Es sollte nur zur Probe sein. Auf Probezeit halt. Und die Einschulung durfte auch nicht fehlen. Um den Schock zu reduzieren. Das war vor allem für die alte Rasse notwendig. Die alte Rasse, welche die neue Rasse sozusagen schuf. Man war Schöpfer geworden. Die Menschheit als Schöpfergott. Nicht die gesamte Menschheit, nur jene, die Genies genannt werden. Wissenschaftler, Biologen vor allem.
Da sich in der Evolution nichts tat, half man halt nach. Warum auch nicht? Retortenbabys gab es doch auch schon so lange. Babys auf Wunsch. Ein Rotblondes bitte. Mit Intelligenzquotient von 300 wenn möglich. Groß und stark soll „es“ werden. Es? Männlich! Unbedingt männlich. Männer haben noch immer mehr zu sagen. Frauen stiegen ab einem gewissen Jahr nicht mehr auf die Barrikaden. Sie wurden regelrecht nieder gerungen. Und jetzt braucht man sie nicht mehr unbedingt. Männerwohngemeinschaften waren „in“. Frauen dienen doch nur zur Befriedigung und zum gut aussehen. Aber all das war noch das Mindeste! Die Probezeit oder besser gesagt, der Versuch, war ja noch sensationeller. Wenn man schon an den Genen herum basteln kann, warum nicht auch das?
Herr Hundsmann hieß so, weil er eine Mischung aus Hund und Mann war. Als er vom Nochmenschen, einem aus der alten Rasse, das erste Mal gesehen wurde, fiel dieser um, obwohl Herr Hundmann eine elegante Erscheinung war. Schwarzer Anzug, weißes Spitzenhemd, rot gestreifte Krawatte, schwarze Lackschuhe, das leicht gelockte Haar zurück gekämmt und zu einem langen Schweif gebunden. Alles schön und gut. Auch die braunen, sanften Augen machten Eindruck auf den Nochmenschen. Aber dann sah er die lange Schnauze mit dem gewaltigen Gebiss, statt einen menschlichen und vor allem männlichen Mund.
Es gab ja schon vieles, was der menschlichen Phantasie entsprungen war, wenn man sich die alten Filme ansieht. Menschen verwandelten sich in Wölfe, einer sogar mal in eine gigantische Fliege und es gab so genannte Mischwesen, die sich nur dann verwandeln, wenn sie wütend werden. Aber alles nur Phantasie! Man hätte nie geglaubt, dass sich Wissenschaftler über dieses Experiment wagen. Es waren Freiwillige. Aber nur freiwillige Menschen! Tiere konnten sich nicht äußern und wenn, schrieen, kreischten, pfiffen oder blubberten sie. Ja, auch Fische kreuzte man mit Menschen. Erst dadurch konnte man endlich herausfinden, was sich denn da unten im tiefen, tiefen Meer alles abspielt. Menschen wollten schon immer alles wissen.

Es begann mit einem Schweineherz und endete mit einem Delphingehirn. Man hatte in der Tat einst, vor vielen, vielen Jahren, einem Menschen ein Schweineherz eingepflanzt und dieser Mensch wurde mit dem Schweineherz sogar alt. Schon damals regte sich das moralische Gewissen der Menschheit, aber insgeheim machten die so genannten Genies weiter und experimentierten mit armen Studenten und relativ gesunden Obdachlosen. Die Studenten wussten meistens, worauf sie sich einlassen, denn es gab nichts zu unterschreiben. Es gab also nichts Schriftliches, worauf sie sich später hätten vor Gericht berufen können. Was es gab, war Geld. Gar nicht so wenig Geld. Und unbedingtes Schweigen. Wer nur irgendein Wort ausposaunte, musste mit Verfolgung rechnen. Und diese Verfolgung endete meist mit dem Tod. Was die Obdachlosen betraf, war man sich nicht so sicher, ob sie wussten, worauf sie sich einließen. Jene, die dem Alkohol und der Einsamkeit noch nicht so verfallen waren, bekamen sicher alles mit und einige von ihnen starben auf der Straße an einem Unfall, falls sie etwas ausplauderten. Mord konnte nie nachgewiesen werden. Auf jeden Fall gab es genug Menschen, welche Experimente an ihnen durchführen ließen, in denen menschliche Körperteile mit tierischen ausgewechselt wurden. Es war ein Austausch, denn man wollte auch herausfinden, ob Tiere mit menschlichen Organen oder anderen menschlichen Körperteilen auch weiterleben können.
Auf diese Art entstanden nach und nach geheime Wohnsiedlungen, zu denen niemand von Außerhalb – sozusagen die meisten Menschen – Zutritt hatte. Es gab nur wenige Eingeweihte, allen voran natürlich Wissenschaftler und die Betroffenen selbst, für denen das Leben „draußen“ ein für alle mal vorbei war, was manche Studenten in den Selbstmord trieb, da man ihnen diesen Teil der Abmachung verschwiegen hatte. Aber was geschah nicht alles im Namen der Wissenschaft! Ja, und natürlich waren auch einige Politiker vertraut mit dem Experiment.
So genau weiß man nicht mehr, wie alles aufflog. Oder ob es überhaupt aufflog und nicht doch Wille der Oberen war. Auf jeden Fall sprach sich irgendwann herum, dass es an gewissen Orten Städte gab, die ganz für sich waren. Dort würden sehr seltsame Lebewesen existieren, die sich selbst ein ganz eigenes System aufgebaut hätten. Und es schien zu funktionieren. Auch mit der Arbeit, da jedes dieser Wesen für eine ganz bestimmte Arbeit zuständig sein soll. Man könnte jetzt annehmen, Herr Hundsmann würde im Bereich des Riechens einen guten Job machen. Vielleicht Parfümhersteller oder ähnliches. Nun, so in der Art wurde also in jenen einst geheimen Städten gearbeitet und gelebt. Und man lebte gut und zufrieden.
Die seltsamen Wesen paarten sich auch untereinander und so entstanden neue Rassen, die auf zweierlei Arbeiten zugelassen werden konnten. Sozusagen war ein Wesen nicht mehr nur auf einem Gebiet, sondern auf zweien oder gar mehreren absolute Spitze.
Wenn jemand nach Moral oder Ästhetik fragen würde, da war man schon längst weit weg. Und Gott? Und Religion? Das war keine Frage mehr. Nicht mal kleine Sekten, östliche Philosophien oder esoterische Gruppen waren mehr gefragt. Es wurde überhaupt nichts mehr geglaubt, denn was zählte, waren Fakten. Fakten und nichts als Fakten.
Die große Frage war natürlich zuerst das Herz, dem man nachsagte, in ihm würde die Seele leben. Ein Mensch, dem damals noch ein menschliches Herzen verpflanzt wurde, blieb derselbe und nahm nicht die Art und Weise des Menschen an, dessen Herz nun in seinem Körper schlug. Die nächste Suche nach der Seele oder wenigstens nach der Art und Weise eines Menschen war das Gehirn. Man verglich das menschliche Gehirn oft mit einem enormen Speicher. Man nahm an, dass in jedem Gehirn ein ganz bestimmtes Leben und natürlich Wissen gespeichert sei. Aber in dieser Hinsicht tat sich nichts, als man das erste Mal erfolgreich ein menschliches Gehirn in einen menschlichen Körper verpflanzte. Der Mensch blieb zwar nicht ein und derselbe wie vor der Transplantation, aber er nahm absolut nichts vom Spender an, sondern musste alles wieder von vorne lernen wie ein kleines Kind. Aber auch das bekam man bald schneller in den Griff.
Trotz anfangs vieler Proteste, dass man die Seele oder das Bewusstsein nicht sehen und nicht spüren kann, da sie unsichtbar und außerdem ihrem Behälter (materiellen Körper) stets treu ist, setzten sich die Wissenschaftler und obersten Politiker durch. Gott gab es nicht mehr und damit basta. Religionen waren überflüssig und damit basta. All die herrlichen Kirchen, Dome, Kathedralen, Synagogen, Moscheen und viele andere spirituelle Bauten wurden entweder abgerissen oder in Wohnungen oder andere funktionelle Häuser umgewandelt. Und die Gottesmänner und Gottesfrauen mussten schauen, wie sie ihren Lebensunterhalt weiterhin beschaffen können.

Familie Rosenbaum zog also in eine der neuen Städte, in denen bisher nur Familien der neuen Rasse wohnten. Um Missverständnisse zu vermeiden, Familien Rosenbaum, die erste Versuchsfamilie dieser Art, hieß nicht deshalb Rosenbaum, weil es bereits Züchtungen zwischen Menschen und Pflanzen gab. Das gab es später auch nicht wirklich, obwohl man versuchte, gewisse Daten von vor allem sehr alten Bäumen mit menschlicher DNA zu kreuzen. Teilweise klappte es, aber die meisten Menschen waren immun dagegen. Also musste das Raumfahrtprogramm abermals geändert werden. Man hoffte nämlich, durch eine bestimmte Baum-DNA an die 1000 Jahre alt zu werden, um eine lange Reise zu weit entfernten Planeten zu überleben.
Der Versuch der Städtevereinigungen war anfangs fast zum Scheitern verurteilt, was an den Kindern der Erwachsenen lag. Man sagte immer schon, Kinder seien grausam und das bewahrheitete sich hier besonders, während die Erwachsenen beider Rassen tolerant und auch freundlich reagierten und schon von Anfang an Freundschaften geschlossen wurden. Kinder der neuen Rasse, die besonders scharfe Zähne oder gewaltige Krallen an den Fingern hatten, verletzen Kinder der alten Rasse oft so schwer, dass diese an den Verletzungen starben.
Es wundert mich, dass die Erwachsenen damals sehr vernünftig (man nannte es so) reagierten und nicht gegen die Kinder und deren Eltern Klage einreichten. Man verzieh sogar. Nein, es wundert mich eigentlich nicht, da ich erst viel später erfuhr, welcher Gehirnwäsche die Menschen beider Rassen damals unterzogen wurden. Es herrscht sogar heute noch Schweigen darüber, weil sich das meiste davon kaum beweisen lässt. Also sollte auch ich darüber Stillschweigen üben, um die alten Menschenrasse nicht zu sehr zu verunglimpfen.
Es gab aber doch bald Ruhe, auch unter den Kindern. In allen Städten, auch in denen der alten Rasse, waren bald beide Rassen vertreten. Das Experiment hatte also geklappt und die Oberen rieben sich die Hände. Was die Oberen betrifft, die lebten wie einst Kaiser und Könige in Residenzen, die von riesigen Parks, umgeben waren. Fast jedes Land eines Staates hatte so eine Residenz, in der die Familie, jeweils mit Nachfolger, Eltern, Großeltern und manchmal auch Urgroßeltern, ihr ruhiges und luxuriöses Leben genossen. Es gab auch einige Bedienstete der Länder und Staaten, aber selbst denen wurde teilweise in den Gehirnen herum gepfuscht.
Jahrzehnte ging das so dahin und die alte Rasse vermischte sich mit der neuen Rasse, dass es bald kaum mehr Wesen der alten Rasse gab. Aber das dauerte noch gut ein bis zwei Jahrhunderte. So genau kann ich es nicht benennen, da es ab einem gewissen Zeitpunkt keine Zeitrechnung mehr gab.
Die Oberen und vor allem ihre Wissenschaftler dachten, dass die Fortpflanzung beider Rassen klappen würde und manchmal noch Wesen der alten Rasse geboren werden. Aber dem war nicht so, da sich viel mehr die tierische DNA weiter vermehrte und die menschliche DNA mehr und mehr verdrängte. Es war zu spät, als die Oberen die Katastrophe bemerkten. Damals waren sie schon an den Toren der Residenzen, nachdem sie ihre eigenen Heimstätten verwüstet hatten, um weiter zu wüten. Natürlich ist dies nur eine Vermutung meinerseits, da auch hier Beweise fehlen, wie alles passiert ist, als der „Aufstand der Tiere“ begann, wie man es nannte. Hat man zu wenig nachgeprüft? Gab es keine Untersuchungen mehr, um festzustellen, warum das menschliche Gen am Aussterben war?
Vielleicht musste alles einfach so passieren und im Nachhinein ist es sogar gut so, da die alte menschliche Rasse sehr fehlerhaft war, wie am Verlauf der alten Geschichte klar zu erkennen ist. Die alte, eigentlich die uralte Geschichte der Menschheit, zeichnet sich nur durch Kriege aus, die schließlich im Weltterror endete. Dann schien die alte Rasse, die noch übrig blieb, etwas klüger zu werden. Aber das dürfte nur eine kurze Ruhepause gewesen sein, bis man auf die irre Idee kam, Menschen und Tiere als Einheiten im Reagenzglas zu züchten.
Nach weiteren Jahrhunderten gab es nichts mehr, was auf der Erde an Menschen erinnerte. Auch auf anderen Planeten, welche die Menschheit damals bereits erobert hatte, tat sich nichts mehr, da der Hauptsitz der Befehlshaber noch immer auf der Erde war. Es dürfte auch dort oben in den Weiten des Weltraums nichts mehr Menschliches mehr gegeben haben.
Jetzt wird man sich fragen, wer ich bin und was dieses Schreiben bedeutet. Ich bin eine Schülerin der vierten C-Klasse, die die Geschichte der alten Menschen studiert und über sie schreibt. Ich bin ein Mensch der neuen Rasse, die sich nach Jahrhunderten auf natürliche Art entwickelt hat. Wir sind anders als die Menschen der alten Rasse. Wir haben zwar Gesetze, aber diese dienen nicht uns, sondern der Natur, die uns umgibt, obwohl wir – wie man früher sagte – immens fortgeschritten im Geiste sind. Wir könnten Energie aus der Erde gewinnen. Wir könnten als Ärzte unsere Mitmenschen mehr als 500 Jahre alt werden lassen. Wir könnten mit Lichtgeschwindigkeit ins Weltall fliegen. Wir könnten Dinge tun, von denen die Menschen der alten Rasse nicht einmal zu träumen wagte. Aber wir tun es nicht, weil wir mit der Natur zusammen leben, mit all den Tieren, die sich ebenso neu wie wir entwickelt haben, mit all den wunderbaren und wohlschmeckenden Pflanzen, die unsere einzige Nahrung sind und mit all dieser herrlichen Umgebung, die wir unsere Heimat nennen dürfen. Wir lernen als Kindern lesen und schreiben, malen und basteln, haben als Erwachsene unsere spirituellen Rituale und lernen, wie wir uns vor Kälte oder Hitze auf natürliche Art schützen.
Wir leben nicht so, weil uns die alte Geschichte als Fingerzeig dient, die wir zufällig durch einen alten unterirdischen Bunker in geschriebener Form (welch Wunder, dass die Blätter in den tausenden von Aktenordner so viele Jahrhunderte unbeschädigt erhalten blieben!) entdeckt haben. Wir leben so, weil wir so sind. Und wir erkannten auch, dass die Geschichte genauso sein musste, wie sie war, - dass sich die Menschheit durch irgendeine Dummheit selbst ausrottet, um schließlich vollkommen neu und gestärkt, wie Phönix (ja, auch diese wunderschöne Geschichte ist uns bekannt) aus der Asche wieder geboren wird.