Das ewige Öffnen und Schließen der Quelle. Mal Raum (formgebend) und Zeit (handeln) und mal Eins ohne ein Zweites. Das Nichts, die Leere - worüber Mensch nicht sprechen kann und es auch nicht sollte.

Das Segment, ein winziges Teilchen des Ganzen – alles viel zu klein, um so etwas wie „verstehen“ zu erwähnen. Wir erforschen das Universum und uns selbst. Wir machen uns sie Welt, aber nie wie sie uns gefällt, sondern wie sie uns einengt und zerstört. Warum? Wir hätten auf den Bäumen bleiben sollen oder wenigstens in den Höhlen. Aber sobald der erste Tauschhandel passierte, ging alles in die falsche Richtung. Falsch oder einfach nur menschlich? Wahrscheinlich menschlich – allzu menschlich...

Arima erkennt sich selbst im neuen Universum (der kleine, dicke Mann). Das Schließen der Quelle – die allerletzte Kernfusion – es geschieht immer wieder, obwohl nicht wirklich etwas passiert. Können wir so nicht sagen, denn das Segment, die Blase – alles viel zu klein. Wie ein Punkt in einem unendlichen Buch. Der Punkt sagt uns nicht, was alles im Buch steht.

Herr und Frau Jankovic erscheinen auf der Bildfläche. Es hat „plopp“ gemacht. Laut und deutlich, wie man es spricht: „Plopp!“ Mit Ausrufezeichen. Da stehen sie nun und blicken um sich. Nicht wirklich erstaunt. „Ich hab es dir ja gesagt“, ruft Frau Jankovic erfreut aus.
Es war, als wären sie durch eine Gummiwand gepresst worden, was das laute und deutliche Plopp ausgelöst hat. Durch eine gummierte Leinwand, da Herr und Frau Jankovic auf der Bildfläche erschienen sind. Und jetzt sind sie da.

Arima nimmt mich versöhnlich beiseite, als ich – nach so was wie „Normalität“ ringend – das Paar betrachte, wie es Hand in Hand um den Webstuhl schleicht, auf dem die vermeintliche Penelope ihre Kinder oder sonst was webt. „Musst du immer alles interpretieren?“ scheltet er mich. „Kannst du nicht einmal alles so erkennen, wie es ist? Ohne Wahrnehmung?“
Kann ich nicht, da ich ein wahrnehmendes Wesen bin. Ich sehe. Ich höre. Ich rieche. Ich schmecke. Ich ertaste. Ich phantasiere. Alle sechs Sinne sind da. In mir. Oder bin ich diese sechs Sinne?

„Es ist nur eine andere Wahrnehmung“, sinniert Herr Jankovic, „nur, dass unsere Tochter nicht am Klavier sitzt und spielt, sondern an einem Webstuhl und Musik webt.“ Wie schön formuliert. Musik kann man also auch weben. Herrlich!

Herr und Frau Jankovic sind nicht in einer anderen Welt. Sie nehmen die Welt nur anders wahr. Es gibt also gar nicht verschiedene Welten, sondern nur verschiedene Wahrnehmungen. „Und warum schimpfst du mich aus, weil ich wahrnehme?“ frage ich und Arima dreht genervt die Augen über, was ich gar nicht sehen dürfte, da es sich ja auch um Wahrnehmung handelt.

„Geist, Energie (die sich nicht messen lässt), Bewusstsein, Seele, das Eine oder wie immer die Wirklichkeit genannt wird, unterscheidet nicht. ES kennt kein Gut, kein Böse, kein Groß, kein Klein, usw. Was aber gut, böse, groß, klein, usw. kennt, sind die Verwirklichungen, die mit den Unterscheidungen 'arbeiten'.“

Seit wann hält Arima Vorträge? Seit ich ihm Bücher gebracht habe, aus denen er zitiert oder rezitiert oder... Ist es denn die Wahrheit? Was ist Wahrheit? Die Welt, wie wir sie wahrnehmen, oder die Welt, wie sie ist? Wie ist sie denn? Wie wir sie wahrnehmen. Tatsächlich?

Herr und Frau Jankovic lachen aus vollem Halse über dieses Gespräch und auch über Arimas Ansprache, die er in einem der unzähligen Pavillons hält. Meist ist es der große, weiße Pavillon, der mit überaus bunten Blumenbeeten umrahmt ist. Herr und Frau Jankovic lachen auch über meine eben erwähnte Beschreibung dessen, was sich nicht beschreiben lässt. Herr und Frau Jankovic lachen über alles. Sie haben erkannt.

„Vergleiche nicht. Mach nichts gleich mit anderem. Auch wenn es so erscheint.“
„Aber der Fluss gleicht dem Menschenleben. Sanft gleitet er aus der Quelle, stürmisch ist er in seiner Jugend, wie er sich zwischen Felsen schäumend wild seinen Weg bahnt, schließlich wird er als Strom ruhiger, aber breit und kräftig, bis er ganz still, fast unbemerkt sich mit dem großen Meer vereint.“
„Weit weg von der Quelle. Hast du das bedacht? Womit vergleichst du die Quelle und womit das Meer?“
„Die Quelle vergleiche ich mit Geburt und das Meer mit Tod. Das dazwischen ist Veränderlichkeit. Das große Geheimnis aber, mein Lieber, werden wir nie ergründen, weil wir selbst es sind. Das Auge erkennt alles, nur nicht sich selbst.“
„Ach, schon wieder so ein unvollkommener Vergleich.“
„Ja, auch Unvollkommenheit liegt zwischen Quelle und Meer, Geburt und Tod.“

Neue sind angekommen. Es ist ein Kommen und Gehen. Wie kann es einen nur danach verlangen, von hier zu gehen? Langeweile kann es nicht sein. Aber vielleicht haben sie noch etwas zu erledigen. Die beiden Philosophen, deren Gespräch wir eben belauscht haben, haben auf jeden Fall noch etwas zu erledigen. Bin mal gespannt, wie lange sie in Sampanna bleiben.

„Ihr seid nicht mehr Herr und Frau Jankovic“, versucht ein Engelwesen zu erklären, so weit ich es verstehen und vor allem interpretieren kann. „Wissen wir“, meint Frau Jankovic lächelnd und spricht in einem Schwall weiter, als würde prickelndes Wasser aus einer Quelle plätschern: „Wir sind auch nicht die Föten gewesen, die nicht an Land gehen wollten.“ „Was wisst ihr über die Föten, die nicht an Land gehen wollten?“ fragt das Engelwesen und schon stoßen andere Engelwesen hinzu, die Herrn und Frau Jankovic umringen. „Das war ganz seltsam“, beginnt Herr Jankovic, während Frau Jankovic als Zustimmung ständig mit dem Kopf nickt, als wäre sie ein Perpetuum Mobile, „wir befanden uns wieder einmal auf dem riesigen Segelschiff. Den alten Mann und den kleinen Michel erkannten wir sofort wieder.“

„Lass den Quatsch, Manola“, nimmt mich Arima wieder mal beiseite. „Deine Interpretationen bringen nichts.“ „Doch, es macht Spaß, Vatermutter“, lache ich und zeige ihm sogar die Zunge,weil ich weiß, dass er die Benennung „Vatermutter“ und das Zunge-zeigen nicht mag.

„Ihr erinnert euch?“ fragt ein Engelwesen überrascht. „Ja, schon das dritte Mal. Aber wir erinnern uns nicht daran, wie wir auf das Segelschiff gekommen sind. Plötzlich waren wir da. Wie aus dem Nichts. Diesmal war es aber anders. Wir spürten alle eine Art Widerwillen, als hätten wir uns nicht dazu entschieden, als Föten an Bord zu gehen. Man sagt ja, dass wir selbst uns dazu entscheiden, dass uns nichts und niemand dazu zwingt, an Bord und dann an Land zu gehen. Deshalb wollten wir diesmal streiken. Aber irgendwie landeten wir alle im Wasser und schwammen dann doch an Land. Dann kam halt wieder die alte Leier. Geboren werden, irgendwas lernen, Beruf, Hochzeit, Kinder, vielleicht Enkelkinder und schließlich das Sterben. Wir beide sind bereits das zweite Mal gemeinsam gestorben. Das ist besser so. Es ist immer so traurig, wenn einer zurück bleibt.“ „Wisst ihr auch etwas über die so genannte Gleichzeitigkeit?“ fragt ein Engelwesen scheu und den anderen wuchsen plötzlich die Ohren doppelt so groß. Jetzt wirken sie mehr wie Elfen und zwar jene, mit den langen, große Ohren. „Das ist uns inzwischen auch schon aufgefallen“, erwidert Frau Jankovic und hört mit dem Kopfnicken auf, derweil ihr Mann damit anfängt, während sie spricht: „Es ist, als würde alles immer wieder passieren und das in einem einzigen Moment. Mal ist da ein Universum, mit all seinen Lebewesen und mal ist da kein Universum und auch keine Lebewesen. Aber das macht keinen Unterschied, denn wenn mal ein Universum, samt Lebewesen ist, ist es gleichzeitig kein Universum und es gibt auch keine Lebewesen. Umgekehrt ist es genauso: Wenn da mal kein Universum und keine Lebewesen sind, dann ist da gleichzeitig ein Universum, samt Lebewesen. Es ist immer alles da, aber gleichzeitig auch nicht da.“

„Jetzt steigen sie auf“, murmelt Arima und ich kann sehen, wie sich Herr und Frau Jankovic in Engelwesen verwandeln und in die Runde der Engelwesen aufgenommen werden, die sie umringen. „Schön“, meine ich etwas neidisch, weil ich weiß, dass diese Verwandlung bei mir noch Äonen dauern kann. Arima kichert und setzt hinzu: „Wenn du erkennen könntest, was die ehemalige Frau Jankovic erklärt hat, würdest du auch erkennen, dass 'es' schon passiert ist.“

Wenn sie nicht mehr Herr und Frau Jankovic sind, sind sie jetzt Engel? Weder noch. Ich würde sagen, sie sind Wahrnehmung. Sie nehmen sich selbst und die Umgebung wahr. Aber Wahrnehmung ist Täuschung. Was zählt, ist Erkenntnis.

Einmal sagte einer, alles Unglück kommt vom Ich. Der Ichgedanke produziert die Welt. Man muss zurück zum Selbst und alles andere aufgeben - die Welt, alle Glaubenssätze und Vorstellungen – und wenn all das nicht mehr da ist, bist du du Selbst, Freiheit, bedingungsloses Gewahrsein.

„Alles Schwachsinn“, sagt Arima und setzt wieder einmal sein geheimnisvolles Lächeln auf. Er hockt noch immer mitten im Pavillon und hat rund um sich herum unzählige Masken liegen. Jetzt hat er sich die Maske mit dem geheimnisvollen Lächeln aufgesetzt. Aber er nimmt sie wieder ab und setzt eine Maske ohne Lippen auf. Worauf er sie setzt? Auf etwas Weißem, das ich nicht deuten kann. Ich sehe es nur kurz. Eigentlich sehe ich es gar nicht. Es ist eher ein Gefühl und bald nicht einmal mehr das. „Wir sind Masken“, vernehme ich Arimas Stimme. Ist es denn eine Stimme? Höre ich? Sehe ich?

Alles Schwachsinn. Alles Quatsch. Alles so typisch für Kim-Arima.
Haltet die Augen offen und die Ohren, aber seid stumm und berührt nichts. Vom Riechen kann gar nicht die Rede sein. Überall nur Masken. Die Maskenpflanzen. Die Maskentiere. Die Maskenmenschen. Die Maskenengelwesen. Die Maskengeschwüre rund herum. Alles Masken. Maskenball. Es darf getanzt werden. Shiva bittet darum.

Verkleidet sich Gott, die Quelle, der Geist so gerne? Und doch bleibt er unberührt davon. Als ich klein war und als Indianerin auf einen Kindermaskenball ging, war ich noch immer ich und keine kleine Indianerin. Ich war nur als kleine Indianerin verkleidet, obwohl ich mich wie eine kleine Indianerin fühlte. Unberührt. Aber Spaß haben. Ja, so sollte es sein. Genauso!

Sinnbildliches. Ist wie verwaschene Bettwäsche. Man träumt vielleicht gut darin, aber schließlich wacht man wieder auf und alles ist beim Alten. Ja, auch solche Vergleiche gibt es und sie bringen genauso viel wie alle anderen.

Ich bin dafür alles aufzugeben. Nichts mehr für bare Münze nehmen. Die Münzen gehören eh dem Kaiser. Gebt des Kaisers, was des Kaisers ist. Und wohin gebe ich alles andere? Danach kräht doch kein Hahn.
„Gibs dem Geist zum Fraß!“ ruft mir Arima zu, der eben auf einem stolzen, schwarzen Einhorn an mir vorbei reitet. Was der immer für Ausdrücke hat. Na ja, langweilig wird es auf/in Sampanna nie.

Was, du hast keine Meinung? Dann hast auch kein Rückgrat. Man muss zu sich selbst stehen. Sich entwickeln.
Ja, auswickeln aus all dem Dreck, der picken geblieben ist und sich nur schwer heraus waschen lässt. Und dann ist alles verwaschen, wie die alte Bettwäsche, in der es sich so schön träumen lässt. Der Geist hilft beim ent- und auswickeln. Die Müllmaschine schlechthin. Frisst alles in sich hinein, wird aber nicht berührt davon. Macht ihm nix aus. Gar nix. Und warum nicht? Weil es nichts ist, das er in sich hinein frisst. Illusionen, Vorstellungen, Mumpitz halt!

„Gut gemacht!“ schreit Arima wieder und es sieht so aus, als würde das stolze, schwarze Einhorn mit ihm durchgehen. Macht auch nix. Sind doch beide fürchterliche Windfänge. Oder so was Ähnliches. Was hab ich gut gemacht? Hab doch gar nichts gemacht. „Eben!“ höre ich noch den Ruf, dann fliegt Arima mit dem stolzen, schwarzen Einhorn in die Wolken hinein, denn dort oben gibt es ein wunderschönes Wolkenschloss, das ich vielleicht demnächst besuchen werde. Hab nämlich genug von verwaschener Bettwäsche.

Neustart. Alles wieder von vorne. Oder das Pferd von hinten aufzäumen? Weg mit leeren Sprüchen und allen anderen Konzepten und all den Phantomen, die ständig irgendwelche Masken austauschen um zu täuschen. Tauschen um zu täuschen. Darauf muss man erst kommen.
Wir brauchen kein System mehr. Richten wir uns nach der Natur. Sie war immer die führende Kraft. Bis der Mensch kam und alles ruinierte. Durch sein Menschensystem.

So dachten die Föten und weigerten sich an Land zu gehen, was sie dann aber doch taten und versuchten, ihr Denken an Land umzusetzen. Es bildete sich ganz im Süden des Landes eine kleine Gruppe kleinwüchsiger, menschlicher Wesen, die spitze Ohren und durchwegs rotes Haar hatten. Die Kleinwüchsigen langweilten sich und begannen zu forschen. Sie forschten und entwickelten so lange, bis sie den Standard erreicht hatten, der die natürliche Umwelt zerstörte.

Der Ouroboros beißt sich ständig in den Schwanz, denn das ist nun mal sein Wesen. Von wegen Unendlichkeit! Er frisst sich schließlich selbst auf und zerstört sich dadurch. Das Wesen der menschlichen Rassen ist seinem sehr ähnlich, denn es ist zu entdecken, zu forschen, zu entwickeln und schließlich, einschließlich sich selbst, zu zerstören.

Wenden wir uns lieber dem Wolkenschloss zu, in dem die Engelwesen und viele andere thronen. Es ist auch der Ort, an dem die Drachen ihr Unwesen treiben. Sagt man so. Unwesen. Alles keine Wesen, sondern Unwesen, da alles nur aus Geist besteht. Der Himmel hat kein Gegenteil – sagte mal jemand. Man könnte es durchaus glauben, wenn man sich in/auf Sampanna befindet. Alles ist gut hier. Immer nur gut. Und niemals besser, denn es gibt auch keine Steigerungen. Weder hoch, noch tief, weder links, rechts, noch nach allen Seiten. Alles raum- und zeit- und formlos.

Ich erinnere mich an die Drachen, an Ysil und Bela, wie sie in das Schloss kamen und nicht wussten, wie das geschah. Sterben bedeutet bloß ein Schritt in eine andere Welt. Sagte Arima schon damals, als man ihn noch Kim nannte. Ysil und Bela machten einen großen Schritt. Zwei Drachen flogen sie ins Wolkenschloss, wo sie plötzlich vor Arima standen, der sie auf einem prächtigen Thron empfing. Die beiden sind noch immer hier. Klar doch, sie sind auch noch immer dort, woher sie gekommen sind. Aber das zu verstehen, dazu fehlen Worte, Gedanken und vor allem Systeme.

Man erinnert sich an Sila. Tatsächlich entstanden aus Ysil und Bela? Und was ist mit deinen Kinder, Arima? Mit Manola und Thygyrill? Auch wenn du mich jetzt „Manola“ statt „Mädchen“ nennst.
Sila und Arima – ja, die Erinnerungen kommen hoch und sie sind ja hier – in/auf Sampanna – passiert. Was ist passiert?

Phantasie ist ein Produkt der „Gleichzeitigkeit“. Einst lebten nicht nur wilde Tiere und Menschen auf der Erde, auch Feen, Elfen, Zwerge, Trolle, und viele andere Wesen, die ganz anders als Menschen waren und es lebten auch Drachen und Einhörner und anderes Getier, das es später nicht mehr gab. Aber manche Menschen spüren sie noch immer, weil es sie noch immer gibt, da nie etwas verloren geht. Es liegt an der Falschwahrnehmung der Zeit. Würde die „Gleichzeitigkeit“ erkannt werden, würde...

Nichts würde sein, weil nie etwas passiert ist. Nicht mal Sampanna ermöglicht eine derartige Multidimensionalität, die für „Gleichzeitigkeit“ erforderlich wäre. Vielleicht noch oben in dem Wolkenschloss, vor dem Drachen und Einhörner und anderes Getier friedlich nebeneinander grasen. Paradiesisch sieht es aus, auch wenn es nicht aussieht.

Man wird müde, sich stets zu wiederholen. Man wird müde, sich mit sich selbst zu beschäftigen, mit vorgefertigten Gedanken, mit irgendwelchen Lehren, die nur dem Zeitvertreib dienen. Es kostet zu viel Energie. Deshalb werden wir müde. Deshalb sind wir müde.

Was kümmert uns Sila? Was kümmern uns Namen. Kümmern bringt Kummer. Sein lassen befreit. Alles sein lassen, auch sich selbst. Alles sich selbst überlassen. Es kommt wie es kommt. Ob mit oder ohne Zutun. Ich selbst bin das Zutun. Mehr braucht es nicht. Ich bin da.

Arima nickt zufrieden. Zumindest könnte ich es mir vorstellen, auch wenn es nicht wichtig ist. Wer braucht schon Zustimmung, wenn er sich über alle Konzepte erhebt, sie nicht mal ignoriert? Wer braucht überhaupt was? Die Quelle der Kraft hat uns alles gegeben, was wir brauchen. Mehr ist nicht nötig. Deshalb gibt es auf Sampanna auch keine Steigerungen.

Wart ihr wirklich überrascht, plötzlich im Schloss zu sein?
Es ist Ysil, die mir antwortet: „Ganz und gar nicht. Es war wie nach Hause zurück kommen. Für Bela war es genauso. Wir waren überhaupt nicht überrascht oder erstaunt. Viel mehr wären wir erstaunt gewesen, wieder dort zu sein, wo wir nur für eine kurze Weile waren.“
Sampanna ist der Anfang und das Ende und das immer wieder. Wenn es so ist, könnte das ja jede Welt und jede Dimension sein.
„Könnte, ja“, antwortet Bela „aber vergiss nicht, dass der Geist hier am dichtesten ist. Und vergiss nicht, dass Zeit nicht das ist, was du noch darunter verstehst.“

Sterben. Der Tod. Ein unlösbares Rätsel für so genannte Lebende. Muss man Angst haben? Angst, sich plötzlich irgendwo zu befinden, wo Verwirrung herrscht?
„Niemals!“ meint Arima, der sich bequem zur mir auf die Treppen setzt, die zum Schlosstor führen. „Es ist wie nach Hause kommen. Du kennst das alles. Dir ist nichts unbekannt, weil du schon immer dort bist. Im Grunde genommen bist du überall. Über-all. Nur ist es dir nicht bewusst.
Also, keine Angst, du kommst nicht irgendwohin, wo du verwirrter wärst, als dort, wo du gerade jetzt bist. Aber gerade jetzt bist du ebenso überall, nur mit einem anderen Bewusstsein, weshalb du dich gerade jetzt nicht wirklich erinnern kannst. Dennoch ist die Erinnerung da. Sonst würde es diesen seltsamen Sinn – die Phantasie – nicht geben.“

Können Föten sterben? Ich sollte mich nicht zu nah an die Küste wagen, meint Arima und auch die Engelwesen sagen das. Die Engelwesen, samt ehemals Herr und Frau Jankovic und Ysil und Bela, wagen sich nur selten an die Küste. Was kann denn in/auf Sampanna gefährlich sein?! „In oder auf Sampanna ist nichts gefährlich, außer deine eigenen Gedanken, die du vielleicht noch aus anderen Welten als Ballast mitgeschleppt hast“, antwortet Arima, der sich urplötzlich neben mir materialisiert.

Es ist ja so schön an diesem Strand. Richtig paradiesisch. „Warum dann so dunkle Gedanken über den Tod?“ Weil er mich schon immer beschäftigt hat, obwohl Menschen aus meinen Breiten ihn eher totschweigen, weil er sie ängstigt. „Föten können nicht wirklich sterben. Nichts kann wirklich sterben. Alles ist im Übergang, im Wechsel, wie man so sagt. Aber das ist auch nicht richtig.“ Arima scheint zu überlegen, wie er mir am besten etwas Unerklärbares erklären kann. Er hockt sich zu mir in den weißen Sand und blickt angestrengt zum Meer hinaus, das sanft seine Zungen nach uns ausstreckt.

„Der Wechsel findet nur scheinbar statt“, spricht er endlich weiter. „Wenn kein Moment je verloren geht, verändert sich auch nichts. Kannst du mir folgen?“ Fast wäre ich versucht „wohin?“ zu fragen, aber das Thema scheint Arima für mich zu ernst zu sein. Er hat ja recht, denn ich will es wissen, auch wenn Wissen in diesen Sphären kaum zählt. Nun, irgendwie kann ich das. „Das ist gut.“ Was ist daran gut? „Wenn du 'ja' gesagt hättest, wäre es eine Lüge gewesen. Nun weiter! Von eurer Seite aus ist es eine ständige Veränderung, sozusagen immer wieder Übergänge, wie Geburt und Tod und dazwischen der Wechsel von jung zu alt. Aber was ist es, wenn jeder Moment erhalten bleibt?“ Wo bleibt er erhalten? Das Universum vergeht! „Das ist es, Manola! Es gibt kein Wo und genau in diesem 'Es-gibt-kein-Wo' bleiben alle Momente enthalten. Geist ist raum- zeit- und formlos. Also gibt es für ihm kein Wo, kein Wann und auch kein Wie. Du nimmst dich bloß als Körper wahr, aber du bist nicht der Körper. Du bist Geist. Im Moment noch wahrnehmender Geist. Am Geist kann nichts verloren gehen. Capito?“ Warum er nun ins Italienische verfällt, ist mir aber ein Rätsel.

Was ist mit der Quelle der Kraft? Bleibt sie tatsächlich von allem unberührt?
Jetzt könnte man sagen, dass sie eine reine Energiequelle ist, dass sie Energie zur Verfügung stellt, um materielle, wie auch geistige Welten, samt Lebewesen zu erschaffen. Bleibt dann nur die Frage, WER denn erschafft und wie Bewusstsein oder Ähnliches in die Energie gespeichert wird. Demnach ist das, was man sagen könnte, unrichtig, denn die Quelle der Kraft ist reines Bewusstsein – besser gesagt: reiner Geist in dem alles enthalten ist. Sie umschließt und durchdringt alles.
Dann gibt es auch andere Glaubenssätze oder Konzepte. Aber wie gesagt: Schmeiß alles über den Haufen! Nichts ist richtig. Nichts ist falsch.
Wer fragt? Wer antwortet? Was ist geschehen? Alles und nichts. Und es gibt nichts zu verstehen.

Shivas Tanz ist unergründlich. Ein Lidschlag von einem seiner Augen bedeutet das Entstehen, wie auch Vergehen eines Universums. Wie winzig und unbedeutend wir sind! Ganz und gar nicht, denn Arima (Kim) sagte stets: „Wärst du nicht und wärst du nicht so wie du bist, wäre das Universum nicht das, was es ist.“
Und doch – wir sind winzig, wenn wir uns in Zeit und Raum betrachten. Würmer, die am Boden kriechen, während hochentwickelte Wesenheiten in/auf Sampanna bloß (sinnbildlich!) mit den Fingern schnippen und schon entstehen neue Welten.
Ach, ihr seid es, die alles erschaffen. Ihr seid ja die erste, wie auch die letzte Welt. Von euch geht alles raus und wieder rein. Vollwertproduktion oder doch eher Ramsch?

Klar gibt es Hierarchien. Zeitlich und räumlich gesehen auf jeden Fall. Wir beginnen ganz unten, auch wenn wir von oben erschaffen (oder entwickelt?) wurden. Langsam und mit großer Mühe und Plage arbeiten wir uns nach oben und dann beginnt der ganze Scheiß wieder von vorne, bis uns dämmert, dass in Wirklichkeit gar nichts passiert und auch nie jemals etwas passiert ist. Welch ein Hohn!

„Die Quelle ist reines Bewusstsein, reiner Geist.“
Bedeutet das, dass im reinen Bewusstsein nichts enthalten ist?
„Leere ist nicht leer. Nichts ist nicht nichts.“
Verdammt, spiel nicht wieder den Obermacker, Arima.
Er verdreht schon wieder die Augen und schmatzt überheblich mit den Lippen. Mit seinen vollen, sinnlichen Lippen.
„Noch immer in die Form verliebt?“
Wir befinden uns an einem „Ort“ auf/in Sampanna, der nur schwer zu beschreiben ist.
„Noch immer in Beschreibungen und Interpretationen verliebt?“
Ich kann den Ort fühlen, Arima!
„Gefühle sind derselbe Scheiß.“
Jetzt hab ich ihn wieder! Aha, du willst mir die Quelle erklären.
„Geht nicht. In diesem Stadium lässt sich weder etwas erklären noch verstehen. Du kennst doch das Herz-Sutra, wo es heißt, kein Auge, keine Nase, usw. und vor allem – kein Bewusstsein. Viele verstehen das – nun, nicht falsch, eben je nach Entwicklung.
Denke nie, solange du unter Menschen bist, dass etwas falsch oder richtig ist, nur weil es dir richtig ERSCHEINT.“
Musst ja nicht gleich schreien.
„Erscheinungen, Manola! Es ist alles Erscheinung, die interpretiert wird und eben diese Interpretationen sind von Mensch zu Mensch verschieden, aber weder richtig noch falsch.“
Und was hat das jetzt mit der Quelle zu tun?
„Ich versuche gerade, sie dir zu beschreiben, obwohl sie sich nicht beschreiben lässt.“
Ich glaube, du wolltest mir erklären, was im Herz-Sutra bedeutet, wo es heißt: kein Bewusstsein.
„Oh ja! Aber auch das lässt sich nicht erklären, sondern nur andeuten, in dem ich dich auf das Tibetische Totenbuch hinweise, wo es heißt: den Geist leeren.“
Aber Leere ist nicht leer.
„Und Nichts ist nicht nichts.“
Und jetzt?
„Jetzt kommt es auf die Entwicklung an, ob du es schaffst, alles über Bord zu werden und durch die strahlende Tür zum reinen Bewusstsein trittst oder noch nach weiteren Erklärungen suchst, wo du von vorne herein weißt, dass sie nichts bringen.“

Über Bord werfen. Da liegen sie nun im Wasser - die Föten. So lange, bis sie endlich mit den Stummelarmen zu rudern beginnen und abermals an Land kriechen. „Wir werfen nichts über Bord“, sagt er alte Mann. „Sie springen immer wieder von selbst, obwohl wir ihnen anbieten, sie wieder nach Sampanna zurück zu bringen, wo sie sich läutern und schließlich eins mit der Quelle sind.“ Und dann? „Genau wegen dieser Frage springen sie immer wieder“, sagt der alte Mann und schüttelt traurig seinen Kopf. „Und wenn das so weiter geht, werde ich niemals in Pension gehen können.“

Die Kuh auf der Weide wurde vom Bauer auf die Weide geführt, weil es auf der Weide frisches Gras gibt. Die Kuh wird vom Bauer in den Stall geführt, weil sie gemolken werden muss. Die Kuh wird vom Bauer gehalten, weil sie ihm etwas gibt, was er braucht.

Und jetzt? Jetzt denken wir mal nach, was wir so abgeben und was andere Lebewesen eventuell von uns brauchen könnten. Sind wir wie die Kühe auf der Weide, die vom Bauer gehalten werden, weil er von ihnen profitiert?

Freund Carlos schrieb über die Flyer, die nur für Seher sichtbar sind. Menschen nehmen sie kaum wahr, außer an bestimmten Emotionen, die von den Flyern herbei geführt wurden und an denen sie sich energetisch laben.

Mister Robert A. Monroe schrieb über feinstoffliche Wesen, die angeblich die Erde und ihre Lebewesen erschaffen haben und sich energetisch daran laben.

Der ewige Kreislauf. Wir „erschaffen“ auch Lebewesen, indem wir sie mit anderen kreuzen. Kühe gab es nicht in freier Natur. Sie würden ohne Menschen qualvoll verenden, würden sie nicht gemolken werden. Vielleicht wurden wir wirklich von anderen Lebewesen „erschaffen“ und die, wie Mister Monroe schrieb, ebenso von anderen Lebewesen erschaffen wurden. So dreht sich die Spirale, bis man irgendwie ansteht.

„Und wer, zum Teufel, hat denn das oberste Lebewesen erschaffen?!“ fragt Arima schreiend und zerkugelt sich danach vor lachen. Er kann gar nicht mehr aufhören zu lachen. Aber schließlich beruhigt er sich und hockt schnaufend neben mir am Sandstrand.
„Du warst schon weiter, Manola“, meint er dann kopfschüttelnd und sieht mich strafend an. „Und jetzt hör endlich auf, die Szenerie, die gar keine ist, zu beschreiben.“
Das muss ich.
„Verstehe. Noch immer gefangen in der menschlichen Bewusstseinsblase, die irgendein Wesen, das anscheinend höher ist als das Menschenwesen, aus einem Blasrohr erschaffen hat und ja, ganz sicher, auch gleich alle dazu passenden Lebewesen in die Blase gestopft hat.“
Schon klar, dass für uns Menschen alles unerklärbar ist. Wir sind halt eine Spezies, die eher, wenn es nach Hierarchien geht, im unteren Sektor anzutreffen ist.
„Ja, weil ihr es so aus dem menschlichen Bewusstsein erkennt. Das heißt aber nicht, dass es auch so ist. Vielleicht gibt es in Wirklichkeit gar keine Hierarchien, weil es in Wirklichkeit auch keine Zeit und keinen Raum und keine Formen gibt.“
Vielleicht, vielleicht, vielleicht...
„Und ja, das Universum, die Natur an sich, wie ihr Menschen sie kennt, ist räuberisch. Einer labt sich am anderen. Immer wieder. Einer braucht den anderen. Immer wieder. Nur so lässt sich die Unvollkommenheit erkennen und vielleicht, ja, vielleicht kann dann der alte Seebär endlich in Pension gehen.“