Unter dunkelgraublauem wolkenverhangenem Himmel liegt eine ebenso farblose öde Landschaft, deren Weite unendlich erscheint. Vermeintlich inmitten dieser Unendlichkeit erhebt sich ein knapp ein Meter hoher Stein, auf dem eine junge Frau, mit gebeugtem Kopf, hockt.
Tatsächlich hockte, hocken wird oder doch hockt? Schwer zu sagen, denn die Vergangenheit lässt sich nicht mehr erleben und was die Zukunft bringt, kann niemand wissen. Ähnlich ergeht es einem mit der Gegenwart, denn sobald jemand „Jetzt“ ruft, ist dieses Jetzt bereits Vergangenheit. Was sagt uns das? Genau! Zeit ist Illusion. Es gibt also keine Zeit, nicht mal eine relative.
Und was ist mit dem Raum? Existiert der Raum? Subatomar gesehen, kann es auch keinen Raum geben, falls ich das richtig verstehe oder einigermaßen richtig, denn Quantenphysik lässt sogar die allerklügsten Köpfe der Erde staunen und rätseln. Quantenschaum soll angeblich sehr chaotisch sein und niemand weiß, wo irgendein Teilchen landen wird, da sich alles sehr, sehr schnell bewegt und nie an einem Ort bleiben kann. Keinen Ort? Ja, weil es anscheinend keinen gibt.
Okay! Also stelle man sich zeit- und raumlos diese oben beschriebene Landschaft vor, deren Himmel so wenig Licht durchlässt, dass alles ziemlich farblos erscheint. Sozusagen sehen wir eine öde Landschaft vor uns, alles grau und grau, und vielleicht taucht mitunter ein wenig dunkles Blau auf. Auftaucht, weil es in ein und demselben Moment wieder verschwindet. Das dunkle Blau ist schnell, vielleicht sogar schneller als das Licht. Angeblich gibt es nichts, was schneller als mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs ist. Vor allem mit konstanter Lichtgeschwindigkeit. Lichtgeschwindigkeit ist angeblich immer konstant. Dazu braucht es keine Anlaufzeit, keine Beschleunigung. Und vor allem sollte das, was mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs ist, von unendlicher Masse sein oder am besten masselos. Das dunkle Blau ist Farbe und senkt sich, während es sich zugleich wieder erhebt, ganz gerne auf das lange Haar der jungen Frau, die einsam und traurig auf diesem einzigen Stein in der unendlichen Landschaft hockt.
Woher weiß man, dass sie einsam und traurig ist? Man kann nicht einfach über etwas, was man gar nicht kennt, eine Aussage machen, nur weil es so scheint. Man kann Wahrscheinlichkeitsaussagen machen, aber nicht einfach so daher sagen: „…die einsam und traurig…“. Das geht gar nicht. Selbst wenn wir die junge Frau fragen sollten, ob sie einsam und traurig ist, sagt das gar nichts aus, wenn sie uns zustimmt. Außerdem könnte sie nur einsam oder nur traurig und muss nicht beides zugleich sein.
Schließlich erhebt sich auch die Frage, ob der Himmel tatsächlich dunkelblau und wolkenverhangen ist. Wolkenverhangen ist eventuell möglich, aber das dunkle Blau dürfte kaum ersichtlich sein, genauso wenig ersichtlich wie es sich auf dem langen Haar der jungen Frau abhebt. Es ist da und zugleich ist es nicht da.
Es? Eigentlich alles, da nichts für immer so ist wie es ist. Alles verändert sich rasend schnell. Vor allem auf subatomarer Ebene. Da bleibt kein Stein auf dem anderen. Man sagt, sogar der eigene Körper, dieser Knochen-Fleisch-und-Blut-Klops, sei nach sieben Jahren nicht mehr derselbe, weil sich seine Zellen ständig erneuern. Es sei denn, eine Zelle macht nicht mit, weigert sich sehr tapfer und mutiert, was natürlich für den restlichen Körper gar nicht gut ist, da diese eine rebellische Zelle sich auf alle anderen stürzt und sie verschlingt wie ein schwarzes Loch, das alles, was in seine Nähe kommt, in sich hinein zieht.
Es hängt also von der Nähe ab, vom so genannten Ereignishorizont. Kommt man zu nahe, heißt es: Mit gehangen, mit gefangen. Also immer Abstand halten und so unsichtbar wie nur möglich bleiben.
Schon möglich, dass all das hier physikalisch und allgemein wissenschaftlich gar nicht stimmt, aber darum geht es ja gar nicht. Es geht, wie immer, um Phantasie. Um nichts anderes als um kleine, feine, phantastische Erzählungen.

Das dunkle Blau ist faszinierend. Dennoch ist es nichts anderes als Zeit und Raum und alles andere, was dem materiellen Universum zugestanden wird. Das Geistige lassen wir mal außerhalb, wo es wahrscheinlich auch hingehört, auch wenn es, geistiger Art, weder ein Innen noch ein Außen gibt. Das sage ich, die Erzählerin dieser kleinen, feinen, phantastischen Erzählungen, auch wenn es anderswo anders heißt. Etwa: Wie innen so außen. Was soll das? Wenn es innen wie außen gleich ist, hebt es sich doch auf und ist keiner Worte mehr wert.
Das dunkle Blau – es ist da und zugleich nicht da. Das sagte ich bereits. Und ich sagte, Zeit und Raum existieren gar nicht, sind, wie die alten Inder vor hunderten von Jahren bereits sagten, illusorisch. Ich meine, Zeit und Raum ist nichts anderes als das dunkle Blau, das da und zugleich nicht da ist. Es liegt sicher nicht an der Veränderung, die meist so schnell vor sich geht, dass man sie gar nicht bemerkt. Es liegt an der offensichtlichsten Eigenschaft der Materie: man kann sie nie wirklich bestimmen, am allerwenigsten auf subatomarer Ebene.
Was lässt sich überhaupt bestimmen? Ich meine, wovon lässt sich sagen: das ist so und nicht anders? Was wissen wir wirklich? Was kann man in einem Universum wie diesem schon wirklich wissen?
Manchmal denke ich, dass wir uns selbst verarschen, indem wir jede Menge Theorien aufstellen, die wir uns so zurechtlegen, dass wir sie schließlich so lange glauben, bis sie zur tatsächlichen Wahrheit werden.
Die junge Frau auf dem einzigen Stein in der unendlichen, grauen, düsteren Landschaft hält ihren Kopf gebeugt, nicht, weil sie einsam und traurig ist, sondern weil sie sich über eine Zeitung beugt, die auf ihren Oberschenkeln liegt. Ihre Beine stecken übrigens in ausgewaschenen Jeans. Das nur, damit man sich ein wenig ein Bild von der Dame machen kann und bis jetzt nicht nur erahnt, dass sie jung ist und langes Haar hat. Welche Haarfarbe? Teint? Ist sie Europäerin, Amerikanerin, Asiatin, Afrikanerin? Augenform und Augenfarbe? Ist sie schlank, dick? Was trägt sie noch außer Jeans und eine Zeitung auf den Schenkeln? Fragen dieser Art sind gar nicht so unwichtig. Ein dicker Pullover hat mehr Masse als ein leichtes kurzärmeliges T-Shirt. Falls die junge Frau ein T-Shirt an hat, krümmt sich der Raum, in dem sie sich befindet etwas weniger und die Gravitation dürfte auch weniger sein. Im dicken Pullover sieht die Sache schon etwas anders aus.
Es liest sich wie Schwachsinn, aber ganz so ist es gar nicht, denn das Universum wäre nicht das Universum, was es ist, würde nur ein Staubkörnchen darin fehlen. Also ist es durchaus wichtig, was die junge Frau in dieser öden und scheinbar unendlichen Landschaft anhat und wie viel Luftwiderstand sie dadurch auslöst oder was auch immer.
Berechnungen sind das ganze Leben. Vor allem das von Wissenschaftlern. Sie berechnen das Universum, die Entfernungen aller Sterne, die sie erkennen und zu erkennen glauben. Der Mensch ist generell ein Forscher. Ein Forscher und Plünderer. Jäger waren sie mal. Das hat aufgehört, denn man züchtet bereits und hat sich die Erde untertan gemacht.
Welch ein Idiot muss das gewesen sein, der den Satz „Macht euch die Erde untertan!“ geschrieben hat? Nein, kein Idiot, sondern ein Machtmensch der übelsten Sorte. Mit diesem Satz hat alles Unheil begonnen, auch wenn sie nicht wirklich jemand daran gehalten hat. Das ist kein Widerspruch. Das bestätigt nur wieder, dass fast alle Menschen das Übelste sind, was aus Materie in den letzten Millionen Jahren entstanden ist. Nicht mal die Dinosaurier waren so furchterregend.
Die junge Frau schüttelt empört ihren Kopf. Auf ihr genaueres Aussehen kommen wir sicher noch zurück. Sie liest gerade auf einer Seite der Zeitung, einer Tageszeitung (!), über den Mord an ein sechsjähriges Mädchen, das noch dazu vergewaltigt wurde und gleichzeitig, gleich daneben ein Foto einer halbnackten Badenixe, die sich schon auf den Urlaub in der Karibik freut. Wie passt so was zusammen? Herrgott noch mal! Das kann doch nicht wahr sein? Denkt denn niemand an die Eltern dieses kleinen Mädchens? Sie lesen über den Tod ihres Lieblings und müssen daneben eine Halbnackte sehen, die sich auf ihren Urlaub freut. Es ist pietätlos! Zumindest ich empfinde es so und die junge Frau wohl auch. Aber jede Seite muss mit Sensationen voll gestopft werden, was es auch sei. Unglück neben Glück, Leid neben Freude. Ohne Rücksicht auf irgendwen. Der Rubel muss rollen. Mehr Kundschaft muss her. Profit und Korruption.
Aber es gibt auch eine andere Seite des Menschen, wie wir eben gesehen haben. Nicht nur Unglück, Übel und Mord und Totschlag, sondern auch das Gegenteil. Aber, bitte, nicht auf ein und derselben Seite einer Tageszeitung! Wir wissen ja, dass ein Mörder durchaus ein genialer Künstler sein kann, egal aus welcher Kunstsparte er kommt. Außerdem kann er durchaus ein liebender Ehemann und Vater und Sohn und Bruder und – und – und sein. Man weiß ja nicht, wie und warum ein Mord zustande kommt. Es muss nicht immer geplant sein oder aus Gier, Neid oder was auch immer geschehen. Mord kann durchaus spontan passieren, wovon noch vor einer Minute weder der Mörder noch das Opfer etwas wussten.
Und nun bin ich wieder beim Thema, worüber ich schreiben wollte: über das Wissen!

Über das Wissen gibt es jedoch nicht viel zu sagen, da ich der Meinung bin, dass wir alle zusammen, die gesamte Menschheit, absolut nichts mit absoluter Sicherheit wissen. Und schon das ist zuviel des Guten. Ich meine, das mit der Meinung. Niemand braucht eine, aber alle haben eine. Wozu eigentlich? Um sich vor anderen Meinungen zu schützen, sich hervor zu tun? Klar werden wir alle manipuliert. Und niemand weiß, dass unsere angeblich ganz privaten Meinungen nichts als Manipulationen sind.
Das alte Thema. Ich weiß. Von Kind an wird uns die Welt erklärt. Aber genau daran glaube ich. Wir kommen als Nichts auf die Welt. Als schreiendes, pissendes und scheißendes Bündel Fleisch. Und müssen von Anfang an hören, wie süß wir doch sind und wie schön es wäre, wenn wir so klein blieben. Schön? Für wen? Weder für das ständig abhängige Baby, noch für die Mutter, die ständig für das Balg da sein müsste. Und von wegen süß! Babys sind nur selten süß. Große Augen, kleines Köpfchen, Schmollmund. Genau das lässt uns sagen: „Ach, wie süß!“ Warum? Weil es nach Schutz schreit. So was ist angeboren. Sozusagen eine angeborene Manipulation. Man glaubt es kaum. Oder? Bei Tieren ist es dasselbe. Auch sie beschützen ihre Babys und wahrscheinlich noch mehr als menschliche Mütter und Väter. Bei Tieren kann es vorkommen, dass die Väter ihre Jungen töten. Bei Menschen doch auch! Bei Menschen passieren oft noch schlimmere Dinge mit den Babys.
Schon okay. Ich höre ja auf mit dem erhobenen Zeigefinger auf die Menschheit zu schimpfen. Ich möchte ja auch das Gute in allen und allem sehen. Es lässt sich jedoch sehr schwer erkennen. Etwa menschliche Kunst? Was soll an heutiger Kunst gut oder schön sein? Man denke nur an Fäkalienkunst oder Blutkunst. Igitt! Da schaue ich mir doch lieber die alten Meister an. Egal, ob bildende oder filmende und natürlich auch die literarische Kunst. Mag ja sein, dass ich das Neue nicht verstehe, aber deswegen muss ich nicht bewundernd neben einem Scheißhaufen stehen, nur weil andere dies tun. Ich finde es einfach nur eklig.
Und da haben wir es schon. Das ist Meinung. Ich habe auch eine Meinung. Ohne Meinungen gibt es kein Auskommen. Und wenn sie noch so winzig ist. Etwas schön, gut, eklig, hässlich oder was weiß ich was zu finden, ist nun mal normal. Es ist menschlich. Ob es native, suggerierte oder sonst was für Meinungen sind, es sind jedoch niemals unsere eigenen. Es gibt nichts Eigenes. Das ist nicht nur meine Meinung, das ist meine Überzeugung.
Würden wir wo anders aufgewachsen sein, mit anderen Eltern, wären wir heute nicht die, die wir heute sind. Natürlich lässt sich das nicht beweisen. Dazu fehlen uns die Zeitreisen, in denen wir es feststellen könnten, genauso wie den Wissenschaftlern noch die richtigen Beschleuniger fehlen, um das kleinste subatomare Teilchen (oder Wellchen?) zu bestätigen. Jede Umgebung verändert uns. Jeder Kontakt, egal mit wem, verändert uns. Charakter mag vielleicht angeboren sein. Mit Charakter meine ich das Wesen jedes Menschen, das Wie-man-an-alle-Dinge-herangeht. Das mag so etwas wie ein Gesetz sein, so wie Physiker sagen, dass die physikalischen Gesetze überall im Universum gelten. Man mag einwenden, dass auf dem Mond ganz andere Bedingungen als auf der Erde gelten. Richtig! Dennoch ist das Gesetz gültig, da der Mond weniger Masse hat als die Erde und deswegen hat er auch weniger Anziehungskraft. Sozusagen ist Mensch immer Mensch und egal, welchen Charakter er hat, gut und böse sind immer in ihm vorhanden. Nun, welchen inneren Wolf füttern wir?

Es spielt keine Rolle, welchen Wolf wir füttern, denn kein Mensch ist nur gut oder nur böse. Im Grunde genommen lenkt all das, was ich bisher daher gestammelt habe, nur von der jungen Frau ab, die in einer scheinbar unendlichen, öden, grauen Landschaft auf dem einzig sichtbaren Stein hockt. Es ist so eine Sache mit Bestimmungen und Beurteilungen. Sie sind immer vage und treffen meistens nicht zu. Vielleicht sollten wir unsere Sprache ändern? Ist die Frau wirklich jung oder scheint sie nur jung zu sein oder schaut sie einfach viel jünger aus als sie ist? Wir sollten wirklich nur Vermutungen anstellen und nie wieder Behauptungen, wenn wir über andere reden.
Das menschliche Gehirn spielt den Menschen gern Streiche. Wie ist das zum Beispiel mit dem Licht und den Farben? Es ist uns Menschen gestattet, Licht mit nur Wellenwellen zwischen 400 und 700 Nanometern zu sehen. Manche Tiere sehen nicht einmal das, was bedeutet, dass etwa Hunde mehr Grautöne als Farben wahrnehmen oder eben überhaupt keine Farben. Andere Tiere wiederum nehmen mehr wahr, wie etwa Ultraviolett oder Infrarot. Dennoch scheint das menschliche Gehirn fähig zu sein, über sich selbst nachzudenken und zu forschen, was bei den meisten Tieren anzuzweifeln wäre. Ich für meinen Teil zweifle nicht unbedingt, sondern halte Tiere für intelligenter, da sie sich das Leben kaum schwerer machen als es ist. Menschen jedoch schon.
Langsam nähere ich mich der Frau. Je näher ich komme, umso mehr erkenne ich, dass sie nur von weitem jung aussieht. Als ich vor ihr stehe, hält sie noch immer ihren Kopf leicht gesenkt über der Zeitung und mir fällt folgender Absatz aus meinem (originalen) Buch „Kim 12“ ein:
„Manola war wirklich eine Schönheit. Ihr schulterlanges, schwarzes Haar hing üppig über ihre runden, zarten Schultern. Ihr Gesicht war wie das einer Puppe. Große, rehbraune Augen, ein zartes Näschen wie Kim und denselben Schmollmund. Ihre Figur war sehr weiblich, - mit Rundungen, wo sie eben hingehören. Besonders in den hautengen Jeans, die sie heute trug, sah das sehr aufregend aus.“
Habe ich sie hier zurück gelassen? Hier in dieser grauen Einöde so ganz allein? Was ist schließlich Phantasie? Irgendeine noch unerforschte Dimension oder doch nur Humbug? Ich tippe eher auf letzteres. Aber unlängst las ich von winzigstkleinen, noch aufgerollten Zusatzdimensionen. Für uns gibt es nur drei Raum- und eine Zeitdimension. Angeblich verlangt die so genannte Stringtheorie neun oder zehn zusätzliche Raumzeitdimensionen. Und angeblich sind diese so winzig, dass ich dabei an den Film „Horton hört ein Hu“ dachte. Da geht es um eine winzigstkleine Welt, die so klein ist, dass sie in ein Staunkörnchen passt und doch hört der Elefant Horton ein leises Rufen.
Kann es sein, dass sich all unsere Phantasien in einigen dieser winzigstkleinen Dimensionen abspielen? So als eine Art Wechselwirkung? Wir erfinden ja nicht wirklich etwas, sondern entdecken bloß. Auch die phantastischsten Geschichten werden entdeckt und mit bekannten Dingen vermischt, sodass aus einem Pferd und Vogelflügel der wundervolle Pegasus entsteht.
Kim und seine Welt existieren in der siebten Erddimension. So schrieb ich einst. Aber es könnte auch eine siebte Dimension dieses Universums sein. Welch kühner Gedanke!
Wäre doch cool, wenn so genannte Außerirdische nicht aus den Weiten des Alls zu uns kämen, sondern bereits bei uns sind – in den unendlichen Weiten der so genannten subatomaren Dimensionen.

Am Horizont, genau zwischen dem dunkelgraublauen wolkenverhangenen Himmel und der farblosen, öden Landschaft, erscheint ganz plötzlich und ohne Vorwarnung das Sonnenlicht und durchbricht das öde Grau. Es spielt keine Rolle, ob aus dem wolkenverhangenen Himmel auch das dunkle Blau schimmert, von dem ich bemerkte, dass es einmal da und einmal nicht da ist und sich vorwiegend auf dem langen Haar der scheinbar jungen Frau aufhält. Dies wäre ohnehin bemerkenswert für meine menschlichen Augen, da alles hier ständig einer sehr seltsamen und rasanten Fluktuation untersteht. Alles hier ist mal da und dann wieder nicht da, aber das passiert so unheimlich schnell, dass es dem menschlichen Auge gar nicht auffallen kann. Dann gibt es auch manchmal ein noch unbegreiflicheres Phänomen, nämlich, dass ein und dasselbe Ding nicht nur an einem einzigen Ort verweilt, sondern an mehreren Orten gleichzeitig. Diese winzigen Teilchen einer Sekunde erscheinen wie eine Halluzination, wenn ich Manola auf dem Stein gleichzeitig an allen möglichen (wie auch unmöglichen?) Orten der Landschaft sehen kann. Gleichzeitig ist mir aber seltsamerweise bewusst, dass sie nur an einem Ort verweilt, nämlich hier vor mir, da ich mich ihr genähert habe. Andererseits könnte es auch sein, dass ich mich nur einer möglichen Manola auf dem Stein genähert habe und von den anderen Manolas auf den Steinen weit, beziehungsweise, weniger weit entfernt bin.
Ja, es ist Manola. Ich würde sie aus tausenden von Frauen (Mädchen) heraus erkennen. Und jetzt sieht sie mich mit ihren fast schwarzen Augen direkt an und nickt sogar. Aber irgendetwas ist anders an ihr. Sie wirkt nicht mehr wie die in ihren Vater (Kim) verliebte Tochter. Sie wirkt reifer, als hätte sie erkannt, dass jegliche menschliche Gefühle nichts anderes als chemische Reaktionen des menschlichen Körpers sind.
Es ist wirklich so, auch wenn man es kaum glauben mag und es gewissen Romantikern sauer aufstoßen wird. Wir verklären gerne alles und haben das schon immer getan. Und verbinden gerne alles mit uns Bekanntem, wie etwa wenn wir in Wolken die Formation eines Engels erkennen wollen. Natürlich sind uns Engel nicht bekannt. Oder hat schon jemand einen Engel gesehen? Das Bekannte sind natürlich nur die Flügel wie die eines Vogels und die menschliche Form. Vielleicht sah mal einer unserer Vorfahren so etwas wie ein Auge im Himmel, nannte es das Auge Gottes und schrieb diesen grausamen Satz, der uns von allem anderen abheben soll: „Macht euch die Erde untertan!“
Es heißt ja nicht, dass es die Liebe nicht gibt. Immerhin empfinden wir etwas für andere Lebewesen, seien es Menschen, Tiere oder gar Pflanzen. Aber sie ist nicht das Größte unter uns, wie es geschrieben steht. Andere Gefühle können genauso stark sein, vielleicht sogar stärker als die Liebe, also heben wir nichts hervor, was nicht hervorgehoben werden kann.
Manolas dunkle Augen blicken weise, als hätte sie bereits alle Geheimnisse des Universums erkannt. Aber das hat sie nicht. Das schafft kein Wesen innerhalb dieses Zeit-Raum-Kontinuums. Wer oder was könnte sich schon über die ewige Quelle der Kraft stellen? Unmöglich! Denn alle und alles sind Teile der ewigen Quelle. Und das für uns Menschen so erschreckende ist, sie ist vollkommen unpersönlich, obwohl sie uns Persönlichkeit gestattet. Vielleicht war sie einst persönlich, aber anscheinend hat sie irgendwann einmal erkannt, dass Persönlichkeit niemanden und nichts weiterbringt. Es entzweit, was zusammen gehört und es hebt sich hervor, wo es kein Hervor und ebenso kein Hinab geben kann. Alles ist gleich, weil alles aus ein und demselben „Stoff“ besteht. Alles ist die ewige Quelle der Kraft.
Manola nickt mir zu und plötzlich erkenne ich einen anderen Aspekt in ihr. Ysil! Sie ist auch Ysil und Jochen (auch wenn ich ihn eben jetzt nicht sehen kann und er sich wohl an einem anderen Ort aufhält), ihr einstiger Mann, ist Bela. Die beiden Drachenreiter, die von Arima (Kim) unterrichtet wurden oder werden. In dieser Dimension ist ja nichts sicher. Ich habe über die beiden in der Geschichte „Sterne fallen nur nachts vom Himmel“ geschrieben.
„Leben passieren alle gleichzeitig, aber das ist für uns nicht wahrnehmbar, also leben wir sie alle scheinbar hintereinander“, raunt mir Manola/Ysil zu.

Sie besteht darauf, Manola genannt zu werden, da Ysil ihr (im Moment) zu verschwommen erscheint. Weiters teilt mir Manola mit, Ysil und ihre Welt, in der Arima so etwas wie ein Lehrer ist, sei unvorstellbar für Menschen. Sie würden es nicht einmal wahrnehmen, weil nichts davon unter Bekanntes einzureihen wäre. Es sei dies eine Welt, in der zwar die universellen Gesetze gelten, aber kaum vorhanden sind.
Schade, denke ich, denn es wäre eine schöne Geschichte geworden, wenn mir Manola mehr von dem Aspekt Ysil erzählt hätte. Vor allem würde mich interessieren, was aus Kim geworden ist, der sich nur mehr „Arima“ nennt. Kim scheint in der Versenkung verschwunden zu sein.
Es sei alles immer da, meint Manola, aber dieses Alles sei eben nur teilweise wahrnehmbar. Immerhin stecken wir in Hüllen und diese Hüllen bestimmen unsere Wahrnehmung. Der Geist sei da vollkommen hilflos, auch wenn er manchmal die Sehnsucht nach absoluter Freiheit oder eben nach anderen, freieren Welten spürt. Das sei nicht so ungewöhnlich, besonders bei sensiblen Hüllen, die es ja auch geben soll.
Und was ist mit Liebe, Manola?
„Akzeptanz ist das eigentliche Zauberwort“, raunt sie mir zu, während in ihren fast schwarzen Augen silberne Sternchen glitzern. „Liebe, dieses Wort, wurde bereits zu viel missbraucht und lässt sich fast überall umschreiben. Aber Akzeptanz lässt sich niemals missbrauchen und auch nicht missverstehen.“
Was will sie mir damit sagen? Dass ich alles gut heißen soll?
„Weder noch. Geh über das Menschsein, so dir das möglich ist, hinaus. Denke nicht mehr nach menschlichen Kriterien. Lass gut und böse hinter dir und auch alle anderen Dualitäten, auch wenn du dir sicher bist, dass sie existieren. Das tun sie natürlich auch! Aber bedenke immer, dass Wahrnehmung nichts mit Wahrheit und Wirklichkeit zu tun hat.“
Und wenn ich nicht über das Menschsein hinausgehen kann? Manola lächelt ein stilles Lächeln bevor sie weiterraunt.
„Du könntest zumindest glauben, dass du über das Menschsein hinausgehst, so wie viele Menschen das einst taten und noch immer tun. Aber denke nicht, dass das, was du glaubst, die Wahrheit ist. Genau deswegen ist Akzeptanz so etwas Wertvolles. Vielleicht ist es sogar das Wertvollste aus den Restbeständen der menschlichen Zivilisation.“
Mir gefällt ihr Raunen und ich denke eben, was sie alleine in dieser scheinbaren Unendlichkeit tut, außer auf dem einzigen Stein weit und breit zu hocken und in einer Tageszeitung blättern, die wahrscheinlich mehrere Jahre alt ist.
„Ich philosophiere.“
Wozu, wenn es niemanden gibt, der dir zuhört?
„Siehst du? Genau das ist Über-das-Menschsein-hinaus-gehen. Wir brauchen keinen Beifall mehr und keine Bewunderer. Wir tun es nicht einmal für uns selbst, weil wir uns des großen Ganzen bewusst sind, das hinter all den Welten hier um uns steckt.“
Was ist bei deiner Philosophie heraus gekommen?
„Sicher nichts Neues, aber einige Gedanken über den Tod. Er ist doch unser Lieblingsthema. Nicht wahr?“
Ich erinnere mich, als Kim einst meinte, ich sei Manola, nur eben in einer anderen Erddimension. Als ich widersprach, da sie doch ganz anders aussieht, meinte er nur, dass ich sie falsch beschrieben habe.
Ich bin nicht du, Manola.
„Natürlich nicht. Ich bin ich und du bist du. Du weißt aber schon, dass mit der Entwicklung der Persönlichkeit alles Elend begonnen hat. Aber diese Erfahrung musste sein, um uns in anderen Welten zurecht zu finden.“
Werden wir wiedergeboren?
„Wie ich schon sagte: Im Grunde genommen leben wir alle Leben gleichzeitig. Aber das dürfte nur von der ewigen Quelle aus so sein. Und ob es so etwas wie eine Wiedergeburt ist, kann ich auch nicht sagen. Vor allem ist es keine bewusste Wiedergeburt, auch wenn wir manchmal so etwas wie ein Deja-vu haben. Mag ja sein, dass es irgendwo da draußen, oder aufgerollt in den Mikrowelten, die sich vielleicht irgendwann einmal zu einem neuen Universum aufrollen, ein derart großes Bewusstsein gibt, das bewusst mehrere Leben wahrnehmen kann. Aber Gedanken wie diese bringen nichts. Stimme dich lieber auf Akzeptanz ein und darauf, dass alle und alles auf ein und derselben Stufe stehen, wie schon Daddy immer sagte.“
Sie nannte ihren Vater (Kim) immer liebevoll „Daddy“.
Ich weiß nicht, ob ich akzeptieren kann, dass irgendein Tierquäler auf derselben Stufe steht wie jemand, der sich um Lebewesen aller Art sorgt. Und sag jetzt nicht, dass auch Erfahrungen dieser Art sein müssen.
Ach, es wäre so ein schöner Abschlusssatz gewesen, als du meintest, dass Akzeptanz das Wertvollste aus den Restbeständen der menschlichen Zivilisation ist. Und er ist es auch, denn nicht Liebe will gelernt werden, die ja auch so selbstgefällig sein kann, sondern tatsächlich Akzeptanz und der Blick nach innen, dort, wo alle und alles den Geist der ewigen Quelle der Kraft in sich tragen.

Der Abschlusssatz muss jedoch noch warten. Es fehlt noch immer die Antwort auf die Frage, was denn die junge Frau, angeblich die einstige Tochter Kims, namens Manola, so ganz allein und verlassen in einer unendlich scheinenden Landschaft, auf dem anscheinend einzigen Stein hockend, tut. Nur sitzen? Oder wartet sie auf jemanden? Wartet sie auf mich, die noch immer vor ihr steht und sie fragend anblickt?
Hat das Gespräch vorhin wirklich statt gefunden oder war es nur ein mögliches Gespräch von unzähligen?
Jetzt, wo ich (scheinbar?) vor ihr stehe, sehe ich auch Ysil in ihr. Wie sah sie aus? Wie sieht Manola jetzt aus? Die Welt von Ysil, Bela und Arima kann ja nicht beschrieben werden, da sie sich jenseits unserer Vorstellungskraft befindet. Das sind meistens jene Ausreden gewisser Menschen, die behaupten alles zu wissen. „So was verstehst du nicht.“ „So was kann nicht erklärt werden, weil man das fühlen muss.“
Was nicht erklärt werden kann, existiert nicht. So einfach ist das. Es existiert nicht für mich. Basta. Und wenn andere mehr wahrnehmen, auch gut. So etwas muss akzeptiert werden.
Manolas schwarze Augen funkeln wieder. Das wissen wir. Auch über ihr dunkles Haar, über das manchmal und vor allem immens schnell das dunkle Blau wandert, wissen wir auch Bescheid. Und ihre Beine stecken in ausgewaschenen Jeans. Darüber ein dicker Pullover, so weit ich mich erinnere geschrieben zu haben.
Ja, ich schreibe. Ich stehe vor Manola/Ysil und schreibe während sie mich ansieht und leise lächelt. Man kann auch laut lächeln. Aber das ist so aufdringlich. Manola/Ysil ist nicht aufdringlich, eher scheu und zurückgezogen. Sie malte gerne. Bis ins hohe Alter. Am liebsten malte sie ihren Daddy, allgemein bekannt unter dem Namen Kim. Eigentlich hätte er einen anderen Namen bekommen sollen, aber sein Vater, ein Leuchtendes Wesen, war nicht mehr fähig dazu, seiner Mutter diesen prophetischen Namen zu sagen. Er starb, bevor er den magischen Namen aussprechen konnte: Arima. Manola/Ysil ist schlank, aber nicht zu dünn und sie hat noch immer jene Rundungen, über die ich bereits eine Bemerkung von früher schriftlich fallen ließ. Vielleicht sind da kleine Fältchen in ihrem Puppengesicht. Wenn, dann sind es nur wenige.
Und Ysil? Wie sieht sie aus? Eher klein und weißblond. Irgendwie wie die Drachenmutter aus der Fantasy-Serie „Game of Thrones“. Und wenn jemand nicht weiß, wie die Drachenmutter aussieht? Man weiß ohnehin nicht, wie Ysil überhaupt aussieht und ob sie überhaupt menschlich ist, da sie ja in einer schier unvorstellbaren Welt lebt, auch wenn die physikalischen Gesetze dort ebenso gelten wie überall in diesem Universum. Das Universum expandiert. Das heißt, es wird immer größer und größer und größer, bis irgendwann einmal der Raum platzt. Und wo ist das Universum dann?
„Es bleibt alles erhalten, denn die ewige Quelle der Kraft wird niemals sterben. Das Universum ist doch nur ein blasses Abbild ihrer selbst“, raunt Manola, diesmal aber etwas lauter.

Sie philosophiert. Zumindest hat sie das gesagt. Sie, Manola, oder Manola/Ysil, oder die junge Frau oder wie auch immer. Wozu? Es war, ist und wird nie jemand da sein, der ihr zuhört. Schon klar, sie übt sich darin, keinen Beifall mehr zu erwarten, nicht mal von sich selbst. Wahrscheinlich ist sie ebenso eine Castanedageschädigte wie ich, wobei ich sicher nicht alles von ihm akzeptieren kann. Es ist nicht leicht und schon gar nicht einfach, alles zu akzeptieren und die Liebe außer Acht lassen. Was ich liebe, was ich mag, kann ich sehr leicht akzeptieren. Sozusagen besteht kaum ein Unterschied zwischen Liebe und Akzeptanz.
Am Horizont, diesem kleinen Spalt zwischen Himmel und Erde, gleißt noch immer das weiße Sonnenlicht hindurch. Es ist Licht, das keine Farben zulässt, denn noch immer erscheint alles grau in grau.
Manola erhebt sich von dem Stein und deutet mir an, ihr zu folgen. Die Zeitung fällt von ihren Knien auf den steinigen Boden. Es ist keine Erde, auf der wir gehen. Es ist Stein, ein Planet aus Stein. Als ich mich umwende, ist der kleine Fels, auf dem Manola hockte, verschwunden.
„Manchmal, wenn man einen Wunsch äußert, funktioniert er“, raunt Manola. Ich verstehe nicht. Aber sie winkt ab und geht schweigend weiter.
Ich gehe neben ihr. Sie ist etwas größer als ich und viel, viel schöner. Schon immer habe ich mein Gegenüber bewundert. Sogar die dicke Uschi, über die sich viele in der Schulklasse lustig gemacht haben, bewunderte ich wegen ihrer Ruhe und unbeugsamen Fröhlichkeit. Auf Augenhöhe mit allem sein. Selbst das werde ich niemals schaffen und ich weiß nicht, ob es für mich mehr Menschen gibt, die ich über oder unter mir sehe. Wahrscheinlich sind es sehr viel mehr, die über mir stehen. Mit Sicherheit sogar.
„Akzeptiere!“ sagt Manola, diesmal lauter und mit festerer Stimme als vorhin.
Akzeptieren, dass die meisten Menschen über mir stehen? Dass ich wenig Selbstwertgefühl habe und stets alles anzweifle?
„Warum nicht? Es wäre zumindest ein Anfang der Akzeptanz.“
Es heißt immer, nur wenn man sich selbst liebt, kann man andere lieben.
„Esoterischer Quatsch!“ zischt sie und wirft mir seitlich einen strengen Blick zu.
Der steinerne Boden wölbt sich leicht und als wir über die Wölbung drüber sind, stockt mir der Atem. Wir stehen plötzlich vor einem aufwühlenden, fast schwarzen Meer, in dem riesige Fische über meterhohe Schaumwellen springen. Irgendwo weiter draußen erhebt sich ein gigantischer Felsen, von dem Wasser ins Meer rauscht. Erst jetzt erkenne ich Gestalten auf dem Rücken der grauen Fische. Sie sehen aus wie Kinder, sind aber größer als Manola und ich. Das Bild, das ich vor mir sehe, die riesigen Fische, mit weit offenem Maul, aus dem spitze Zähne ragen, die kindlichen nackten, fast weißen Gestalten auf ihren Rücken und das schäumende Meer, erinnert mich an ein Gemälde vom kanarischen Maler Nestor. Und im selben Moment, als ich diese Erkenntnis habe, ist aller Spuk vorbei.
„Ich wollte dir nur meine Wut zeigen“, raunt Manola und senkt vor dem tiefen Krater ihren Kopf. Wir stehen vor einem riesigen Krater, in dem einst ein See gewesen sein dürfte. Rechts davon erhebt sich ein ziemlich hoher Felsen, mit einer Rinne bis zum Boden, die wahrscheinlich vom Wasser aus einer Quelle entstanden war.
„Ich kam zu spät“, sagt sie und setzt sich ans vermeintliche Ufer des einstigen Sees.
Mit einem Schlag weiß ich, was Manola meint. Wir befinden uns auf der ehemaligen Leuchtenden Welt, dem Vorhof zum Paradies, der siebten Erddimension.
Was ist passiert?
„Als er ging, erkaltete die Leuchtende Welt und ließ nur mehr Stein auf Stein zurück. Es muss so gewesen sein, weil ich das schon in unserem Haus gespürt habe. Als er damals ging, spürte es nicht nur sein Apfelbaum. Du erinnerst dich, sein Apfelbaum, der auch im Winter Früchte trug, der niemals rastete. Als Daddy damals mit Mama auf die Leuchtende Welt ging, blieb von dem einst wundervollen Baum nur mehr ein vertrocknetes Gerippe über und das geschah innerhalb von wenigen Stunden. Auch unser Haus spürte es. Als damals meine Enkelin, diese wilde Rebellin, starb, erkaltete auch unser Haus vollkommen. Mein Blut war bereits zu alt und Maria, meine geliebte Enkelin, deren Blut Daddy so ähnlich war, dass wir dachten, sie wäre seine weibliche Wiedergeburt, war in der Erde versickert, auf der sie starb. Hier geschah dasselbe, auch wenn sie ihren gemeinsamen Sohn Thygyrill zurück ließen.“
Also hatten Kim und Maria auf der Leuchtenden Welt wirklich einen Sohn?
„Es war anders als du denkst“, erzählt Manola weiter, während sie sehnsüchtig auf den Krater blickt. „Kurz bevor beide die Leuchtende Welt verließen, vereinigten sie sich nicht nur der Liebe wegen, sondern wurden zu einem einzigen Wesen. In diesem Moment gab es Kim nicht mehr, denn nun war der tatsächliche Arima geboren. Aber die beiden ließen etwas zurück, nämlich einen Sohn, der Thygyrill genannt wurde. Sie kümmerten sich nicht mehr wirklich um ihn, auch wenn ein Aspekt Arimas ihn ab und zu unterwies. Dennoch war die Leuchtende Welt nicht mehr das, was sie war. Selbst die Leuchtenden Wesen veränderten sich. Sie wurden traurig und gingen nicht mehr ihrer Liebe und ihren Künsten nach. Dadurch verlor die Leuchtende Welt nach und nach all ihre Farben und die Leuchtenden Wesen starben aus. Was blieb, siehst du hier.“
Woher weißt du das alles?
„Von ihm“, sagt Manola und deutet auf eine Gestalt, die aus dem Krater auf uns zukommt.

Als würde ich einen sehr alten Film ansehen, flackert die hohe, dunkle Gestalt auf uns zu. Mal ist sie da, mal ist sie weg, und das mehrmals innerhalb einer Sekunde, dass es so scheint, als würde sie sich viel schneller als normal bewegen und doch nicht schneller bei uns als normal ankommen. Ist das verständlich genug erklärt? Ja?
Dinge dieser Art lassen sich noch einigermaßen logisch oder wenigstens anschaulich erklären, aber nicht das, was ich einst über Thygyrills Heimkehr geschrieben habe. Seine Stadt wurde einst von grausigen Monstern zerstört. Er flüchtete in den angrenzenden Wald und traf dort auf seinen Vater, auf Kim, den er „Phantasiewesen“ nannte. „Leide, Phantasiewesen, leide“, flüsterte er ihm zu, der in einer Hütte angekettet, mit blutigen Striemen am ganzen Körper, auf einem Bett lag. Wünschte er sich das? Er, der Sohn, der Thygyrill genannt wird? Wünschte er seinem Vater Leid?
Klar musste er seine Eltern hassen, die ihn alleine auf der Leuchtenden Welt zurück ließen. Auch wenn sie ihn in eine gute Obhut gaben, ersetzt das niemals die Elternliebe, die Leuchtende Wesen so sehr brauchen. Kim musste das doch gewusst haben. Auch er wuchs ohne Elternliebe auf. Aber er hatte es noch schlimmer als Thygyrill.
Alles schon längst vorbei. Alles Schnee von gestern. Man kann auch sagen, alles kalter Kaffee. Derartige Benennungen gibt es zu Genüge.
Jetzt in diesem Moment erscheint Thygyrill vor uns, eine hagere, hohe Gestalt, eingehüllt in einen dunklen Umhang mit Kapuze über seinem kahlen Schädel. Er sieht erschreckend aus.
„Einmal war er fast so schön wie sein Vater“, raunt Manola und erhebt sich, um ihren Bruder zu begrüßen.
Seine knochige Hand, die er Manola entgegen streckt, erinnert mich an ein Skelett.
„Er ist nur mehr ein Skelett“, flüstert mir Manola zu und ich zucke erschrocken zurück, als Thygyrill auch mir seine Knochenhand reichen will.
Was geschah mit David, Kims Sohn, der durch Ake so früh sterben musste? Über ihn habe ich nie wieder geschrieben. Und Kim, den alle nur den Kleinen nannten, um keine Verwechslung aufkommen zu lassen, Kims ersten Sohn, der ebenso sang- und klanglos in meinen Schriften unter gegangen ist. Melanie widmete ich ein ganzes Buch, obwohl sie nicht zur Familie gehörte. Dann war da noch Cora, die von Kim und Maria adoptiert wurde. Und die Kinder von Cora und Manola. Unas Tochter Maria war auch ein Buch wert, das ich „Die Rebellen“ nannte. Von ihr war hier ja schon die Rede. Maria war jene, die tatsächlich alle sehr an Kim erinnert hat, als wäre sie die weibliche Ausgabe. Und doch plagte sie sich mit den Gedanken, ob es richtig ist zu kämpfen, sich den Rebellen anzuschließen und das korrupte Regime zu stürzen. Kim hätte nie ein Leben genommen. Oder hätte er doch gekämpft, die selbst gebastelten Waffen auf Menschen gerichtet und dann auch noch abgedrückt? Hätte er? Ich bin mir nicht so sicher, ob sie es nach ihrem Tod auf die Leuchtende Welt geschafft hat, auch wenn das ihr Wunsch war und ich im Buch „Melanie“ darüber geschrieben habe und sie von Kim eine Antwort bekommen hat. Und was passierte mit den anderen Enkelkindern Kims, Mirjam, der ich eine sehr heikle Rolle zugeschrieben hatte. Oder mit Alexander? Manchmal weiß ich gar nicht mehr, wer zu wem gehört und ob es Kinder, Enkelkinder oder gar Urenkelkinder von Kim und Maria sind.
Was geschah mit ihnen? Wo sind sie alle hin gegangen?
„Puff“, macht Manola und setzt sich wieder vor den Krater. Thygyrill macht es ihr gleich, nachdem ich ihm den Handschlag verweigerte. Manchmal ist es so besser, als heuchlerisch freundlich zu sein. Vor allem hier, auf der einstigen Leuchtenden Welt, wo eh alles offen liegt. Man muss nicht wirklich etwas aussprechen. Leuchtende Wesen kommunizieren durch Gefühle und erkennen die Gefühle anderer Wesen sofort.
Puff?
„Ja, puff! Sie sind verpufft, so wie alles irgendwann einmal verpufft.“
Aber das kannst du nicht wissen, Manola.
„Lange genug habe ich über Leben, Tod und Gott und all dem Schund gerätselt und philosophiert. Und weißt du, was dabei heraus gekommen ist? All das existiert gar nicht so, wie sich die liebe humanoide Rasse das gewünscht hat. Nicht mal hier auf der Leuchtenden Welt, wo sich jedes Leuchtende Wesen seine eigene Welt aufbaut, bleiben Wünsche für immer bestehen.
Thygyrill hatte seine Stadt. Nachdem sie anscheinend von Monstern zerstört wurde, kam Kim und klärte ihn auf, dass all das eh nur eine Illusion von vielen gewesen ist und wenn sich Thygyrill innig konzentriert, wird die Stadt wieder da sein. Das war sie auch. Aber irgendwann verblasste alles und erstarb. Es machte sozusagen – puff. Ein wunderbares Wort! Einfach puff und das war’s dann.“
Und die ewige Quelle der Kraft?
„Ohne sie könnte kein Leben entstehen. Aber wer weiß schon, was sie wirklich ist? Eben nur irgendeine Energiequelle, durch die all das hier entstand“, sagt sie und weist mit beiden Händen nach oben zum dunkelgrauen Himmel, wobei am Horizont noch immer weißes Licht durchsickert.
Aber du glaubst doch an mehrere Leben, Manola!
„Sind sie uns denn bewusst? Wissen wir etwas darüber?“
„Wissen nicht, aber fühlen“, nehme ich Thygyrills hohle Stimme in mir wahr und erschauere.

Noch vor kurzem sagte sie, es bleibe alles erhalten, denn die ewige Quelle der Kraft würde niemals sterben, da das Universum nur ein blasses Abbild ihrer selbst sei.
„Das war bevor du mir Worte in den Mund gelegt hast. Glaubst du wirklich, du kannst mit deinen Phantasiefiguren tun und lassen, was du willst?“ faucht Manola, springt plötzlich auf und es sieht so aus, als wolle sie mich angreifen, was sie schließlich unterlässt, sich abwendet und ein paar Schritte auf und ab geht, bevor sie sich wieder zu ihrem Bruder hockt.
Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Kim, als er sich, wie Manola jetzt, darüber beschwerte, was ich nur aus ihm gemacht habe. Er wollte nie ein Leuchtendes Wesen, geschweige denn der Wächter des Universums werden, sondern einfach nur der Junge mit den seltsamen Augen und der ebenso seltsamen Ausstrahlung bleiben.
„Aber so ganz kriegst du uns nicht, denn wir gehen über das Phantasiewesentum hinaus, genauso wie du über das Menschsein hinausgehen könntest“, raunt Manola mit der wieder üblich tiefen, leisen Stimme, mit der sie versucht, ihren Vater nachzuahmen.
„Ich ahme Daddy nicht nach. So was würde mir nicht im Traum einfallen.“
„Phantasie ist wie Zukunft“, hallt Thygyrills Stimme über den Krater bis zum Felsen, an dem einst die Quelle herabstürzte, die den See speiste und deren Wasser die einzige Nahrung der Leuchtenden Wesen war, prallt am Felsen ab und kommt schallend wie ein Echo wieder zurück. Deshalb spricht er auch ganz langsam, um sich nicht selbst mit seinem Echo zu überschneiden. „Beide sind sehr eng aufgerollte Dimensionen. Manche sind nicht so eng aufgerollt, meist sind dies jene, die knapp bevorstehen, denn wie die Zukunft kann auch Phantasie eine für Menschen erlebbare und vor allem wahrnehmbare Wirklichkeit werden.“
„Weißt du noch, als Daddy diese rote Wolfsmütze zurück ließ?“ wendet sich Manola an mich. „Sie kam aus einer Zeit, die noch gar nicht passiert ist und doch war sie da. Immer wieder fragten wir uns, wie das möglich war.“
Ich zucke nur mit den Achseln.
„Sie wurde materialisiert. Arima konnte das schon immer. In dieser Hinsicht war er für Menschen ein echter Zauberkünstler“, meint Thygyrill betont langsam.
„Du meinst, Daddy hat geschummelt?“
„Er wusste über die Zukunft bescheid. Niemand sonst, außer vielleicht seine geliebte Quelle der Kraft, konnte über Zeiten hinaussehen, die für uns alle noch in weiter Ferne lagen. Er wusste also, was auf ihn zukommt, um die letzten Menschen zu retten und so die Entwicklung der Leuchtenden Welt zu forcieren.“
Ich unterbreche den Dialog zwischen den Geschwistern nur ungern, aber mir fällt ein, als Manola meinte, alles stehe auf ein und derselben Stufe. Nur Kim nicht?
„Das war Quatsch! Esoterischer Quatsch, dem du stets unsinnigerweise verfällst, weil du zuwenig in dein Herz blickst und noch weniger auf dein Herz hörst. Ja, wie denn, wenn du nicht einmal weißt, wie es funktioniert, auf sein Herz zu hören? Dein Herz sagt dir schon, welche Dinge, darunter auch Menschen, du meiden und welche du bei dir lassen kannst. Man könnte auch sagen: hör auf deinen Körper, denn der sagt es dir ebenso. Wie fühlt man sich wohl? Wann fühlt man sich wohl? So was kann dir niemand sagen, nicht mal der beste Psychologe oder Arzt oder was auch immer. Und warum nicht? Sie haben nicht deinen Körper, auch wenn sie die Funktionen allgemein besser kennen als du. Verstehst du?“
Irgendwie schon. Jeder Körper spricht auf etwas anderes anders an. Aber Krankheit und Tod lassen sich dennoch nie vermeiden.
„Schicksal?“
Vielleicht, Manola.
„Auch das ist Quatsch. Du hast alle Möglichkeiten, dem Schicksal zu entkommen. Nun ja, vielleicht nicht ganz, aber schon teilweise. So ähnlich, wie wir dir entkommen werden, weil wir Phantasiewesen sind, die über das Phantasiewesentum hinausblicken können.“
Und wie war das nun mit der roten Wolfsmütze?

In fernen Zeiten, wenn nur mehr wenige Menschen die Erde bevölkern, wird Kim als roter Wolf auf der Erde erscheinen. Sein Fleisch wird den letzten Menschen die Kraft zum überleben und für eine neue gerechtere Zivilisation geben, aus der sich die Leuchtende Welt und die Leuchtenden Wesen entwickeln werden. Aus seinem Fell wird ein Mann eine Mütze nähen und Maria, die mit ihm kommen wird, wird diese in der Erde vergraben, damit sie so in die Vergangenheit geschickt werden kann.
Kurz vor dem Jahr 2000 wird eine Freundin der Familie, namens Louanne, in einem Geschäft auf Fuerteventura eben diese Wolfsmütze kaufen und Kim als Weihnachtsgeschenk überreichen.
„Das war die offizielle Schilderung“, hallt Thygyrills Stimme über die erkaltete, steinerne Leuchtende Welt.
Und die inoffizielle?
„Na, was meinst du? Dass die Mütze ganz von selbst den Weg in die Vergangenheit gefunden hat?“
Geschichten über Zeit haben mich schon immer irgendwie schwindlig gemacht, auch wenn sie oft sehr interessant sind. Vor allem wissenschaftliche, aber auch so genannte Zukunftsthriller wie etwa die Filmreihe „Terminator“, wobei ich aber nur den ersten Teil wirklich gut finde, wo ein älterer Mann einen jungen Mann in die Vergangenheit zurück schickt, um dort seine Mutter (die des älteren Mannes) zu beschützen. Der junge Mann zeugt den älteren Mann mit dessen Mutter. So gesehen ist der jüngere Mann in der Zukunft der Vater des älteren Mannes. Außerdem stirbt der junge Mann, nachdem er den älteren Mann gezeugt hat und doch existierte er in der Zukunft. Nun, wenn das nicht verwirrend ist?
„Das ist es durchaus, denn nicht der Kim der Zukunft hat die Wolfsmütze zurück geschickt, sondern der Kim der Vergangenheit, damals der Kim der Gegenwart, hat sie aus einer möglichen Zukunft geholt“, erklärt mir Manola.
Wieder flammt eine Erinnerung meiner Schreibereien in mir auf. Es war, glaube ich, kurz bevor Kim und Maria die Erde verlassen haben, als Maria eines Nachts durstig wurde, aufstehen und aus der Küche ein Glas Wasser holen wollte. Kim hielt sie zurück und ermunterte sie dazu, ein Glas Wasser zu materialisieren. Er als Leuchtendes Wesen konnte das mit links, aber Maria, die die Kraft der Leuchtenden Wesen zwar teilweise in sich hatte, musste alles erst lernen. Sie scheiterte, während Kim ein Glas Wasser nach dem anderen auf dem Nachttischchen materialisierte.
„Genauso!“ stimmt Manola zu. „Und vergiss nicht, Daddy konnte nicht wirklich wissen, ob das mit seinem Kraftfleisch gelingen wird. Er kannte schon damals diese winzigen, wirklich mikrowinzigen aufgerollten Dimensionen und musste sich für eine mögliche unter vielen entscheiden. Das war der eigentliche Kunstgriff. Und er schaffte ihn.“
Aus vielen Möglichkeiten einer Zukunft das wirkliche Geschehen heraus zu filtern, nenne ich tatsächlich eine Glanzleistung. Aber dieses Geschäft, in dem Louanne die Mütze kaufte, war in Wirklichkeit eine Eisdiele und niemand, außer Louanne, sah ein Pelz- und Ledergeschäft. Kim berief sich damals auf Carlos Castaneda (auch er schien einer der C-Geschädigten gewesen zu sein) und auf „die Welt anhalten“, indem andere Wirklichkeiten wahrnehmbar werden. Louanne hörte auf ihr Herz, was heißt, sie lebte authentisch, indem ihr denken, sprechen und handeln eine Einheit bildeten. Aber nicht nur deshalb nahm sie für wenige Minuten lang eine andere Welt wahr, in der statt einer Eisdiele ein Pelzgeschäft an jenem Platz auf Fuerteventura stand. Es lag auch an ihrer außergewöhnlichen Kraft, die wohl alle näheren Freunde Kims hatten.
„So wird es wohl gewesen sein“, meint Manola und erhebt sich. Noch einmal blickt sie zum Krater und für einen Moment erblicke ich das, was auch sie zu sehen scheint: Wieder das tosende Meer, die gigantischen Fische mit dem Riesenmaul, aus dem spitze Zähne ragen und auf ihnen reiten nackte Kindergestalten, pausbäckig, mit lockigem Haar und wildem Blick.
Ich erinnere mich, dass ich das Gemälde einmal in einem Restaurant auf Gran Canaria gesehen habe und sofort davon fasziniert war. Unbedingt wollte ich wissen, welcher Künstler dieses geniale Werk geschaffen hat. Es mag für manche wohl sehr alptraumhaft und auch beängstigend erscheinen, aber ich liebe ebenso die Bilder und Skulpturen des Alien (das aus dem ebenso genannten Film) schaffenden Künstlers Giger, der ebenso düster war.
Es sind zwei Riesenfische. Auf einem hockt ein kleines (aber in enormer Größe im Gegensatz zu uns, die auf das tosende Meer starren) weißblond gelocktes, pausbäckiges Mädchen, auf dem anderen ein dunkelblond gelockter, pausbäckiger, kleiner (aber in enormer Größe im Gegensatz zu uns, die auf das tosende Meer starren) Junge.
„Ysil und Bela“, murmelt Manola, wendet sich ab und geht davon. Thygyrill und ich folgen ihr langsam.
„Hast du sie auch gesehen?“ fragt er mich und ich nicke und weiß, dass es sich bei Bela nicht um Manolas irdischen Mann, sondern um ihren Bruder Thygyrill handelt.
„Unser Dad hat ja doch Erbarmen mit uns. Nicht wahr?“ meint das Skelett neben mir und plötzlich verschwindet es, löst sich in nichts auf. Als ich mich nach Manola umsehe, kann ich auch sie nicht entdecken.

Es ist sehr einsam und ziemlich kalt auf der einstigen Leuchtenden Welt. Aber plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen! Manola, du Schlingel! Thygyrill, du noch größerer Schlingel! Gerade du, jüngster Sohn Arimas, hast mich derart reingelegt, wie du einst von dir selbst reingelegt wurdest.
Wie war das noch? Auf der Leuchtenden Welt gibt es viele Möglichkeiten, die Leuchtende Welt wahrzunehmen. Genau so ist es, abgesehen davon, dass ja ich selbst die Autorin dieser kleinen Geschichte bin. Aber ist es so einfach? Noch vor zwei Tagen wusste ich nicht, wie diese kleine Geschichte weiter gehen soll. Und dann, eines Morgens, kurz nach dem Aufwachen, küsste mich die Muse und erzählte mir den Weitergang dieser kleinen Geschichte. Manchmal geht es mir auch bei meinen Bildern so, wenn ich male. Noch sieht das Bild leer aus. Da fehlt doch was. Und dann, ganz plötzlich, ist sie da, die Idee.
Irgendwie glaube ich nicht, dass wir selbst die Schöpfer sind. Wir sehen die Schöpfung nur und das auf unterschiedliche Art und Weise. Wir sehen die Welt auf unsere ganz eigene, individuelle Art und Weise. Vielleicht hat Freund Carlos recht und wir sind nichts als anderes als Montagepunkte, die sich an den Bändern der Welt dranhängen und je nach dem, an welcher Stelle der Bänder wir hängen, nehmen wir die Welt wahr. Wir sind Wahrnehmung, lässt er Don Juan sagen.
Mein Gemüt muss sich ändern. Wenn es sich ändert, ändert sich auch die Wahrnehmung. Aber das kann ich nur selbst schaffen, egal, was andere dazu sagen, egal, was Manola und was Thygyrill sagten. Und plötzlich ändert sich die Umgebung. Der kalte Stein bricht auf und lässt gelbes bis rotes Licht entweichen. Der gesamte Boden vibriert. Der Himmel tut sich auf und glüht wie eine riesige Sonne herab und aus ihm erscheinen drei Gestalten. Es sind drei riesige Drachen. Zuerst landen direkt vor mir ein grüner und schwarzer Drache. Auf dem grünen sitzt Manola und auf dem schwarzen strahlt mir Thygyrill entgegen, dessen Ähnlichkeit mit seinem Vater nicht zu leugnen ist. Und schließlich landet ein goldfarbener Drache, auf dem Er hockt: Arima!
Die Restbestände einer Zivilisation bekommen eine ganz andere Bedeutung, als die drei auf mich zukommen, während ich noch immer gebannt auf die wundervollen Wesen blicke. Vor allem der goldfarbene Drache hat es mir angetan und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als einmal mit Kim – äh, mit Arima auf ihm durch die Lüfte zu fliegen. Sogar die Augen des herrlichen Tieres sind golden, umrahmt mit langen, schwarzen Wimpern.
„Sie ist ein Mädchen“, geht Arimas Stimme mir durch und durch und löst etwas Unbeschreiblichen in mir aus, das noch am ehesten mit dem Wort „heimkommen“ beschrieben werden kann. „Heimkommen“ definiere ich nämlich mit Geborgenheit, Wärme, Friede, bedingungslose Liebe und vor allem Harmonie.
„Schon witzig, wie du dich selbst auf den Arm nimmst“, raunt Manola und lacht dann schallend, während sie mit Thygyrill, der mir noch sanft auf die Schulter klopft, zum Wasserfall der Leuchtenden Welt, der in einen gigantischen See (einst der riesige Krater) stürzt, schreitet. Man kann es nur schreiten nennen, wie sich Leuchtende Wesen bewegen. Und Manola und Thygyrill sind nun Leuchtende Wesen. Also nix mit einer Welt, die das menschliche Gehirn nicht begreifen kann, obwohl das natürlich nicht auszuschließen ist.
„Natürlich gibt es Welten, die der Mensch nicht wahrnehmen kann. Aber das hat nichts mit Begreifen zu tun. Wahrnehmung, Mädchen! Es geht immer nur um Wahrnehmung und die dementsprechende Bewusstseinsblase, die dich umhüllt. Kapiert, Mädchen?“
Ach, wie hab ich das vermisst! Und das, obwohl ich schon lange kein Mädchen mehr bin. Aber das ist wiederum Ansichtssache und absolut bedeutungslos, denn Arima nimmt meine Hand und hebt mich vorsichtig auf seine goldene Drachin, hockt sich vor mich hin und schon steigt die wunderschöne Drachenlady mit uns in die Lüfte.
Die Moral von der Geschichte? Lass dich nie, wirklich nie von anderen beeinflussen. Nicht von Menschen, auch wenn sie noch so klug zu nennen sind. Nicht von irgendwelchen Schriften, denn die wurden auch nur von Menschen geschrieben. Denk selbst, schau selbst und dann wäge ab, was für dich wichtig ist und was nicht. Und die Moral? Auch die liegt nur in deinem Selbst.
Wäre doch ein blöder Schluss dieser kleinen Geschichte, oder? Aber worum geht es mir hier wirklich? Na, um die kleine Geschichte selbst! Und das ganz ohne Moral, ohne Fingerzeig. Und was die Restbestände einer Zivilisation betrifft, - dabei geht es um die Leuchtende Welt, die sich auch weiter entwickelt hat. Nicht nur, weil Leuchtende Wesen sie auf unterschiedliche Art wahrnehmen können, sondern weil die Leuchtende Welt tatsächlich so viele Facetten aufweist. Die Leuchtende Welt IST viele! Genau deshalb sind meine Freunde, - meine geschriebenen Freunde, allen voran Kim – äh, Arima, noch immer dort anzutreffen, wenn ich das möchte. Und genau darum geht es. Nur darum!

Der Höhenflug. Mit Arima (diesmal bleibe ich dabei!). Sprachlosigkeit. Schriftlosigkeit. Aber nicht ganz, denn ich sehe die Leuchtende Welt von oben. MEINE Leuchtende Welt. Wie ich sie wahrnehme. Will das jemand wissen? Wohl kaum. Aber ich schreibe das alles eh nur für mich auf. Es muss niemanden interessieren. Außerdem ist es langweilig, ständig dieser Hirnakrobatin zu zuhören oder ihren Unsinn zu lesen. Menschen, es ist Phantasie! Phantasie mit ein bisschen Seelenwahrheit. MEINER Seelenwahrheit. Ich kenn da ein Lied. Ein ganz altes Lied, das so ähnlich geht: „Wie’s da drinnen aussieht, geht niemand was an…“ Also steckt euch eure Kritik sonst wohin.
MEINE Leuchtende Welt: Ich hab einmal versucht, sie zu malen. Mit Kim im Vordergrund. Damals war er noch Kim. Kim allein und doch mit Maria. Aber getrennte Körper. Als Arima, um das nicht zu vergessen, ist Kims und Marias Seele in ein und demselben Körper oder in Kims Worten zu sagen: Die beiden Seelen als Einheit nehmen sich als Kims Leuchtenden Körper wahr. Warum es Kims Körper (sein Leuchtendes-Wesen-Körper) ist, müsste klar sein. Nichts und niemand kann dieser blendenden Schönheit das Wasser reichen. Auf dem Bild ist nur Kims Kopf zu sehen, wie er nach rechts unten blickt und ganz sanft lächelt, was eigentlich kaum zu erkennen ist. Im Hintergrund seltsam spitze rote Felsen auf gelben Boden. Vielleicht etwas zu spitz. Ich will sagen, dieses Bild der Leuchtenden Welt ist mir nicht gelungen. Ich sollte ein neues wagen, das dann so aussieht: Der Horizont ist dunkel – ein elegantes, dunkles Violett, in dem kleine leuchtend rote Wölkchen schweben, die nach sich nach vorne zu baby-rosa Wolken verfärben und der Himmel, ebenso nach vorne zu, zuerst in rot, dann in orange und ganz oben, über mir, in ein strahlendes Gelb verfärbt. Ein Regenbogenhimmel, denn hinter mir erstrahlt es ein wenig grünlich, wie auch der Boden sanft grün, wie die Wiesen im Frühling, erscheint. Berge müssen auch sein, denn ich liebe Berge. Aber sie sind unterschiedlich. Nicht länglich spitz wie auf dem Bild das ich gemalt habe. Manche sind nur kleinere Felsen, vielleicht ein bis zwei Meter hoch, wobei manche rund, andere auch Spitz oder viereckig, wie ein Hocker sind, auf dem Manola saß. Ihre Farben variieren, wobei es auch einige gibt, die den Himmel in seinen Regenbogenfarben widerspiegeln. Der höchste Felsen ist jener, in dem die Quelle des Wasserfalls entspringt. Und es ist der einzige Ort, an dem es das lebensspendende Wasser der Leuchtenden Wesen gibt. Aber wie gesagt, alles auf der Leuchtenden Welt sieht für jedes einzelne Leuchtende Wesen anders aus. Manche nehmen vielleicht ähnlich wahr…
„Lass doch diese Hirnakrobatik und denk mal nach, was du am Anfang dieser kleinen Geschichte geschrieben hast.“
Ach, Arima! Du hast ja so recht. Es war genau das: Und was ist mit dem Raum? Existiert der Raum? Subatomar gesehen, kann es auch keinen Raum geben,…
Aber irgendwie ist es verwirrend. Genau das geht mir durch den Kopf, weshalb ich auf die Beschreibung der Leuchtenden Welt ausgewichen bin. Wie kann es denn wirklich sein, dass man ein und dasselbe auf so unterschiedliche Arten wahrnehmen kann? War irgendwie falsch die Frage, denn es ist ja schon auf der Erde so mit den Menschen, da sie sonst nie streiten und auch nie Kriege führen würden. Ich meine viel mehr, wie kann es sein, dass die Leuchtende Welt ja gar nicht ein und dieselbe ist?
„Aber großkotzig darüber schreiben!“
Großkotzig? So ist das auch wieder nicht, denn auch geniale Wissenschaftler sind der Meinung, dass man Quantenphysik nicht wirklich verstehen kann. Aber es wird schon so sein, dass eingerollte Dimensionen auf mehreren Arten wahrgenommen werden können, solange sie eingerollt sind. Denn sie entscheiden sich ja erst beim Aufrollen, sozusagen, wenn sie sich entfalten und sich von Mikro- zu Makrowelten entwickeln, was für eine Welt sie sind.
„Na, bitte! Dazu braucht es doch keine Hirnakrobatik!“
Du hast leicht reden, Arima. Und lass deine Drachenlady nicht so hoch fliegen, sonst wird mir übel, auch wenn dieser Höhenflug wunderbar ist. Übrigens, wie ist ihr Name? Hat sie überhaupt einen Namen?

„Das ist Izmyr, einer der ältesten noch lebenden Drachen. Ich glaube, er ist gute hunderttausende von Jahren alt, wenn nicht älter“, sagt Arima und setzt sich auf den Rücken des edlen Tieres.
Erst jetzt fällt Ysil und Bela auf, dass sie den Namen ihrer Drachen nicht wissen. Arima scheint ihre Gedanken zu hören.
„Der schwarze Drache, den du, Bela, reitest, - er ist auch schon sehr alt, aber doch jünger als Izmyr. Sein Name lautet Graziella. Der Drache mit der unbestimmten Farbe ist männlich und noch relativ jung – vielleicht acht- oder neuntausend Jahre alt. Sein Name lautet Ferryn.“
So schrieb ich in meiner älteren Geschichte „Sterne fallen nur nachts vom Himmel. Auch wenn mir vielleicht niemand glaubt, ich wunderte mich doch sehr, sehr, sehr, dass ich die Farben der Drachen noch wusste. Was heißt – wusste? Ich wusste es nicht! Und doch schrieb ich intuitiv die richtigen Farben. Bis auf Manolas fliegendes Monster. Aber das dürfte an der Farbe „grün“ liegen, die für die Leuchtende Regenbogenwelt (neuer Name!) ja doch relativ neu ist. Zumindest für mich selbst ist sie neu.
Ich weiß noch, wie ich zögerte und überlegte, welche Farbe Arimas Drache denn haben könnte und dann schrieb ich (wie unter Trance) das Wort „goldfarben“. Schon wieder eine Eingebung, wie bei meinen Bildern und natürlich auch Schreibereien? Schon wieder Zweifel, ob es nicht doch eine Meisterleistung des menschlichen Gehirns und nicht die des großen Geistes sein könnte?
Wie auch immer, an das Geschlecht der Drachen habe ich mich anscheinend falsch erinnert oder es wurde mir falsch eingegeben. So ein Quatsch! Natürlich habe ich mich nicht mehr erinnert und die Farben der Drachen sind reiner Zufall. Schwarz ist ohnehin meine Farbe und Gold ist mir lieber als Silber, weil ich Gold auf meiner Haut vertrage, während mir Silber gar nicht gut tut. Silberkugeln töten Werwölfe. Und vielleicht töten sie auch Hexen.
„Bist du endlich fertig mit deinem Gestammel?“
Arima, wie der alte Kim ständig ungeduldig. Wir landen. Genau an dem herrlichen See der Quelle, die als breiter und farbenfroher Wasserfall, in dem lauter silberne (!) Sternchen glitzern, von einem gigantisch hohen Felsen herab stürzt. Manola und Thygyrill hocken bereits am Ufer, während hinter ihnen und jetzt auch Arimas goldene Lady, die Drachen grasen. Grasen? Klar! Auf der Leuchtenden Regenbogenwelt wird kein Fleisch gegessen. Hier wird nichts getötet. Nicht einmal das Gras, auch wenn es so aussieht. Aber das zu erklären, fällt mir allzu schwer und würde jede Gehirnkapazität sprengen.
Es ist eine wundervolle Idylle hier. Und so ruhig. Nicht einmal das Mampfen der drei Drachen ist zu hören. Dennoch wäre ich neugierig, wie die drei Drachen wirklich heißen und welchen Geschlechts sie sind. Und, wie immer vorlaut, antwortet Arima: „Graziella ist die goldene Lady, die tatsächlich der älteste Drache ist, den ich kenne. Was natürlich nichts heißt, da in all den eingerollten Dimensionen noch viele andere Drachen und andere scheinbar ausgestorbene Wesenheiten herum irren. Izmyr nennt sich Manolas männlicher Drache, dessen Farbe als junger tatsächlich unbestimmbar bunt war, bis er sich im jungen Kindesalter von etwa drei- oder fünfhundert Jahren doch noch für eine einzige Farbe, nämlich grün, entschied. Und schließlich Lady Ferryn, die schwarze Göttin, deren Alter dem von Graziella sehr nahe kommt.“
Seltsam, dass Männer weibliche und Frauen männliche Drachen reiten.
„Das scheint wirklich so zu sein“ sinniert Manola.
Gibt es denn mehr Drachenreiter und Drachenreiterinnen auf der Leuchtenden Welt, die ich nun Leuchtende Regenbogenwelt nenne?
„Es kommt drauf an, was und wie du wahrnimmst. Leuchtende Wesen beschäftigen sich nicht mehr nur mit kreativem Schaffen.“
Die Evolution schreitet also auch hier voran. Das sei nur deshalb erwähnt, weil ich gerade an zwei Geschichten gleichzeitig schreibe. Die andere Geschichte, ich nenne sie „Neue Städte braucht das Land“ handelt von neuen Menschen, eigentlich Tiermenschen oder Menschentiere – geschaffen von Menschen, die sich einen Dreck um Moral kümmerten. Und vielleicht ist diese Phantasie gar nicht so an den Haaren herbei gezogen, denn es gab tatsächlich schon einen Mann, dem ein Schweineherz eingesetzt wurde. Warum also nicht weitermachen?
„Aber wozu?“ fragt Manola.
Um die Sinne zu schärfen. Manche Tiere nehmen anders wahr als Menschen und sehr viele Tiere nehmen mehr wahr als Menschen. Man sollte fast Angst bekommen, dass es einmal so sein könnte. Wohl mehr Angst als vor der Terrorgefahr, die im Moment uns allen aufgeschwatzt wird und mancherorts bestimmt passiert. Vielleicht ist die Terrorgefahr als Ablenkung gedacht und man arbeitet bereits an den Menschentieren oder Tiermenschen?

Drachenreiter auf der Leuchtenden Welt? Drachen, wo es doch nie Tiere auf der Leuchtenden Welt gab? Ach ja, ich nenne sie jetzt Leuchtende Regenbogenwelt.
Aber wer sagt, dass es keine Tiere im Vorhof des Paradieses geben soll? Ohne Tiere wäre es niemals paradiesähnlich. Ich erwarte irgendwann einmal dort unseren schwarzweißen Kater, mit dem schwarzen Punkt auf seinem im Hintergrund rosa Näschen. Und vielleicht auch noch viele andere Tiere, die ich ebenso ins Herz geschlossen habe und noch ins Herz schließen werde. Tiere sind mir näher als Menschen. Hab das doch schon tausend Mal erwähnt. Oder?
„Du bist die Autorin“, raunt Manola neben mir und wirft ein Steinchen in den See, das unendlich lange auf der spiegelglatten Wasseroberfläche weiter hüpft. Ich kann das Ende des Hüpfens nicht sehen. Auch nicht das Ende des Sees. Er scheint, wie alles hier in dieser seltsamen, ein- oder aufgerollten Mikrowelt, unendlich zu sein. Noch ist kein Ende in Sicht, - scheint es mir zu sagen, dieses zukünftige Paradies.
„Warum soll es der Tod sein? Warum fragt ihr Menschen euch stets, was nach dem Leben sein wird? Warum niemals, was vor dem Leben, vor der Geburt war?“
Kluge Worte von Arima. Von wem sonst? Nur er hinterlässt Restbestände einer Zivilisation. Egal welcher Art. Und es sind gute Restbestände.
Mein Verhältnis zu Arima ist besser geworden. Ich halte ihm nichts mehr vor. Immerhin hat nicht er, sondern hab ich ihn verlassen.
„Dein Schreiben ist der Weg in andere Welten.“
Mein Schreiben ist der Weg zur Phantasie, Arima.
„Was ist Phantasie anderes als andere Welten?“
Da hat er auch wieder Recht. Wo er Recht hat, hat er Recht. Aber man muss nicht immer alles so ernst nehmen oder sich über Nichtigkeiten den Kopf zerbrechen. Nein, nicht das Herz, denn ich plädiere auf den Kopf. Dort oben sitzt nicht nur die Logik, sondern auch die Kreativität, sozusagen das Reale, wie ich das Irreale. Die zwei Gehirnhälften, der Beginn von Yin und Yang. Das Herz pumpt nur Blut und sonst nichts. Auch wenn Freund Carlos meint, der Wille liegt in der Körpermitte und sei das Um und Auf des Menschen. Immerhin – das Herz liegt auch nicht in der Körpermitte.
„Es gibt sehr viel mehr als Drachenreiter und Drachen auf der Leuchtenden Welt. Letztens habe ich ein Einhorn hinter einem Felsen entdeckt“, erzählt Thygyrill im lockeren Plauderton.
Mir reichts! Für heute ist es genug, denke ich mir und erhebe mich, um die drei eine Weile lang mit sich selbst zu lassen. Auch ich bin mit mir selbst. Ja, das bin ich! Was man sich nicht alles einreden kann! Was man sich selbst alles vormachen kann!
Da fällt mir ein, was ich letztens las (das muss ich unbedingt erwähnen, weil ich diesen Textabschnitt mit Wonne dreimal hintereinander gelesen habe). Es war dies: Diese Einstellung, alles durchgehen zu lassen, die Dinge nicht beim Namen zu nennen, hinter dem Rücken anderer Kritik zu üben, zu trennen, was wir privat sagen und was wir in der Öffentlichkeit sagen, diese Einstellung mussten wir überwinden, um dahin zu gelangen, wo wir sind. Wenn nämlich die Leute den Mut haben, sich selbst direkt anzusehen, wenn sie aufhören, sich etwas vorzumachen, kommt dabei eine heldenhafte Nation heraus. (aus dem Buch „Der letzte Gesang des Manuel Sendero“ von Ariel Dorfman)
Das wären doch mal anständige Restbestände einer Zivilisation!
In diesem Buch geht es um Föten. Die Föten weigern sich in den Leibern ihrer Mütter, geboren zu werden und erst dann auf die Welt zu kommen, wenn die Erwachsenen Gewalt und Terror wirksam und nachhaltig bekämpft haben.
Dann kann sie kommen, die Leuchtende Welt. Die Leuchtende Regenbogenwelt, die wir uns alles so vorstellen, wie wir das wollen. Jeder einzelne von uns. Jede einzelne von uns. Und natürlich alle Tiere. Vor allem die Tiere. Und jetzt ab zum Frühstücken!