt. Die lange Reise beginnt in Sampanna und endet in Sampanna.
Man erinnert sich an das Segelschiff im unendlich weiten Meer und an die Föten, die sich weigern, an „Land“ zu gehen, obwohl sie es gleichzeitig kaum erwarten können, sich in eine der Blasen zu stürzen. Die Wasserblasen des unendlich weiten Meeres. So begann es, obwohl es nie wirklich begonnen hat. Nichts hat jemals begonnen und nichts wird jemals enden. Auch das mit dem Urknall ist nur ein Märchen von vielen, das Realität genannt wird. Man muss sich ja ein Bild von seiner Blase machen. Man muss sie kreieren und ein Konzept entwickeln, in dem man leben kann. Das ist nicht so einfach. Man muss der jeweiligen Blase seinen Stempel aufdrängen, sonst hat sie keine Bedeutung. Zumindest bei der menschlichen Blase ist das so. Die erfundene Wirklichkeit der Menschen. Das hat schon was mit Sampanna zu tun. Alles hat etwas mit Sampanna zu tun, denn Sampanna ist die Rückfahrkarte und die ist wichtig. Die Rückfahrkarte ist das einzig Wichtige hier und jetzt.

„Du bist das“, - sagen die Weisen. „Ich bin nichts“, - sage ich. Ich bin genauso nichts wie der Stempel auf der menschlichen Blase. Alles nur Eigenkreationen, die kommen und gehen und nie standhaft sind. Bleiben tut nur das Sein und das ist am besten in Sampanna versinnbildlicht.

Man kann das Segelschiff von weitem sehen, wenn man an der steilen Küste steht. Der Weg nach unten ist gefährlich. Man kann durchaus abstürzen. Aber man kann sich nicht verletzen und man kann nicht sterben. Nicht mehr. Sampanna ist keine Todesinsel. Sampanna hat auch keine Küste und man kann von Sampanna aus nichts sehen, nichts riechen, nichts schmecken, nichts hören und nichts fühlen. Sampanna ist frei von Wahrnehmungen, denn Wahrnehmungen täuschen. Sampanna täuscht nie. Sampanna ist Wahrheit, auch wenn sie die erste Trennung vom Ganzen ist.

Dennoch sehe ich das Segelschiff von weitem, - den alten Mann, der das Großsegel rafft. Zu viel Wind kommt auf. Der kleine Michel ist unter Deck und fürchtet sich vor den hohen Wellen. Man kann die Blasen sehen, wie sie aus dem Wasser steigen und in der Luft tanzen wie Leuchtkäfer. Und ja, sie leuchten durchaus – in den herrlichsten Farben.

Man kann sich alles vorstellen. Es ist ja auch alles bloß Vorstellung. Nur haben wir es vergessen, - wir Menschen, die alles vermenschlichen und alles für bare Münze halten. Dadurch haben wir auch vergessen, dass wir noch immer im Paradies sind und mit den wundervollsten Wesenheiten in den wundervollsten Landschaften flanieren.

„Du bist das“, - heißt nicht, dass du alles bist. Es heißt, du bist bereits alles was ist. Und nun? Ist man dadurch gescheiter? Hilft es irgendwie weiter? Weiter wohin?
„Bleib stehen“, ruft Arima mich zurück und winkt unten am windigen Strand zu mir hoch. Am liebsten würde ich runter fliegen wie ein Vogel. Erkenne ich die Blase der Vögel? Die Blase eines bestimmten Vogels? Die Blase des einsamen Vogels, der zum höchsten Punkt fliegt, der keine Gesellschaft erträgt, auch nicht die seiner Art, dessen Schnabel gegen den Himmel zielt, der keine bestimmte Farbe hat und der sehr leise singt. Kein Mensch kann mit dem einsamen Vogel mithalten.
Ich bleibe nicht stehen. Ich will fliegen, Arima. Verleihe mir Flügel von einer unbestimmten Farbe und ich segle über das Meer, über alle Länder in etwas Ungewisses, in etwas, das Freund Carlos die Haare zu Berge stehen ließ, weil Don Juan es das absolut Unpersönliche genannt hat.

Menschliche Sprache und menschliche Welt - nichts anderes als irgendein Konstrukt. Puff – und weg ist irgendwann einmal alles. Was bleibt, ist Mutter Natur, die alles, was der Mensch je konstruiert hat, überwuchern wird. Vom Menschen selbst bleibt nichts, vielleicht bis auf ein paar Knochen, wie einst jene der Dinosaurier. Und unsere Lieben, unsere Gefühle und Gedanken verpuffen im Geist des Universums in dem Moment, in dem die Blase zerplatzt, so wie alle Blasen einst zerplatzen und neue entstehen werden. Ewiges Werden und ewiges Vergehen. Das ist in etwa die menschliche Erklärung der Ewigkeit.

Arima steht noch immer am Strand und blickt zum weit entfernten Segelschiff hinaus. Das Meer hat sich einigermaßen beruhigt. Der alte Mann und der kleine Michel, der sich wieder heraus getraut hat, setzen wieder das Großsegel. Es gibt viel zu tun. So viele Föten warten auf die Überfahrt.
„Erinnerst du dich noch?“ frage ich Kim, den Seelenteil in Arima, der mir am vertrautesten ist.
„Oh ja“, kommt es zurück, „Die Liebe seines Lebens vergisst man nie.“
„Vergeht sie irgendwann einmal?“
„Nein, sie ist es, die dein Herz formt, die dich zu dem macht, was du bist“, antwortet Arima und blickt lächelnd zu mir hoch.
„Du willst mich nur trösten, weil du weißt, dass ich noch immer zweifle und nichts weiß“, schmolle ich, hocke mich auf den Boden und lass die Beine über die Klippe baumeln.
„Es geht nicht um Zweifel oder Wissen. Das ist belanglos. Es geht ums Fühlen. Fühlst du die Liebe deines Lebens?“
Ich nicke stumm und verberge meine Tränen. Im nächsten Moment landet mein Drache neben mir. Er ist noch jung und hat eine unbestimmte Farbe. Wir fliegen nicht übers Meer. Wir fliegen ins Land hinein – tiefer in Sampanna hinein. Bei jedem weiteren Flügelschlag sauge ich Ruhe in mir auf, Gelassenheit. Ich lass mich vom Drachen treiben, dessen unbestimmte Farbe sich auf mich überträgt. Und mein Herz formt sich mehr und mehr zu dem, was es immer schon gewesen ist.

Über eine Welt zu sprechen/schreiben, die so perfekt ist, dass wir Menschen uns unter ihr gar nichts vorstellen können, ist schier unmöglich. Nicht einmal die Phantasie reicht dazu aus. Da lässt sich nichts mehr kombinieren, wie zwischen Mensch und Vogel, dass ein Engel dabei herauskäme, wobei ein kluger Mensch bereits darüber geschrieben hat, dass Engel vielleicht gar keine Flügel haben und auch nicht wie Menschen aussehen, sondern für uns Menschen unvorstellbare Wesen sind und zwar so unvorstellbar, dass wir sie gar nicht wahrnehmen können oder viel mehr unsere Wahrnehmung dafür nicht ausreicht. Das menschliche Bewusstsein, das sich aus dem menschlichen Gehirn entwickelt, ist nun mal begrenzt.

Sampanna ist eine Welt für sich, in die man eintauchen kann, wenn man fühlt. Wenn man mit dem Herzen fühlt, - sagt Arima. Und das ist nicht immer einfach, denn das Herz ist jener Aspekt, der mit der großen Seele verbunden ist, der ebenso – man kann es durchaus so sagen – gleichzeitig die große Seele ist. Da ist „etwas“, in das man sich fallen lassen kann und wozu man keine Flügel braucht, denn selbst Vögel tauchen in diese Welt ein. Sogar bewusster als wir Menschen, - meint Arima, der, wie ich, schon immer erkannte, dass unsere tierischen Mitbewohner uns um einiges voraus sind.
Bewusstsein ist nicht immer Bewusstsein. Sich seiner selbst bewusst zu sein ist nicht die Welt. Selbstvergessenheit lässt ein anderes Bewusstsein – nämlich den wahren Geist – aufsteigen. Sampanna zeigt es mir, als ich mit dem Drachen immer tiefer in es eintauchte. Und irgendwo erklingen die Glocken eines uralten, mystischen Tempels, der mich an vieles erinnert und nichts vergessen lässt, was das Herz je formte.

Die Föten weigern sich an Land zu gehen. Es gibt Probleme auf dem Segelschiff. Man kann sie dort nicht behalten. Auf dem Schiff ist nur Platz für den alten Mann und dem kleinen Michel. Die Föten können nur wenige Momente transportiert werden. Ein Zurück gibt es nicht. Nicht auf diese Art. Entweder sie gehen an Land oder sie werden ins Meer geworfen.
Man nennt sie die Totgeburten, oder auch jene, die bereits im Mutterleib absterben und als Abortus enden. Kleine Vogelbabys ohne Federn sieht man manchmal unter Bäumen. Gerade aus dem Ei geschlüpft und schon aus dem Nest gefallen. Selbstmord eines Vogelbabys.
Aber diese Föten weigern sich sogar gegen Totgeburten. Sie wollen mit dem Land nichts mehr zu tun haben. Mit keiner einzigen Welt. Sich auf keinen Fall in eine dieser verhexten Blasen stürzen.

Ich höre von diesem Vorfall, als der Drache mit mir irgendwo landet, das man durchaus einen wunderschönen Garten nennen kann. Oder eher eine Parkanlage, die wie von Menschenhand gezaubert, aber gleichzeitig auch natürlich entstanden wirkt. Ich muss wohl nicht wiederholen, dass diese Beschreibung hinkt, denn nichts hier kann beschrieben werden. Nicht mal die Phantasie reicht dazu aus.
In diesem wunderschönen Garten flanieren wunderschöne Wesen. Drei Wesen stehen beieinander und erzählen sich die Geschichte mit den Föten und wie sehr der alte Mann und der kleine Michel auf dem Segelschiff in Nöten sind.

Es fing schon mit dem Meer an. So stürmisch war es noch nie, als würde es sich weigern, die Föten mitzunehmen. Mit den Schiff kam das Meer klar. Das war schon ein Teil von sich selbst geworden, samt dem alten Mann und dem kleinen Michel. Das war eine Dreieinigkeit, die nicht mehr zu trennen war, - sozusagen eine Notwendigkeit, um den Kreislauf stabil zu halten. Doch nun gab es Protest. Zuerst vom Meer, das sich aber wieder beruhigte und jetzt von den Föten, die sich teilweise selbst ins Meer gestürzt haben und mehr als schrumplig waren, dass man gar nicht mehr sagen kann, in welche Blase sie sich vor ihrem Protest haben stürzen wollen.

„Da lässt sich nichts machen“, höre ich ein besonders schönes (besonders schön sind sie jedoch alle) Wesen sagen. „Aber das würde das Meer verunreinigen“, meint ein anderes besonders schönes Wesen. „Das Meer reinigt sich selbst, aber die Föten wären in einem sehr unnatürlichen Kreislauf gefangen“, säuselt ein anderes besonders schönes Wesen.
Schließlich sehe ich Arima auf einem schwarzen Einhorn in den wunderschönen Garten reiten. Mit einem Schwung hechtet er sich auf den Boden und lächelt mir zu, während er auf die drei besonders schönen Wesen zugeht und versucht, sie zu beruhigen. Es ist nämlich gar nicht gut, wenn in Sampanna Unruhe herrscht.
Was heißt nicht gut! Es ist unmöglich, denn Sampanna ist perfekt! Oder ist es nur so lange perfekt, solange man nicht darüber spricht/schreibt?

Der Film ist schon lange fertig. Abgespult. Alles schon passiert und doch ist nie etwas geschehen, weil es nur ein schlecht gemachter Film ist. Und er läuft noch immer. Bild für Bild. Auf einigen Bildern sind wir verewigt. Ewiglich unauslöschlich. Das Hamsterrad ist zur Filmspule geworden. Und die Spule dreht sich und dreht sich. Ist sie beim letzten Bild angelangt, geht es von vorne wieder los. Man kann gar nicht so schnell schauen, ist zurück gespult und das Ganze geht wieder von vorne los. Determinismus pur. Alles schon geschehen und doch ist nichts passiert, weil wir nichts passieren lassen können. Es passiert alles von selbst. Von ganz alleine. Ganz ohne unser Zutun.

„Lass alles fahren“, - sagt Arima.
„Lasset, die ihr hier eintretet, alle Hoffnung fahren“ - schrieb Dante in der Göttlichen Komödie. Und die ist wirklich göttlich.

Im wahrsten Sinne des Wortes „Gott“. Lug und Trug. Traue keinem, am wenigsten dir selbst. Glaube nichts, denn von Wissen kann ohnehin keine Rede sein. Fühlen? Jetzt ist nicht einmal das angesagt.

Werde wie ein Stein. Oder doch wie Wasser, das unaufhaltsam über jedes Hindernis hinweg fließt? Weder dies noch das. Sei einfach.

Die drei Grazien spazieren weiter. Jede für sich in eine andere Richtung. Arima kommt auf mich zu und lächelt. Er lächelt meistens. Er ist das Lächeln. Das Lächeln das „sei einfach“ sagt. Mehr gibt es nicht zu tun. Und es ist ganz einfach, nichts zu tun. Wenn man es erst mal heraußen hat.

Die Klippe, auf der ich saß und zum Strand, zum aufwühlenden Meer hinunterblickte, war dieselbe Klippe, auf der Kim einst saß und all die „Geister“ sah. Es war eine Dimensionsverschiebung, da er dachte, es sei in der Nähe von Los Angeles oder einer ähnlichen Stadt, als er damals mit seiner Band auf Tour war. Es war hier in Sampanna – seinem Reich, das die Vollendung aller vor der großen Vereinigung ist.

Früher war alles vor dem „Endkampf“, der weder gewonnen noch verloren wurde. Es hat sich sozusagen von selbst erledigt, so wie sich immer alles scheinbar (!) von selbst erledigt. Jetzt ist alles vor der großen Vereinigung. Vor dem „Big One“, das ohnehin immer IST.

„Sie stiegen wie Blasen auf, deshalb nannte ich es Bewusstseinsblasen oder Wahrnehmungsblasen, denn einige der Wesen sind sich nie bewusst, dass sie sind. Sie sind einfach. Gedankenlos, dennoch nehmen sie wahr. Deshalb auch Wahrnehmungsblasen. Ich hockte da oben und blickte in die Weite des Himmels und der herrlichen Landschaft, die durch den Sonnenuntergang in rotes Licht getaucht wurde. Es dauerte nicht lange, bis alles dunkel war – ein dunkles, teilweise phosphoreszierendes Blau, aus dem plötzlich so etwas wie Blasen auftauchten. Ich konnte und kann es nicht anders benennen, obwohl ich weiß, dass es keine Blasen waren“, erzählt Arima, als wir durch die Landschaft von Sampanna wandern, wobei es natürlich keine Landschaft ist – so wie es keine Blasen waren, die Kim einst sah und dabei erkannte, dass jede einzelne Spezies der Erde in seiner eigenen Welt lebt und sich gegenseitig dennoch wahrnehmen kann.

Malerei, Poesie, Kunst im Allgemeinen, wie auch jegliche Kreativität – alles menschlich. Oder existieren irgendwo Planeten, auf denen es Ähnliches gibt? Was sagen die Blasen? Sie sagen „Ja!“ Ähnliches gibt es, aber kein Ei gleicht dem anderen. Das soll man nie vergessen. Kein Grashalm gleicht dem anderen, kein Staubkorn dem anderen. Die Formen sind sich ähnlich, aber niemals gleich. Gleichheit ist im offenen Universum vergebens zu finden.

Menschlich gesehen herrscht auf Sampanna Einsamkeit und Gleichheit. Alles gleicht sich an, passt sich an. Alles verschmilzt ineinander, miteinander. Alles fließt zusammen, so wie alles Wasser im Meer vereint wird. Die Vorstufe zum Einen Geist. Man muss lernen, wie es ist, loszulassen – sich selbst los zu lassen. Körperlos zu sein. Wie ein Blatt im Wind sich leiten lassen. Kein Ich mehr. Kein Wille, den es ohnehin nie wirklich gab. Scheinbar konnten wir uns entscheiden, dabei war alles schon geplant. Der Plan der großen Quelle.

Das offene Universum, kurz bevor sich die Quelle wieder schließt. Das nennt man Sampanna. Vollkommenheit, Glückseligkeit, zu der man fast gezwungen wird, da man das alte Schema nur ungern aufgibt. Gewohnheitstiere. Nur nichts ändern. Never change a winning team! Haben wir denn gewonnen? Weder noch! Wie immer. Alles nur ein Spiel auf der großen Spielwiese, genannt Universum.

Arima lächelt mir nickend zu – oder nickt mir lächelnd zu, aber im Grunde genommen ist es keines von beiden. Ich bin in Arima und er ist in mir. Ich bin in Sampanna und Sampanna ist in mir. Da hilft nicht einmal das Fühlen, denn das fällt auch unter die Rubrik „Menschliches“. Man kann es auch die menschliche Bewusstseinsblase nennen, die besonders dicht und schwer zu handhaben ist.

Was ist eigentlich mit den Föten passiert? Das hat sich auch wie von selbst geregelt. Sie schwammen an Land, nachdem sie alle vom Segelschiff gesprungen sind oder viel mehr vom Schicksal gezwungen wurden zu springen. Das Schicksal ist eine zwingende Macht. Es zwingt uns Dinge zu tun, zu sagen oder zu denken und doch scheint es, als ginge das alles von uns selbst aus. Und wie stolz wir dann auf manches sind! Oder wir schämen uns, was die andere Seite der Medaille ist. Die Föten sind nicht stolz darauf (sie schämen sich aber auch nicht), an Land geschwommen zu sein, so wie einst die Fische, deren Flossen angeblich zu Beinen wurden und ihre Kiemen sich in Lungen verwandelten. Aber wer versteht schon die Evolution des Universum, wenn er in der Zeit gefangen ist? Wahrscheinlich gab und gibt es gar keine Evolution und und es ist und war schon immer alles da. Alle Universen – die offenen, wie die geschlossenen.

Die Quelle der Kraft ist das Mysterium. Sampanna ist die Vorstufe. Aber wozu? Sampanna ist genauso eine Welt wie alle anderen. Wer kann schon behaupten, dass es etwas Erstes und etwas Letztes gibt? Nur die, die in der Zeit gefangen sind. Sampanna mag der Götterhimmel sein, in dem Wesen so alt werden, wie auf Erden manche Bäume. Aber auch sie müssen mal Abschied von ihrem Dasein nehmen, so schön es in dieser idyllischen Ungezwungenheit auch sein mag. Und dann? Dann beginnt alles wieder von vorne. Die Quelle der Kraft öffnet sich wieder und entlässt alle ihre Kinder wieder auf der großen Spielwiese. Dort können sie sich nach Lust und Laune austoben.

Meint man! Aber niemand denkt an den Haken an der Sache. Es gibt nämlich noch eine Macht dahinter, die verhindert, dass zu viel ausgetobt wird. So ein Sicherheitsventil oder eine Art Versicherung (man nennt es auch „Schicksal“), nicht alles zu zerstören. Wie erwähnt, es beginnt immer wieder alles von vorne und da sollte das Gerüst schon erhalten bleiben. Die Quelle der Kraft scheint ihre Kinder gut zu kennen. Vor allem ganz bestimmte von ihnen, die sich daran setzen, das Universum von Planet zu Planet zu erobern, um einen nach dem anderen zu zerstören.

„Selbstmörder sind das alle“, meint der alte Mann, der nur selten spricht. Damit meint er nicht nur jene Föten, die vom Schiff ins tosende Meer gesprungen sind, sondern alle, die vorhaben, sich in bestimmte Blasen zu stürzen. „Aber wenn sie's nicht tun“, sagt der kleine Michel, „wird in den Blasen nichts geboren.“ „Dann kann auch nichts sterben und das gleicht sich aus“, kontert der alte Mann.

Die beiden reden selten. Vielleicht zu selten. Dennoch – Schweigen ist immer besser als reden. Man redet einfach zu viel. All zu viel. Man profiliert durchs Reden. Will zeigen, was und wie man denkt und ist obendrein noch stolz darauf. Als ob man dafür könne, wie sich das Gehirn entwickelt. „Da schaut her, was ich alles weiß und wie gut ich über alles denke!“ Alles Quatsch. Und irgendwie zum lachen. Sich selbst auslachen, ist das beste, was man tun kann. Lachen ohne Ende. Oder einfach nur lächeln. In sich hinein lächeln.

Schweigen. Und vielleicht zuhören. Das ist wie Geben und Nehmen. Wer nimmt, quasselt ohne Ende, aber wer zuhört, gibt. Gibt Aufmerksamkeit. Man kann auch was lernen. Man kann andere Standpunkte erkennen. Nicht immer nur den eigenen, der sich kaum von der Stelle bewegt. Vielleicht bewegt sich dann ja was, wenn man andere Standpunkte erkennt und ebenso wie den eigenen akzeptiert. Den Montagepunkt bewegen. Dann tut sich was. Anker los, Segel setzen und auf ins neue Abenteuer!

Friede. Stille. Nichts tun. Nichts tun müssen. Sich nicht einmal um Nahrung oder ein Dach über dem Kopf sorgen. Nur DA sein. Weder sitzen - noch liegen - noch stehen. Nur DA sein. Sein. Reines Sein. Sich um nichts kümmern. Einfach alles geschehen lassen, auch wenn einem gerade eine Taube auf den Kopf scheißt, während man unter einem Baum sitzt und meditiert. Es macht nichts. Man ist ja einfach nur. Ohne irgendein Zutun. Nichts zu tun. Nichts zu machen. Erlösung.

Die Segel blasen sich auf. Sie tun nichts dagegen und auch nichts dafür. Es ist der Wind, der auch nichts dagegen und nichts dafür tut, dass er bläst. Das ist nun mal seine Natur. Was ist des Menschen Natur? Das Ego. Sich wichtig machen und sich wichtig nehmen. Aufblasen wie Segel im Wind. Liebe? Auch nur ein Wort wie so viele, die Mensch in den Mund nimmt. Mensch! Was für ein Mensch! Freches Mensch! Böses Mensch!

Arima schüttelt den Kopf. Diesmal ohne Lächeln, als möchte er sagen: „Sei nicht so streng mit dir.“ Oder „Das Leben ist schön!“ wie im gleichnamigen Film, in dem schließlich gezeigt wird, wie beschissen und verlogen das Leben sein kann. Und jetzt kommt Arima rüber, packt mich an den Schultern, schüttelt mich – schüttelt etwas aus mir raus und da ist dann wieder Friede. Stille. Nichts tun müssen...

Rückzugsort. Den Frieden finden, der man selbst ist. Unmöglich? Nicht auf (in) Sampanna. Wir wollen nicht mehr für etwas büßen, wofür wir nichts können. Wir wurden nun mal so gestrickt (gewebt?) und haben uns nichts zu verzeihen.

Das Segelschiff ist leer. Seit die letzten Föten von Bord gesprungen und mit letzter Kraft an Land geschwommen sind, gibt es keine neuen Passagiere mehr. Der alte Mann und der kleine Michel wundern sich aber nicht. Es wird ja Zeit, mal Ruhe zu haben. Falls man es zeitlich sieht, denn hier spielen Zeit und Raum keine Rolle, um das ja nicht zu vergessen.

Manchmal hört man Geräusche, als würden Seifenblasen platzen. Irgendwo etwas weiter drinnen im Land (!) von Sampanna spielen Kinder auf einer Blumenwiese. Von ihnen kommen die Seifenblasen, die hoch steigen und ihre Fahrt zum Meer aufnehmen. Manche zerplatzen. Manche früher und manche später. Man könnte diese Kinder auch „Engel“ nennen, denn sie verändern sich nie. Sie werden nicht größer oder erwachsen. Elfen oder Feen könnte man sie auch nennen.
Irgendwo auf dieser Wiese steht ein alter Webstuhl und eine wunderschöne Frau sitzt davor und webt und blickt sehnsuchtsvoll in Richtung Meer.

Penelope webt ihren unendlichen Teppich. So lange, bis Odysseus, ihr Mann, von der See zurück kommt. Zwischendurch löst sie das Gewebe auf, wenn ihre Bewunderer zu aufdringlich werden. Dadurch kommen die Ungeborenen zum Meer und berichten (unter anderem) dem alten Mann von den neuen Blasen, die von den Engel kreiert wurden.

Es ist verboten, die Wiese zu betreten. Dort werden neue Häuser gebaut, sagen sie. Als würde es auf (in?) Sampanna Verbote geben! Dass ich nicht lache. Ich möchte doch nur heraus finden, was an der Geschichte Wahres dran ist: Die Irrfahrten des Odysseus und seine schöne, getreue Ehefrau. Jetzt fehlt nur noch die Erklärung welche Bedeutung der kleine Michel hat. Welche Rolle spielt er in diesem Drama?

Von nichts kommt nichts und nichts ist alles. Soll das die Antwort sein? Na ja, wenigstens einen Matrosen braucht er, der alte Mann. Er kann nicht alles alleine machen. Matrosen sind die guten Geister auf dem Schiff. Sie regeln alles. Sie helfen den Föten an Land, denn nie und nimmer würde sich der alte Mann die Finger schmutzig machen. Aufgelöstes Gewebe ist ihm nicht geheuer, obwohl es ihm immer wieder die Treue seiner Frau erklärt.

Jung und schön war er, als er in See stach. Wortwörtlich stach er den Boden auf und Wasser kam aus den aufgestochenen Löchern. Unendlich viel Wasser, das sich unendlich ausbreitete und an den Küsten und Stränden von Sampanna züngelte. Er wurde plötzlich alt. Sein Haar wurde weiß, der Bart wuchs weiß, die Haut wurde faltig und die Bewegungen waren nicht mehr das, was sie einst waren, als er sich plötzlich auf dem Segelschiff befand.

Sie haben nach Austern und Krebse gesucht. Junge, starke Burschen, die noch dazu frisch verliebt waren. Hochzeiten sollte es geben. Viele Hochzeiten. Sie stachen am Boden herum und dann kam das Wasser und verschlang sie erbarmungslos. Wäre da nicht das Segelschiff gewesen. Einer schaffte es und er nahm einen kleinen Jungen mit auf das Schiff, der beim Suchen nach Austern und Krabben nur daneben stand und zusah. Das Schiff tauchte übrigens aus dem Nichts auf. Es wurde nicht gebaut so wie einst von Noah. Sonst müsste man sich doch auch fragen, woher das Land kam und das viele Wasser und die jungen, starken Burschen, die sich schon auf ihre jungen, schönen Frauen freuten. Die jungen, schönen Frauen weinten, als sie das Wasser sahen. Nur eine weinte nicht. Sie ging weiter ins Land hinein und fand diese blühende Wiese, auf der ein Webstuhl stand. Sie begann aus dem Nichts zu weben und zu weben und blickte zum Meer hinaus, wo sie ab und zu von weit, weit weg ein Segelschiff sah, auf dem sie nur sehr unscharf zwei Personen ausmachen konnte und tief in ihrem Herzen spürte, dass eine davon ihr Liebster ist, der irgendwann einmal wieder als junger, starker Bursche zurückkehren wird, denn nur das Meer macht alt.

Sinnbildlich. Dem Bild einen Sinn geben. Im Bild enthalten sein und vor allem sich enthalten. Dem Bild (der Blase!) seinen Stempel aufprägen. Geprägt und versinnbildlicht. Wie kommt es, dass die Blasen Welten bedeuten? Da müsste man die Engel fragen. Auch sie sind versinnbildlicht. Genauso wie Penelope, die gar nicht Penelope heißt, denn der alte Mann ist nicht Odysseus. Aber die Geschichte passt. Es gibt viele Geschichten, die einiges erklären, was ohne Geschichten nicht verständlich wäre. Man darf dabei aber nie vergessen, dass es nur Allegorien sind und nicht die Wirklichkeit ist, wobei das Wort „Wirklichkeit“ aus dem Sprachschatz der Menschheit getilgt werden sollte. Zu „Wirklichkeit“ gibt es keine Erklärung, nicht einmal eine versinnbildlichte.

Die Wirklichkeit verwirklicht sich und das Verwirklichte ist nicht mehr wirklich. „Was soll man da machen?“ scheint mich Arima zu fragen und bricht dann in schallendes Gelächter aus. Es ist ja auch zum Lachen, was für Gedanken fabriziert werden, um sich einigermaßen lebendig und wichtig zu fühlen. Lebendig vor allem. Trotz der vielen Totgeburten. Wir wurden alle tot geboren. Dazu könnte man durchaus „wirklich“ sagen. Was aber lebt? Was ist Leben?

Penelope, die nicht Penelope heißt, blickt wieder sehnsuchtsvoll Richtung Meer. Irgendwann wird sie sich vom Webstuhl erheben, die Wiese runter zur Küste laufen, den steilen Weg nach unten zum Strand und „Ein Schiff wird kommen“ singen. Irgendwann – in absehbarer Zeit, denn es sind bereits zu viele Blasen, die zerplatzen, was so viel bedeutet, dass es viele Welten nicht mehr gibt, weil ja auch keine Föten mehr transportiert werden.

Die Welt mit anderen Augen wahrnehmen. Wie die Schichten einer Zwiebel. Sich durch arbeiten bis zur Vollkommenheit, die dann nichts mehr mit Wahrnehmung zu tun hat. Immer tiefer eindringen in das, was Universum genannt wird, was aber nichts anderes ist als Wahrnehmung. Wir, die Wahrnehmenden nehmen das Wahrgenommene so lange wahr, bis wir erkennen, was wir wirklich wahrnehmen. Nichts als uns selbst. Verwirrend?

Die Welt ist in dir, heißt es doch unter gewissen Erleuchteten. Man kann es verstehen wie man will und doch ist es offensichtlich, denn die Welt ist das, was man glaubt, was sie ist. Einen anderen Glauben annehmen und schon ist die Welt nicht mehr das, was sie vorher war. Schließlich stehen wir vor uns selbst. Spiegel lügen nicht.

Nur nicht den Mund zu voll nehmen, warnt mich Arima, denn all das beruht auf Erfahrung und nicht auf Spekulationen. Er habe die so genannte Zwiebel bis zum Kern durchdrungen. Nun geht es ans Eingemachte – an die Kernspaltung. Wagt es wirklich jemand, sich selbst zu spalten, um zum Wahren vorzudringen?