Viele Weise sagen, Gott sei unantastbar. Bedeutet soviel wie jenseits von gut und böse. Wenn, dann ist es der Menschengott oder der Menschengeist, den Arima gesehen hat, als er alle Geister dieses Universums „sah“, der zwischen gut und böse unterscheidet. Der persönliche Gott und gleichzeitig der Widersacher, genannt Satan. Gibt es denn tatsächlich einen Unterschied zwischen Luzifer und Satan?
„Satan gehört zu den Göttern der Unterwelt. Das so genannte Böse existiert. Es lässt sich nicht leugnen, auch wenn es, so wie alles, stets relativ ist. Und es verführt alle Wesen, sogar die so genannten „oberen“ Wesen.“
Joshua musste sich mit ihm streiten, was ihm viele Wesen nicht verzeihen können. Hätte er doch dreimal „Ja!“ gesagt, aber nein, Joshua musste diesen dämlichen Satz „Der Mensch lebt nicht nur vom Brot allein“ sagen.
„Für immer satt? Unsterblich? Materieller Reichtum für die Ewigkeit? Das wäre ein Alptraum für die Menschheit. Und sehr viel mehr ein Alptraum für die Seele, die sich entwickeln möchte.“
Ach ja, die Seelenwanderung! Dazu braucht es keinen Gott, sondern nur Energie, aus der alles besteht.
„Meine Rede! Das, was ich schon immer gesagt habe. Nimm die Quelle nicht persönlich. Nimm dich nicht persönlich. Der Bereich wird immer größer und weiter. Die Seele dehnt sich nicht aus – sie erkennt. In den niederen Welten vergisst sie gerne, was auch zu verstehen ist. In den mittleren Welten hat sie einen Hauch der Erinnerung, aber noch immer gibt sie sich dem Vergessen hin, weil sie sonst nichts lernen wird. Sie würde sich zu sicher fühlen und ein weiteres Leben planen, wie es ihr gefällt. Aber damit würde sie sich schaden und wieder in die unteren Welten zurück fallen.“
Und woher kommen die Welten?
„Die Quelle stellt alles zur Verfügung, was du zum Leben brauchst. Sie ist alles und nichts zugleich. Müssen wir denn ständig alles wiederholen?“
Es tut gut. Es ist meine eigentliche Morgenmeditation. Mein Morgengebet. Das geistige Rätsel, das immer wieder neu zu lösen ist.
Aber wer bestraft uns? Wir uns selbst? Haben wir eine Überseele?
„Die rechte und die linke Seite. Tonal und Nagual. Schon wieder vergessen? Du bist dein eigener Beobachter. Du beobachtest dich selbst, schreist tonlos auf bei all den Schwachsinn, den du tust, sagst und denkst. Die Reihenfolge sollte anders laufen, denn alles beginnt mit dem Denken.“
Die Seelenwanderung würde vieles erklären. Was der Kurs aber auch tut.
„Ist es nicht immer wieder schön, zu erfahren, dass dieses so große Geheimnis für immer unlösbar sein wird?“

„Die rechte Seite ist der Körper und sein Bewusstsein, das er in den Jahren des Wachstums entwickelt. Die linke Seite ist die Ganzheit des Selbst, mit dem die rechte Seite noch während und kurz nach der Geburt verbunden ist. Erst im Tod wendet sich die rechte Seite der linken zu, wie auch die linke sich der rechten Seite zuwendet, um wieder vereint im Geiste zu sein. Die Ganzheit zu erklären ist schwer. Man kann sagen, sie ist alle Leben, die je gelebt sind und die noch gelebt werden und doch ist sie mehr. Man kann also genauso viel oder genauso wenig über sie sagen, - sie erklären, wie die Quelle der Kraft.“
„Aber sie ist dann doch sehr viel größer als die rechte Seite“, wirft eines der vier Kinder ein, die um Sila im Garten hocken. Obwohl sie Sila wie eine Göttin (die sie für die Kinder auch ist) verehren, haben sie keine Angst, ihr zu widersprechen oder unaufgefordert Fragen zu stellen.
„Sie ist weder groß noch klein, weil sie formlos ist. Sie ist reiner, unverwundbarer Geist wie die Quelle, deren Emanation sie ist. Jeder von euch ist eine Ganzheit, wenn man es genau nehmen will. Jeder von euch ist eine Emanation der Quelle. Aber lassen wir das. Soll ich euch von einem meiner Leben erzählen, das mir am allerliebsten war?“
Die vier klatschen in die Hände und jubeln bejahend.
„Es war ein Leben wie im Traum. Mutterlos. Vaterlos. Aber jemand brachte mich auf die Insel hinter den Nebeln. Wisst ihr, wovon ich spreche? Denn ich weiß, dass Avalon nicht nur den Menschen von damals bekannt war.“
Die vier schütteln ihre kleinen Köpfe. Dem Mädchen, das einen von Silas Aspekt lebt, fällt die Kappe, die mit Blüten geschmückt ist, vom Kopf und eine Mähne von rotblondem Haar quillt bis auf die Hüften herab.
„Dieser Jemand, der mich hinter die Nebel brachte, war mein Vater. Mein leiblicher Vater in einem anderen Leben. Ich war damals alt und lag im Sterben. Er kam als Engel zu mir ins Zimmer. Ein schwarzer Engel mit schwarzen Flügeln und genauso langem Haar wie du es hast, meine liebe Kleine. Aber sein Haar war nicht wie Feuer – es war wie Kohle so schwarz. Er nahm mich in seine Arme und als wir aus dem Fenster flogen, blickte ich zurück und sah mich selbst im Bett liegen. Mich als alte, faltige Frau. Es war ein verwirrender Flug. Ich glaube, ich wurde ohnmächtig, denn als mit bewusst wurde, dass ich in einer Wiese lag, wusste ich im ersten Moment nicht, was wirklich passiert war.“
„Wer ist dein Vater, dass er über derartige Fähigkeiten verfügt?“ fragt eines der Kinder.
„Das ist genauso schwer zu erklären wie das mit der Ganzheit und der Quelle. Viele sagen, er sei der König des Universums. Er selbst bezeichnet sich lieber als Sklave des Universums. Er wurde auf der Erde geboren. Das ist ein kleiner, blauer Planet, der sich später in eine Leuchtende Welt verwandelt hat. Die Leuchtende Welt ist die Heimat seines Vaters, der ihn auf der Erde mit einer Erdenfrau gezeugt hat.“
Eines der Kinder hebt die Hand und unterbricht Sila mit folgenden Worten: „Moment! Dein Vater wurde auf der Erde geboren, die sich weiter entwickelte und zu einer Leuchtenden Welt wurde. So gesehen müsste sein Vater, der ihn mit einer Erdenfrau zeugte, aus der Zukunft gekommen sein.“
„So gesehen müsste es so sein. Da hast du wohl recht mit dieser Annahme. Und wie ich schon sagte, ist das Leben meines Vaters, genauso wie er selbst, schwer zu erklären. Auf jeden Fall brachte er mich als schwarzer Engel hinter die Nebel.“
„Die Nebel? Sind es mehrere?“ fragt das Mädchen, das die Kappe mit den Blüten wieder auf den Kopf gesetzt und ihre Haarpracht darunter gesteckt hat.
„Oh ja! Das wusste ich aber erst später, denn nur die Schwestern von Avalon sind dazu fähig, durch sie hindurch zu gehen. Eine Legende, man nennt sie Morgana, fand mich in der Wiese liegen und trug mich in meine zukünftige Wohnstatt. Es war ein kleines Zimmer, aber es hatte alles, was man zum Leben braucht. Äußerlichkeiten zählen auf Avalon nicht.“
„Es ist ein Zwischenreich wie Atlantis und Lemuria in den großen Meeren. Nicht wahr?“ wendet der Junge ein, der mit gesenktem Kopf vor dem Zaun gestanden ist, als Sila ankam. Es war eine Ehrerbietung, da er nicht wagte, seiner Göttin ins Gesicht zu blicken.
„Ah, das kennt ihr? Sehr schön? Wer hat euch davon erzählt?“
„Unsere Großeltern und manchmal auch unsere Mütter, wenn sie uns zu Bett brachten, als wir noch runzlig und gebrechlich waren. Wir hielten es für Märchen, aber einmal träumte ich von einem Ort, der so ganz anders war als dieser hier und ein Wesen kam auf mich zu, das ich kaum beschreiben kann und es sagte, dass ich in einem Zwischenreich gelandet bin, das Lemuria genannt wird. Aber ich hätte hier nichts verloren und müsse auf die andere Seite der Meere, wo man mich erwartet. Schließlich wachte ich auf. Aber bald schlief ich wieder ein, da noch tiefste Nacht war und träumte abermals von einem wundervollen Ort, an dem ein Wesen auf mich zukam und mich 'willkommen auf Atlantis' hieß. Ich träumte später noch mehrmals von diesem Ort und diesem Wesen, das mir unter anderem verriet, dass dies Zwischenwelten sind.“
„Shangri-La ist auch so ein Reich“,meldet sich das Mädchen mit der Blütenkappe und Sila lächelt.
„Du erinnerst dich an mich?“ fragt sie und das Mädchen nickt.

Auch Shambala gehört zu den so genannten Zwischenwelten, die nur selten auf gewöhnliche Art betreten werden können. Gewöhnliche Art soll heißen, dass man nur selten in diesen Welten geboren wird. Man wird viel mehr hingebracht oder findet, wenn man spirituell hoch entwickelt ist, von selbst hin.
Im Grunde genommen spielt es keine Rolle, ob es sich um gewöhnliche Welten oder Zwischenwelten handelt, denn irgendwie ist alles miteinander verwoben und auf geistige Art ohnehin immer Eins.

Es gibt andere Gedanken in mir, die ich schon gestern vor dem Einschlafen hatte. Ich habe sie bereits erwähnt, als ich mir ein altes Foto ansah und mich fragte, ob das wirklich ich bin/war. Und schließlich dachte ich gestern Nacht: Ich weine um mein Baby, weil es verschwunden ist. Ich weine um meinen kleinen Jungen, weil er nicht mehr da ist. Und so weiter. Bis mein kleiner Junge, unser geliebter Sohn, schließlich die Jetztzeit erreicht.
Vielleicht sind es dumme Gedanken, worüber niemand wirklich nachdenkt. Aber ich frage mich dennoch und versucht zu ergründen, wo es nichts zu ergründen gibt. Das Baby, das ich einst in den Armen hielt und säugte, gibt es nicht mehr. Es ist wirklich verschwunden. Oder steckt es in dem jungen Mann von heute? Zellen erneuern sich alle sieben Jahre. Der Körper von einst ist ein anderer. Es ist ja nicht nur so, dass es um den Körper geht. Es betrifft genauso den Geist, die Seele. Würde der junge Mann von heute den Geist eines Babys haben, hätte er schwerwiegende Probleme, sich anderen Menschen gegenüber zu verständigen.
Wir verabschieden uns von jedem Moment unseres Lebens. Immer wieder. Uneinholbar. Unwiederholbar. Das Baby von einst ist verschwunden. Höchstens noch auf Fotos zu bestaunen und verwundert sagen: „Groß ist er geworden!“ Ist er das? Haben wir zugesehen beim Wachsen? Manchmal erschien es mir, als wäre er über Nacht plötzlich erwachsen geworden.

„Ja, ich erinnere mich an dich. Ich habe dich im Traum gesehen. Da war noch jemand bei dir. Ein so schönes Wesen, das ich nie wieder vergessen konnte. Aber ich fürchte, ich werde es vergessen, je mehr ich schrumpfe und schließlich ein Baby bin.“
Sila nimmt das kleine Mädchen tröstend in die Arme. Sie verrät ihm nicht, dass es ein Aspekt von ihr ist. Das findet es schon früh genug heraus. Und die Liebe zu Arima ist auch nichts Verbindendes, denn jedes Geschöpf, jedes Leben wendet sich in Liebe ihm zu, seit Ake vernichtet (umgepolt) wurde.
Sila erinnert sich an diese Liebe, die nie hätte sein dürfen. Der Hochzeitstag, als Er die Treppe herab kam. Gekleidet wie ein Gott – man kann es kaum beschreiben, aber es war so ungewohnt und dennoch passte es. Er trug den eleganten Anzug genauso wie kurz vorhin die zerlumpten Jeans, als wäre beides nur für Ihn gemacht. Und sie (Manola) fragte sich, ob sie nicht den Falschen heiratet, bzw. gar nicht heiraten soll und sich die Liebe zu ihrem leiblichen Vater eingestehen sollte. Aber da würde Er nicht mitmachen. Das kann Er gar nicht. Seine wahre Liebe ist ihre Mutter. Ihre liebe Mutter, die stets so verständnisvoll und liebevoll war.
Aber jetzt, jetzt sind sie endlich so vereint, dass es keine schmerzvolle Sehnsucht mehr gibt und sie, Sila, weiß, dass sie beide als Doppelwesen bald ein Vierfachwesen sein werden. Der Traum von damals, Eins mit Ihm zu sein, wird bald in Erfüllung gehen.

Unter dem Küchenfenster steht eine Bank, auf der man sich nach der Gartenarbeit ausruhen kann. So saß ich nun auf dieser Bank und blickte auf die Allee und auf den Gemüsegarten, direkt vor mir. Ich dachte dabei an Daddy, der die Gartenarbeit immer macht, weil er nun mal am besten mit Gemüse und Obst umgehen kann. Bei ihm wächst alles viel besser und schneller. Plötzlich wurde ich traurig, weil ich schon wieder daran denken mußte, wie es sein wird, wenn Daddy und Mama uns verlassen. Ich wurde so unheimlich traurig, daß mir die Tränen kamen und ich kaum mehr etwas sehen konnte. Plötzlich bewegte sich etwas vor mir. Zuerst war es nur wie ein Schatten, aber dann entpuppte sich dieser Schatten als feste Gestalt. Wie im dichten Nebel sah ich schwarzes, langes Haar, mit dem der Wind spielte. Ich fühlte aber keinen Wind. Dann sah ich in große, schocktürkisfarbene Augen. Ich lachte, sprang auf und rief: Daddy! Ich sah sein Lächeln – und es beruhigte mich auf seltsame Weise, daß ich mich wieder setzte. Der Nebel löste sich etwas auf, und ich konnte bereits Daddys ganzen Körper sehen. Es war ein seltsames Gefühl. Ich wußte, daß Daddy und Mama mit unseren Kindern spazieren sind – daß diese Gestalt vielleicht nur ein Teil Daddys ist – aber eher ein Teil meines Herzens, der sich vor meinen Augen materialisiert hat. Ich sagte es ihm – und er nickte stumm. Ich fragte, ob er auch sprechen kann. Er nickte wieder. Ich bat ihn, etwas zu sagen – und er sagte: „Ich bin immer bei dir, Mädchen. Erinnere dich immer an diese tiefe Traurigkeit.“

So steht es im Buch „Manola“, geschrieben Ende 1998. Die Liebe zu ihrem „Daddy“ war größer als alles andere. Als würde sie schon damals die zukünftige – die so weit zukünftige – Vereinigung fühlen. War diese Liebe damals rein? Was ist überhaupt „rein“? Sexuelle Sehnsüchte? Aber das war es. Manola wollte mit ihren leiblichen Vater Geschlechtsverkehr. Sünde? Inzest?
Kim war nie prüde. Mit seinem Sohn, den er auf der Erde mit Mary (das war noch die Zeit in England bei seinen Zieheltern) hatte, führte er einst folgendes Gespräch (im Buch „Kim 12. Buch“), als er erfuhr, dass dieser Sex mit seiner eigenen Mutter hatte:

„Du hast dich von den Regeln der sogenannten Gesellschaft unterkriegen lassen, was ja sonst nie dein Fall war. Du randalierst, schlägst dich herum, und wenn du mit deiner eigenen Mutter Liebe machst, willst du Gewissensbisse haben?"
Der Kleine (so wurde er von allen genannt, weil er auch Kim hieß) sah Kim groß an.
"Bist du denn gar nicht schockiert deswegen, Dad?"
"Was soll denn an Liebe schockierend sein?"
"Dad! Sie war meine leibliche Mutter!"
"Na und? Darf es zwischen Mutter und Sohn keine Zärtlichkeiten geben?"
"Zärtlichkeiten? Dad, ich habe, wie du es ausdrücken würdest, meine Mutter gefickt", fuhr der Kleine erregt auf.
"Das weiß ich doch, aber deswegen mußt du jetzt nicht vulgär werden."
"Ich und vulgär? Ich habe mich nur mit deinen Worten ausgedrückt."
"Ja, das hast du, aber dazu brauchst du den Klang meiner Stimme, sonst klingt es vulgär", sagte Kim lächelnd und klopfte dem Kleinen auf die Schulter.

Ohne Humor ging es bei Kim natürlich auch nie.
Liebe, egal welche, war für ihn immer „okay“ - zu wem und mit wem auch immer. Auch die sexuelle Liebe zwischen Kerstins und Andys Zwillingen fand er keineswegs schockierend. Ob Mann und Mann, Frau und Frau, Bruder und Bruder, Sohn und Mutter oder wie auch immer – wenn kein Zwang vorherrscht, ist alles „okay“.
Dennoch gab es zwischen Kim und Manola nie eine sexuelle Vereinigung. Die Geschichte „Manola – die Wahrheit“ - und alle anderen „Wahrheitsbücher“ sind Quatsch, falls es dort zu einer Kopulation zwischen Kim und seiner Tochter kam.
Es geht um Kraft – wie immer. Manola brauchte ihre eigene Kraft, um ihren Weg zu finden. Kims Energie, die bei einer Vereinigung in sie geströmt wäre, hätte ihre eigene Kraft wahrscheinlich blockiert. Die „Erscheinung“ war harmlos, aber sie war ein Zeichen, dass Kims Tochter ihren Weg finden wird – den Weg zu ihrer Ganzheit des Selbst, die alles überdauern wird, bis sie schlussendlich Kim und Maria, vereint als Arima, gegenüberstehen wird. Wäre es anders gewesen und hätte Kim nachgegeben... Aber da halte ich es mit Kim, der immer sagte: „Auf „was-wäre-wenn gibt es unendlich viele Antworten. Welche willst du denn hören? Die erste, die zweite, die dritte...“

„In den Zwischenwelten kann man sehr alt werden“, erzählt Sila den Kindern, als sich auch der große, schwarze Hund dazu gesellt und sich von Sila hinter den Ohren kraulen lässt. „In manchen ist es ein Fluch, sehr alt zu werden. Besonders wenn es sich um die unteren Welten handelt. Dort büßt man wahrhaftig alle Sünden ab.“
„Also gibt es Sünden und man muss dafür büßen?“ fragt einer der beiden Jungen.
„Das ist nicht so leicht zu erklären. Es gibt niemanden, der straft oder lobt. Die Quelle ist in dieser Beziehung neutral oder kümmert sich, wenn man so sagen kann, gar nicht um das, was in den Welten passiert, obwohl sie stets mitten drin ist.“
„Ich dachte, die Quelle ist die Welt in materieller Form“, sagt das Mädchen mit der Blütenhaube.
„So kann man es auch deuten. Aber wie gesagt, über die Quelle zu sprechen, führt stets zu Missverständnissen. Am besten, man lässt alles auf sich zukommen und akzeptiert, ohne jammern und klagen, was passiert. Wenn man etwas tun kann, soll man es tun und wenn nicht, auch gut. Es kommt wie es kommt.
Das hört sich nach Bestimmung an. Und doch ist es keine. Wenn ihr nun sagt, ihr könnt genauso gut die Hände in den Schoß legen, weil ohnehin alles kommt wie es kommt, wäre eventuell genau das eure Bestimmung. Die alten Mönche in den Burgen und Klöstern tun nichts anders. Vielleicht ein bisschen Gartenarbeit, kochen und sehr viel beten und meditieren.“
„Und doch ist es keine Bestimmung? Das verstehe ich jetzt nicht“, meutert der Junge, der hinter dem Zaun stand.
„Es ist paradox. Alles, was sich um die Quelle, um das Leben und die Ganzheiten dreht, ist stets paradox. Vielleicht ist es die Ganzheit, die sich rein waschen will, weshalb man zur Strafe in eine untere Zwischenwelt kommt. Und vielleicht ist es der Aspekt selbst, der sich scheut, eins mit der so reinen, leuchtenden Ganzheit zu werden, weshalb er sich freiwillig in eine der unteren Welten begibt. Vielleicht ist es Bestimmung, dass ihr vier hier in diesem alten Haus lebt. Aber vielleicht war es euer Wille, hier zu viert zu leben. Man kann es drehen und wenden wie man will. Der freie Wille kann genauso gut Bestimmung sein. Und dann kommt auch noch die Individualität in der Einheit dazu. Wie will man denn das erklären?“
„Du hast recht, Sila“, meint das Mädchen mit der Blütenhaube, „am besten ist es wirklich, alles auf sich zukommen zu lassen oder sich einfach schöne Geschichten zu erzählen. Wie wäre es jetzt mit einer Geschichte aus Avalon?“

Im Buch „Der Weg“ von William Paul Young las ich, dass „real“ nicht gleich „wahr“ ist. Real oder nicht real bezieht sich auf Wahrnehmung und wahr auf Erkenntnis, wie ich schon mal in einem anderen Buch gelesen habe. Da muss doch was dran sein!

Sila lehnt sich an einen dünnen Baumstamm zurück. Es stehen drei kleine Bäumchen im überwucherten Garten der vier Kinder. Um einen davon sind Sila, die zwei Jungs und zwei Mädchen und der große, schwarze Hund, der sich noch immer an Sila schmiegt und sich von ihr kraulen lässt, versammelt.
„Ich denke noch immer an die ersten Tage auf Avalon“, beginnt sie mit ihrer Erzählung und die Kinder hören gespannt zu (sogar der Hund hebt seine langen Schlappohren). „Es war wie ein Traum. Ich konnte nicht glauben, dass all das, was ich sah, real ist. Morgana – oder Morgaine, wie ich sie nannte – war dabei auch keine große Unterstützung. Sie trieb mich richtig voran, dass ich kaum zum Nachdenken kam. Gartenarbeiten und darunter sehr schwere, wie etwa einen toten Strauch ausgraben oder Steine schleppen, um einen neuen Weg zu pflastern, und in der Küche helfen, indem ich große Eimer voll Wasser tragen musste, waren an der Tagesordnung. Schließlich sagte sie nach einigen Wochen – meinem Zeitgefühl nach, das ich noch immer hatte – ich hätte diese Arbeiten nicht machen müssen, wenn ich nicht gewollt hätte.
Aber anscheinend taten sie mir gut, auch wenn mir abends alles weh tat und ich wie tot ins Bett fiel, das nicht unbedingt so weich und groß war, wie ich es gewohnt war. Ich vergaß zu denken. Ich vergaß, an mich selbst zu denken. Menschen denken viel zu viel an sich selbst. Es heißt, wenn man zu viel an sich denkt, ermüdet einen das und man wird schneller älter.
Bei Menschen – und damals war ich ein Mensch, bevor ich auf Avalon gebracht wurde – dreht sich alles ums Ego, müsst ihr wissen.“
„Was sind Menschen?“ fragt das Mädchen mit der Blütenhaube und sinniert darauf hin, bis ein leichtes Funkeln in ihren violetten Augen erscheint. „Der Traum. Ich war ein Mensch, als ich in diese Zwischenwelt kam und dich sah. Zumindest fragte man mich sehr schroff, was ich als Mensch in dieser Welt zu suchen habe. Ich solle verschwinden. Ach, der Traum war so real!“
„Wer sagte das zu dir?“ fragt Sila in strengerem Ton.
„Es war ein sehr großes Wesen mit dunklen Schwingen.“
Sila lacht auf. „Das war Mephan, der sich immer gerne aufspielte. So was darfst du nicht ernst nehmen, falls du wieder mal von ihm träumst.“
„Die Träume hörten auf. Bei allen von uns. Wir träumen schon seit zwei Einheiten nichts mehr.“
Einheiten sind so etwas wie Jahre auf der Erde.
„Habt ihr alle von solchen Welten geträumt, die euch real erschienen?“ fragt Sila und die Vier nicken.
„Menschen waren sehr seltsame Wesen“ erzählt Sila weiter. „Aber sie waren so etwas wie der Anfang zur Wahrheit. Sie waren eine der ersten Lebewesen auf der Erde, die einen Draht zu anderen Welten hatten. Leider fanden die meisten Menschen, dass es sich bloß um Phantasie handelt. Aber einige nannten es Religion und glaubten an solche Welten oder Sphären. Manches war für sie real und anderes nicht real. Erst als sie sich weiter entwickelten, kam ihre wahre Spiritualität hervor und aus ihnen wurden wahrhaftig Götter, wie ihr an mir sehen könnt. Natürlich sind wir keine Götter, wie Menschen daran geglaubt haben, sondern noch immer nichts anderes als Lebewesen wie alle anderen. Gott in dem Sinn gibt es nur einen einzigen und das ist jener, aus dem alles hervorging und in dem alles wieder zurückwandert. Ich nenne sie die Quelle der Kraft und wir sind ihre Emanationen.
Mein Begleiter, den du, meine liebe Kleine, an meiner Seite im Traum gesehen hast, ist für uns alle etwas Besonderes. Das mag er gar nicht, aber alle Lebewesen empfinden es so. Seine Ganzheit strahlt am hellsten und ist voll mit allen möglichen Gottheiten, die in allen möglichen Welten gewandelt sind. Keine andere Ganzheit strahlt heller. Wir tun ihm nicht unrecht, wenn wir das sagen, aber wenn es einen Gott unter den Lebewesen dieses Universums gibt, dann ist er es.“
Die Vier stecken ihre Köpfe zusammen und tuscheln, bis sie schließlich lachen und Sila mit roten Wangen anstarren.
„Du bist verliebt in ihm. Das ist alles“, sagt das Mädchen mit der Blütenhaube und lacht wieder mit den anderen Dreien.

Was ist mit den Ungläubigen? Den Zweiflern? Mit denen, die unbedingt glauben wollen und es doch nicht können? Gott lässt sich nicht beweisen. „Du sollst deinen Gott nicht auf die Probe stellen!“ Wäre ja zu einfach. Bitte, lieber Gott, zeig dich mir, dann glaube ich auch an dich. Was wäre das denn? Das hat doch mit Glaube nichts zu tun.
Andererseits steckt eine Menge Faulheit dahinter, denn man meditiert nicht zu lange, lässt sich ständig ablenken und macht überhaupt alles ganz anders, als man es sich in aller Liebe vorgenommen hat.
Und doch gibt es immer wieder diese „Winks“, die sagen möchten: „Da bin ich doch! Erkennst du mich nicht?“ Wer und was immer Gott auch ist, in welchen Wesenheiten (in allen und allem?) er sich verstecken mag, ob in Joshua, Krishna, Shiva, in vielen anderen Gottheiten weiblicher und männlicher Natur, in Geistern und vielleicht sogar in Arima und Sila, - man muss glauben. Glauben! Sonst wird das nichts.


„Ich bin nicht verliebt in Arima. Ich liebe ihn. Das ist etwas anderes. Das ist eine Liebe, wie ich sie noch nie empfunden habe. Sie hat mit dem, was ich einst empfunden habe, kaum etwas zu tun, obwohl auch das mit eingeschlossen ist. Es tut gut, wenn er mich berührt. Wenn er seinen Arm um meine Schultern legt, umhüllt mich seine gesamte Aura, die etwas Unbeschreibliches auslöst...“

Wobei bemerkt keine Körper mehr im Spiel sind. Aber immer wieder steht irgendwo geschrieben, dass die Begegnung mit Gott das Höchste ist, was man empfinden kann. Ein menschlicher Orgasmus ist ein Hauch davon, was passiert, wenn Gott einen umhüllt. Er umhüllt den Geist, die Seele und lässt den Körper so klein werden, als wäre er gar nicht vorhanden.
Mir gefällt das Wort „Gott“ nicht. Es ist so abgeschmackt und wurde viel zu viele Male missbraucht. Es hat etwas von Rache an sich. Der rachsüchtige Gott. Aber so will ich ihn (ich will ihn auch nicht groß schreiben!) nicht sehen.
Gott ist Liebe. Die Liebe selbst. Wie ich Kim immer beschrieben habe. Kim, mein Joshua, mein Krishna, mein göttlicher Beistand. Kann das denn sein? Habe ich meinen ganz persönlichen Gott gefunden oder ist alles ja doch nur ein Hirngespinst?
Mein Phantasiewesen! Damals (im Alter von 13 oder 14 Jahren) wollte ich, dass Joshua mir erscheint, so wie Bernadette die Dame. Es gab keine Joshua-Erscheinung. Statt dessen purzelte Kim in meinen Kopf und löste etwas aus, das bis heute anhält. Ein Junge (er war damals 4 Jahre älter als ich und wäre es nach menschlicher Zeitrechnung heute auch noch, wäre ich nicht der Zeit voraus enteilt und hätte ihn zu einem Geistwesen gemacht...), der auch die andere Backe hinhält, wenn er auf die eine geschlagen wird. Ein Junge, der nur Liebe fühlen kann, denn Hass verbrennt ihn innerlich. Ein ganz besonderer Junge, den ein Fluch verfolgt, über den ich erst Jahre später schrieb. Ake, der seinen Vater vom Thron der Leuchtenden Welt stieß. Dann ging alles schnell. Immer weiter. Immer höher. Und er entglitt mir. Er war nicht mehr der Gesprächspartner, den man alles fragen konnte und doch keine Antwort bekam, da die Antworten immer in einem selbst sind (was hier total zutrifft!).
Die Aha-Effekte während des Schreibens sind auch leicht erklärt: Das Gehirn speichert vieles, was einem im Unbewussten verborgen bleibt, bis eine Art Zeichen, Reflex oder so was in der Art das Unbewusste hervorholt und man denkt, dass dies auf dem eigenen Mist gewachsen oder es einem von einem Geistwesen eingegeben wurde. Dabei hat man das einst wo gehört oder gelesen.
Beweise gibt es also keine. Man muss glauben, wie schon der gute, alte Don Juan sagte. Ohne Glaube geht nichts. Gar nichts. Dabei wäre das Leben so viel leichter und einfacher. Man wäre nie allein. Man würde ihn ständig in sich fühlen. Aber – ist es nicht so?
„...and I will never leave you, till we can say, this world was just a dream...“

Epilog

Silas Abenteuer wären ein neues Buch wert. Auch Arimas Reisen, die noch immer andauern, wären ein weiteres neues Buch wert. Man wird sehen. Auf jeden Fall bleibt Sila bei den vier Kindern, bis sie als Babys ihre Augen für immer schließen. Sila wird ihnen noch viele Geschichten erzählen. Später wird sie für die fünf (der Hund mit eingeschlossen) ein schönes Grab ausheben und ihnen ein Denkmal setzen. Man darf dabei nicht vergessen, dass Wesen wie Sila und Arima auch durch die Zeit reisen. Demnach wäre die vier Kinder und der Hund ein Ereignis, das weit in der Vergangenheit liegt. Eines der beiden kleinen Mädchen ist ein Aspekt Silas Ganzheit, die, würde man es mit unseren menschlichen Zeitverständnis wahrnehmen, Jahrhunderte in der Vergangenheit leben.
So gesehen haben beide noch einiges zu erledigen, bevor die Quelle ihre Tentakel (Ganzheiten) einzieht, um sie einst abermals auszustrecken. Eines nach dem anderen. Manche, wie Sila und Arima vereinigen sich, bis auch das letzte sich einrollt, um mit der Quelle zu verschmelzen. Wahrscheinlich ist Arima/Sila das letzte Tentakel, das sich einrollt, um schließlich einst das erste zu sein, was sich aufrollt und ein neues Universum hervorbringt. So war ja immer die Rede von Kim, dem König des Universums, der einen ganz besonderen Draht zur Quelle haben soll. Und so bewahrheitet sich auch der dämliche Spruch „die letzten werden die ersten sein“.
Wäre auch ein nettes Bild. Das materielle Universum stellt (zum Teil) die Tentakel der Quelle dar. Zum Teil deshalb, weil die Quelle UND die Tentakel reiner und unverwundbarer Geist sind, sich aber Teile davon materialisieren und das Universum darstellen. Geist ist natürlich auch nicht richtig. Es kann nun mal nicht benannt werden und wir müssen uns mit Verstümmelungen zufrieden geben. Es sind ja doch alles nur Vermutungen, aber einmal muss die Geschichte auch ein Ende haben. Schließlich hatte sie auch einen Anfang:

KIM/1. Buch

12. September 1981
Es war ein warmer Spätsommertag. Ich lenkte meinen Wagen durch die Straßen von München. Robert, mein Freund, den ich vor ungefähr einem halben Jahr kennengelernt habe, hat mich ins Studio eingeladen, wo er mit seinen neuen Schützlingen eine Plattenaufnahme machte. Während meiner Fahrt wusste ich noch nicht, dass sich mein Leben ab diesem Tag auf den Kopf stellen wird...