Pins – wie Stecknadeln. Wesen, die wie Stecknadeln aussehen. Irgendwie das Gegenteil von Leuchtenden Wesen, denn Pins leuchten nicht. Pins sind schwarz. Dunkel. Aber nicht im negativen Sinn. Es ist nur ihr Aussehen, das schwarz und dunkel ist. Sie leben in einer bunten Welt, voll mit Pflanzen, deren Blätter sehr unterschiedlich sind. In allen Grüns und Rots und allen anderen möglichen und vielleicht auch unmöglichen Farben, die Menschen nicht wahrnehmen können, sprießen in ihrer Welt die Bäume, die Sträucher, Blumen und Gräser.
Pins sind, wie Leuchtende Wesen eine Weiterentwicklung der Menschen und der Planet, auf dem sie leben ist ebenso eine Weiterentwicklung, nämlich die der Erde. Vielleicht würde der Begriff „eine andere Dimension“ besser zutreffen. Aber das wäre wiederum jenseits der menschlichen Wahrnehmung, bzw. des menschlichen Bewusstseins und jegliche Erklärung würde fehlschlagen, wie jene, als wolle man „Gott“ erklären oder so etwas Ähnliches wie Gott, das alles umschließt oder aus dem alles hervorgeht.
Strichmännchen würde das Aussehen der Pins vielleicht besser veranschaulichen. Lange, schwarze Striche mit kurzen Strichärmchen und Strichbeinchen und oben einen schwarzen Punkt wie bei Stecknadeln.
Aber man will sich ja in so einer fortgeschrittenen Welt nicht mit Aussehen aufhalten. Aber vielleicht noch eine Kleinigkeit, denn man fragt sich ja, ob sich die Pins irgendwie unterscheiden, denn für uns Menschen sieht eine Stecknadel wie die andere aus. Und bei Strichmännchen ist es kaum anders, obwohl da, anhand der Länge des Körpers, der Arme oder Beine oder die Größe des Köpfchens, ein Unterschied festzustellen wäre. Aber so erkennen sich die Pins untereinander nicht. Es ist ähnlich wie bei den Leuchtenden Wesen – sie erkennen sich am Inneren, an dem, was sie sind, nämlich Energie. Jeder Pin schwingt innerlich anders. Keine Schwingung gleicht der anderen.
Wie erkennen sich Pinguine untereinander? Man hat sich sicher schon oft gefragt, wie es möglich ist, ihre Jungen wieder zu erkennen, wenn sie mit dem Futter in die Kolonie zurück kehren, denn nicht immer wacht ein Elternteil beim Jungen. Vielleicht ist da auch die innere Schwingung, die sie wahrnehmen.
Sprechen Pins oder ist die Kommunikation wie bei den Leuchtenden Wesen telepathisch? Es ist beides. Sie können beides, denn ihre Welt ist der unseren nicht unähnlich. Es gibt eine ähnliche Atmosphäre, die Geräusche überträgt. Und ihre Welt ist nicht so feinstofflich wie die der Leuchtenden Wesen. Die Pflanzen sind fast wie unsere, nur dass sie auch eine Weiterentwicklung der einstmaligen Erde sind.
Hier komme ich wieder ins Stocken, weil ich zu gerne erklären möchte, wie es möglich ist, dass es so was wie eine Weiterentwicklung gibt und dennoch alles gleichzeitig geschieht. Mein ewiger Held (oder Geist) Kim reiste sozusagen in die Zukunft, als er auf der Leuchtenden Welt seinen leiblichen Vater traf. Und als Kim und Maria die Erde verließen, reisten sie ebenso in die Zukunft, als sie ihr weiteres Leben auf der Leuchtenden Welt bis zur letzten Vereinigung verbrachten. Nach dieser letzten Vereinigung waren sie nämlich eins. Sie hatten sich zu einer Person vereinigt. Aber das ist eine andere Geschichte.
Es gibt doch angeblich so was wie schamanische Reisen. Schamanen gehen sozusagen in andere Welten und unter anderem auch ins Jenseits, um die jeweiligen Seelen weiterzuführen. Für uns gewöhnliche Menschen existiert kein Jenseits und keine anderen Welten. Das Jenseits liegt für uns in der Zukunft. So ähnlich könnte man dieses Phänomen vielleicht beschreiben, dennoch ist es das noch lange nicht.
Man denkt, wenn man auf dem Planeten der Pins oder der Leuchtenden Wesen ist, gibt es die Erde nicht mehr, da die beiden Planeten (und vielleicht noch andere?) sich aus der ursprünglichen Erde entwickelt haben. Aus eins mach zwei oder mehr – könnte man sagen. Andererseits gleicht der Planet der Pins an Größe und Form komplett der Erde. Der feurige Planet der Leuchtenden Wesen ist vielleicht etwas kleiner und runder und ähnelt mehr einer Sonne als eines Planeten. Und beide sind dennoch eine Weiterentwicklung der Erde. Irrwitzige Vorstellung.
Die Wirklichkeit spielt mit Möglichkeiten. Und viele, wenn nicht die meisten dieser Möglichkeiten sind so bizarr und paradox, dass wir Menschen sie nicht wahrnehmen können. Deshalb spielen unsere Gedanken verrückt und wir können viele Rätsel einfach nicht lösen. Wir können es drehen und wenden wie wir wollen, es gibt einfach keine Lösung. Es ist wie mit dem Stein, den Gott, der Allmächtige, erschaffen soll, der so schwer ist, dass Gott ihn nicht mehr heben kann. Erschafft Gott, der Allmächtige, nun so einen Stein, ist er nicht mehr allmächtig, denn ein allmächtiger Gott kann alles.
Also lassen wir das, wie es möglich ist, dass die Zukunft bereits hier ist, während sich die Gegenwart an der Vergangenheit wärmt. Oder so ähnlich. Aber der Gedanke, dass die Wirklichkeit mit Möglichkeiten spielt, ist nicht so verkehrt. Was, wenn sich die Erde in Zukunft so oder so entwickelt und zu allem wird, was möglich ist? Mit dieser Frage befinden wir uns in Sphären, die uns gewöhnlichen Menschen nicht zugänglich ist. Wir können noch so sehr grübeln, es wird im Verborgenen bleiben.
Und genau das wissen die Pins. Sie denken über derartiges nicht nach. Zumindest nicht mehr, denn auch sie fragten sich einst: „Woher komme ich? Wohin gehe ich? Wer oder was bin ich?“

Vorhin erwähnte ich, dass Kim und Maria auf die Leuchtende Welt „reisten“. Einfach so, weil ihr Leben auf Erden zu Ende war. Immerhin waren beide über 90, was man ihnen aber nicht ansah, denn Leuchtende Wesen altern nicht am Körper, sondern am Leuchten. Auch wieder so was Skurriles, denn Maria war, im Gegensatz zu Kim, kein Leuchtendes Wesen, aber sie bekam die Kraft eines Leuchtendes Wesens durch Kim und auch durch Kims Vater, was nun aber wirklich eine ganz andere Geschichte ist. Es geht ja um die Pins und zwar um einen ganz speziellen Pin, der wie Kim und Maria nicht auf der Leuchtenden Welt geboren wurde, sondern auch auf den Planeten der Pins „gereist“ ist.
Ob er der einzige Reisende ist, weiß ich nicht. Es gibt ja auch Träumer, wie man sie oft und gerne auf den Planeten der Graudingers trifft. Träumer reisen im Traum. Da gab es einen, der träumte, er sei Einer in Allem, was bedeutet, dass er ein Buddhabäuchlein und Rastazöpfchen und sonst auch noch Merkmale anderer Religionen an sich hatte. Und es gab Jesus, der an der Bar in einem Lokal der Graudingers Brot und Wein bestellte und sich mit Namen „Jesus“ vorstellte. Alles Träumer von anderen Planeten, wie, z.B. von der Erde. Der Einer in Allem war eine mollige Frau, die alle Religionen verschmähte und Jesus war ein alter Mann, der einst Pfarrer werden wollte. Aber auch das ist eine andere Geschichte.
Ob der Pin, von dem ich einiges erzählen will, auch nur ein Träumer ist, weiß ich auch nicht. Es könnte sein, dass er sich auf den Planeten geträumt hat und im Traum gestorben ist. Der Geist hat sich dann auf den Planeten der Pins materialisiert, während der Körper anderswo verfaulte. Vielleicht ist es im Tod genauso? Es könnte doch sein, dass sich die Seele, die aus dem toten Körper flüchtet, sich sofort einen neuen Körper macht. Aber das sind alles bloß Vermutungen, die zu nichts als zu Gehirnkrämpfe führen und das tun die Pins nicht mehr.
Übrigens ist es gar nicht sicher, ob sie überhaupt so was wie ein Gehirn haben. Was soll an einer Stecknadel oder an einem Strichmännchen schon Organisches dran oder besser gesagt, drin sein? Und wer sagt, dass man zum Leben ein Gehirn und Organe braucht? Der Geist ist alles. Ohne Geist geht nichts und so kann man durchaus sagen, dass Geist genügt. Es gibt ja auch Geistwesen. Körperlose Wesen, die mit Augen nicht zu erkennen sind.
Die Entwicklung der Materie, die es im Grunde gar nicht gibt, wie manch Wissenschaftler gerne behauptet, ist ziemlich kompliziert. Mag ja sein, dass es nur eine Wirklichkeit gibt, die sich als Materie verwirklicht, aber da die Wirklichkeit immens schlau ist, ist auch ihre Verwirklichung immens schlau und arbeitet an sich irgendwie weiter, auch wenn sie sich manchmal in einem Labyrinth selbst verliert.
Der Pin, von dem ich einiges erzählen möchte, war ziemlich erstaunt, als er sich in einem bunten Blätterwald wieder fand. „Wo bin ich hier gelandet?“ dürfte er sich gefragt haben, da er sich in diesem Moment an gar nichts erinnern konnte. Im Gegensatz zu Kim und Maria „reiste“ er nämlich nicht bewusst auf einen anderen Planeten. Es „geschah“ einfach. Wie gesagt, entweder „geschah“ es, während er träumte oder während er starb, was eigentlich egal ist, denn gestorben ist er sicher, da kein Traum so lange dauert, obwohl manche sagen, dass der Traum weiter geht, nur der Träumer selbst ist sich dessen nicht mehr bewusst, da er aufgewacht ist. Kann auch sein. Alles ist möglich. Seltsam ist jetzt nur, dass sich der Pin an absolut nichts erinnern kann.
Da steht er nun schwarz und strichig im bunten Blätterwald und blickt sich um, obwohl er in seinem schwarzen kleinen Punktkopf weder Augen, Nase, Mund noch Ohren hat. Aber er sieht die bunten Blätter und erfreut sich an diesem Anblick. Auf einmal kann er Farben und auch Formen sehen, von denen er nicht wusste, dass es so was überhaupt gibt. Und er ist glücklich. Irgendwie sogar glückselig. Ein Gefühl, das ihm zwar nicht ganz fremd ist, aber anscheinend schon lange zurück liegt.

Gedächtnisverlust. Demenz. Alzheimer. Das große Vergessen. Nicht wissen, wer man ist. Nicht wissen, was und ob man ist. Bin ich? Der Pin berührt sich. Selbst sehen kann er nur die kurzen Strichmännchenbeine und einen Teil der Strichmännchenarme und vielleicht auch einen Teil davon, was man normalerweise „Körper“ nennt.
Der Pin blickt um sich. Blätterwald. Geboren aus dem Wald aus Blätter. Mangrovenwälder erscheinen wie die Stätte des Werdens. Kurz vor der Geburt wird einem das sanfte Schaukeln im Wasser bewusst. Mangrovenwälder haben Fruchtwasser. Wasserwald mit Bäumen, die tief verwurzelt sind. Gibt es hier Wasser? Er hört ein fernes Plätschern und geht in die Richtung des Geräusches. Er wundert sich, dass er sehen und hören kann. Auch riechen, denn manche Blätter senden einen sanft rosigen Geruch aus. Der Pin kommt zu einem schmalen Bach, in dem frisches Quellwasser fließt. Er kann den Boden sehen, so klar ist das Wasser. Weiß er, dass es Wasser ist? Weiß er, dass er von Blättern umgeben ist, die sanft nach Rosen riechen? Weiß er?
Wenn etwas nicht benannt wird, wird es nicht erkannt. Aber es kann erfahren werden. Der Pin knickt ein und beugt sich zum Bach hinunter. Das kurze Ärmchen tut sich schwer, in das Wasser zu fassen. Aber es schafft es und spürt das Nass. Aber wie auf einem Lotosblatt haftet es nicht auf dem Ärmchen ohne Hand und ohne Finger. Pins brauchen keine Hand, keine Finger. Sie müssen nichts berühren. Die Nahrung kommt aus der Luft. Luft und Liebe – ein Traum der Menschheit. Und doch erinnert er sich nicht, woher er kommt.
Er schlief als Mensch ein und wachte als Pin wieder auf. Klar muss er als Mensch eingeschlafen sein, sonst könnte man über ihn nicht schreiben. Man kann über so genannte Außerirdische ohnehin nichts schreiben und auch nichts wirklich sagen, weil Menschen alles vermenschlichen. Das fängt schon bei den Tieren an, denen man teilweise Menschliches nachsagt, weil man es als Mensch nicht anderes nachvollziehen kann.
Aber der Pin erinnert sich nicht. Vielleicht wird er sich nie erinnern. Das weiß man noch nicht. Vorerst befindet er sich in einer höchst seltsamen Stellung neben dem Bach. Irgendwie in der Mitte eingeknickt, aber unverletzt. Pins können an jeder Körperstelle einknicken. Nur der runde Stecknadelkopf bleibt immer der selbe. Lange Zeit knickt (!) er am Bach und lässt das Wasser an seinem kurzen Ärmchen vorbeifließen. Er sieht den Boden – den Erdboden, mit vereinzelt großen und kleinen Steinen. Alles irgendwie wie auf der Erde, von der er kommt. Aber da tut sich nichts in seinem Gedächtnis. Vielleicht deshalb nicht, weil Pins keines haben? Wir wissen nicht viel über die Pins. Und er weiß überhaupt nichts. Nichts mehr.
Er erhebt sich endlich und geht weiter den Bach entlang. Man möchte sich gerne vorstellen, was dabei in ihm vorgeht. Wie sich diese Leere anfühlt. Dieses Nichts. Keine Worte. Keine Gedanken. Nur das Plätschern des Baches neben ihm und ab und zu das Rauschen der Blätter im leichten Wind, den er ebenso wie die Blätter fühlen kann. Und selbst dabei denkt er nichts und sagt auch nichts. Aber er scheint irgendwie zu wissen, dass die Blätter auf eine gewisse Art fühlen, was auch er fühlt. Neue Wahrnehmung. Und sie füllt langsam und stetig die Leere.

Während der Pin langsam neben dem Bach und durch den Blätterwald weiter schreitet, denke ich eben, was wäre, wenn die Pins aus einer Materie bestehen, aus der man Raumschiffe bauen könnte, welche die Lichtgeschwindigkeit standhaltet und man so zu weit entfernten Galaxie fliegen könnte? Was wäre dann? Zuerst mal nichts, denn auf der Erde dürfte niemand etwas über die Pins und ihren Planeten wissen. Aber vielleicht erfindet ein Wissenschaftler eine Zeitmaschine und fliegt damit in die Zukunft auf den Planeten der Pins, wo er und seine Mannschaft entdecken, aus welch verheißungsvoller Materie diese seltsamen Strichmännchen oder Stecknadeln bestehen. Die Pins würden ausgerottet und ihr Planet, die Zukunft der Erde, was die Wissenschaftler und ihre Crew nicht wissen, würde gesprengt werden. Was würde das für eine Kettenreaktion auslösen! Es wäre die Zerstörung des gesamten Universums. Wenn es nur einen einzigen Planeten gibt, der die Zukunft der Erde ist und dieser zerstört wird, kann es auch die Erde nicht mehr geben. Sobald der Planet der Pins gesprengt wird, verschwindet die Erde ebenso von der Bildfläche und mit ihr der Mond, die Sonne und alle anderen Planeten nach und nach, und all die umliegenden Galaxien und alle anderen Galaxien, bis vom Universum nichts mehr übrig ist. Und das nur, weil ein Mensch, ein Wissenschaftler, größenwahnsinnig geworden ist und einer grausamen Zerstörung zugestimmt hat. Es wäre eine Kettenreaktion, die niemand mehr aufhalten wird können.
Aber vielleicht wäre das irgendwie ein natürliches Ende des Universums, wie Kim es einmal erklärt hat, dass es da eine unendliche und ewige Quelle gibt, aus der alles hervorgeht, sie aber wieder alles irgendwann einmal einzieht. Mal öffnet sie sich und dann schließt sie sich die Quelle wieder. Warum und wann ist wahrscheinlich egal, selbst wenn es ein Wissenschaftler der Erde ist, der es auslöst.
Aber kommen wir wieder zum langsam wandernden Pin, der nicht nur wandert, sondern sich auch ständig wundert, da es auf seiner Wanderung nichts Neues zu entdecken gibt. Die Landschaft scheint lange Zeit immer dieselbe zu sein und der Bach plätschert ebenso munter und eintönig neben ihm dahin. Er scheint nicht zu wissen, aus welcher Materie er besteht. Ob sie nicht doch vielleicht aus der Materie besteht, wie oben beschrieben. Eine Materie, mit der Lichtgeschwindigkeit möglich wäre. Was wäre das für ein Schritt für die Menschheit! Das wäre kein Schritt mehr – das wäre ein Sprung!

Es wäre auch ein gebührender Schluss dieser Geschichte, denn danach kann nichts mehr über Pins oder Menschen oder Leuchtenden Wesen oder … – kommen. Es würde vielleicht etwas ganz Neues und vor allem Unsagbares entstehen. Ein neues Universum. Aber die Geschichte über Pins wäre mit Sicherheit zu Ende, außer das Universum wiederholt sich immer wieder in der gleichen Leier. Immer wieder ein und das Selbe. Urknall, Galaxien, Planeten, Lebewesen und dann die Menschen, wo vor allem ein Mensch, der durch seine Entdeckung für die neuerliche Zerstörung des Universums verantwortlich sein wird. Und dann wieder alles von vorne. Ein schrecklicher Gedanke! Aber so könnte man auch sagen, dass nie etwas verloren geht. Es kommt immer wieder. Ein und das Selbe.
Der Pin dürfte von diesen Gedanken auch schockiert sein, denn plötzlich duckt er sich und versteckt sich hinter den großen, bunten Blättern. Aber eher dürfte er ein neues Geräusch wahrgenommen haben. Etwas, das er bereits von sich selbst kennt. Das Geräusch des Gehens. Jemand oder etwas kommt ihm entgegen. Kreuz seinen Weg. Vielleicht ein weiblicher Pin? Gibt es bei den Pins überhaupt zwei Geschlechter? Oder befruchten sie sich selbst? Von den Menschen hat man das mal behauptet. Anfangs gab es nur Frauen, die wiederum nur Frauen gebaren, bis eine Mutation auftrat und der erste männliche Säugling geboren wurde. Das X hat einen Strich verloren und wurde zum Y.
Wie schon erwähnt, wir wissen nur wenig über die Pins, auch weil sie den Menschen kaum mehr ähnlich sind. Menschliche Kinder könnten vielleicht eine subtile zukünftige Erinnerung haben, wenn sie Strichmännchen zeichnen. Aber das ist schon alles. Bei Leuchtenden Wesen ist es wiederum ganz anders. Sie sehen aus wie Menschen, nur viel, viel schöner und sie leuchten. Sie sind Sterne geworden und ihr Planet eine Sonne. Und doch ist noch immer alles fest und sichtbar, wie etwa die kleinen Felsen, mit denen man zauberhafte Musik machen kann, oder der große Wasserfall, der strahlend in einen See fällt, an dessen Ufer sich Leuchtende Wesen unterhalten. Und vor alldem ist die Liebe, die bei Leuchtenden Wesen am meisten zählt. Sie erkennen ihre einzige, wahre Liebe sofort. Wenn es um Leuchtende Wesen geht, komme ich aus dem Schwärmen nicht mehr raus. Aber Pins? Schwarze stecknadelartige Strichmännchen sind nicht unbedingt ein Ausdruck von Schönheit, Wärme oder Liebe. Sie wirken kalt und unnahbar. Man weiß nicht, ob sie einen sehen, weil sie keine Augen haben. Das was Menschen „Kopf“ nennen, ist bei ihnen bloß ein winziger schwarzer Knopf. Keine Augen, keine Ohren, kein Mund, keine Nase. Aber sie scheinen zu sehen, zu hören, vielleicht auch sprechen zu können und auch riechen. Und sie berühren. Zumindest unser wandernder Pin hat das Wasser im Bach berührt. Der Planet selbst ist wohl das Einzige, was sehr an die ehemalige Erde erinnert. Es gibt Wasser und es gibt Pflanzen. Und es gibt die Pins, die eben an unserm Pin vorbei schreiten. Es dürften gut zehn an der Zahl sein. Wie Soldaten marschieren sie hintereinander vorbei, ohne auf das raschelnde Geräusch in den Blättern zu achten. Der Pin dürfte so was wie Angst empfinden, da er ein Zittern nicht unterdrücken kann. Als sie vorbei sind, geht er etwas schneller weiter. Er geht gebeugt weiter, als würde er wie ein Hund erschnüffeln, woher die Pins gekommen sind. Er verfolgt ihre Spur zurück. Und in der Tat entdeckt er so etwas wie eine kleine Stadt. Häuser, wie sie einst Menschen bewohnt haben. Flache Dächer, ebenerdig, mit Terrassen, samt Pool. Sozusagen sehen die Häuser wie Bungalows in einer Ferienanlage aus. Und wir dürften uns im Süden des Planeten befinden. Dann dürfte das Meer auch nicht weit sein. Man kann es riechen. Der Pin streckt sich und scheint wieder eine Witterung aufgenommen zu haben. Also, wenn ich es nicht wüsste und das tu ich, dass Pins die Weiterentwicklung der Menschen sind, würde ich sagen, dass sie eher eine Weiterentwicklung der Hunde sind. Wieder duckt sich der Pin, denn auf einer der Terrassen tummeln sich Pins. Zwei große und drei kleine Pins. Es dürfte sich um ein Paar – sozusagen um zwei Geschlechter handeln – und um drei Kinder unterschiedlichen Alters, da sie unterschiedlich groß sind, wobei das dritte Pinkind schon fast so groß ist wie die Erwachsenen.
Man kann keine Geschlechtsteile bei ihnen erkennen. Da ist weder ein Spalt zwischen den kurzen Beinchen, noch ein zusätzlicher Strich. Vielleicht spielt das Geschlecht gar keine Rolle mehr. Wenn sich zwei zusammen tun und sich gut verstehen, bleiben sie zusammen und bekommen Nachwuchs. Aber wodurch? Und vor allem – wie?

Wahrscheinlich spielt das Zusammensein gar keine Rolle. Und höchstwahrscheinlich ist es wirklich eine Selbstbefruchtung. Wenn ein erwachsener Pin ein Pinkind will, bekommt er in den meisten Fällen auch eines. Man kann auch alleinerziehender Pin sein. Und das Geschlecht spielt in diesem Fall auch keine Rolle mehr. Man ist mit dem zusammen, mit dem man sich gut versteht. Und versteht man sich nicht mehr gut miteinander, geht man auseinander und sucht sich einen neuen Partner oder man bleibt alleine, auch wenn ich dachte, sie leben von Luft und Liebe. Aber das mit der Luft könnte stimmen, da es in den Bungalows keine Kochgelegenheiten gibt. Was ja nichts heißen mag, denn vielleicht kommt eine Lieferfirma und verköstigt die Feriengäste.
Der Pin wagt sich nicht näher heran. Starr am ganzen Körper beobachtet er die Familie, die es sich auf der Terrasse in den Liegen bequem gemacht hat. Auch die Kinder, obwohl man meinen möchte, sie würden sich lieber mit Spielen beschäftigen. Aber vielleicht tun sie das auch. Geistig. Sie stellen sich irgendein Spiel vor und spielen es. Leuchtende Wesen erschaffen Welten für sich, in die sie tatsächlich „gehen“ und wenn sie es wollen, können auch andere Leuchtende Wesen diese Welten betreten. Kims und Marias Sohn, Thygyrill, der bei ihrer letzten Vereinigung auf der Leuchtenden Welt entstanden ist, erschuf auch so eine Welt und durch die Trauer und den Verlust seiner Eltern, wurde diese seine Welt durch Monster zerstört. Nachzulesen in meiner Geschichte „Einkehr – die Heimkehr des Thygyrill“.
Aber das ist auch eine andere Geschichte, die halt als Beispiel galt, denn vielleicht machen Pins das ebenso. Arbeiten müssen sie wahrscheinlich nicht viel, da sie keine Nahrung brauchen. Luft gibt es genug und dazu noch sehr frische und gesunde. Ein Dach über dem Kopf dürfte auch nicht nötig sein, denn hier hat sich auch die Erde weiterentwickelt und lässt keine Hitze oder Kälte mehr zu. Angenehme Durchschnittstemperaturen sind an der Tagesordnung, obwohl es scheint, als würde den Pins weder Hitze noch Kälte schaden, da alles an ihnen abfällt, wie vorhin bei unserem Pin das Wasser im Bach. Die Erde speist sich mit Wasser selbst aus unterirdischen Quellen, also muss es auch nie regnen. Selbst die Pflanzen sind so versorgt, als würde zu jeder eine Art Wasserleitung führen, die sie mit der nötigen Flüssigkeit versorgt.
Wie bewegen sich Pins fort? Immer nur gehen? Leuchtende Wesen können beamen. Zumindest so was in dieser Art. Sie denken an einen Ort auf der Leuchtenden Welt, ähnlich wie ihre selbst erschaffenen Welten, und schon sind sie dort. Das mit den selbst erschaffenen Welt ist schon eine tolle Sache. Wenn es einem auf der Leuchtenden Welt nicht mehr gefällt, da sie ja ziemlich eintönig ist, „geht“ man einfach in seine Traumwelt. Sie fragen sich nicht mehr, ob diese real ist oder nicht. Diese erschaffenen Welten mögen vielleicht nicht so real sein wie die Leuchtende Welt oder die Erde es mal war, aber ein bisschen real sind sie doch, denn immerhin können auch andere Leuchtende Wesen sich in sie hinein träumen. Ein bisschen real sage ich deshalb, weil die Leuchtenden Wesen noch immer auf der Leuchtenden Welt sind, während sie gleichzeitig in ihrer Traumwelt sind. Kim nannte es das „In-sich-gehen“, indem sie bewegungslos an einem ihrer Lieblingsplätze ungestört hocken. Immer wieder faszinierend, diese Leuchtenden Wesen. Ganz anders als die Pins. Oder doch nicht?
Noch immer verharrt die Familie auf der Terrasse in ihren Liegen. Übrigens, in den Bungalows befinden sich Betten und in einem zweiten Raum, den man von der Terrasse betritt, steht ein Tisch, mit Stühlen und in einer Ecke eine bequeme Wohnlandschaft. All das hat für mich einen nostalgischen Hauch, als würden sich die Pins an ihre Vorfahren, an die Menschen, erinnern. Vielleicht „träumen“ sie sich auf die alte Erde, wo sie wohl eine ganz normale Familie sein könnten, die gerade auf Urlaub auf einer Südseeinsel ist oder doch von einem ganz gewöhnlichen Alltagsleben, was die meisten Menschen geführt haben.
Unser Pin ist noch immer starr. Es sieht fast so aus, als würde er sich in die Familie einfühlen, als könne er spüren, was in ihnen vorgeht.

Es sind die Liegen! Die Liegen lassen sie träumen oder viel mehr, sie bringen die Pins zu ihren Ursprung zurück – zur Menschheit, die sie mal waren. Es ist so leicht daher gesagt, dass sie mal Menschen waren, vielleicht so, wie wir mal vom Kontinent Afrika aus die Erde im wahrsten Sinne des Wortes – eroberten. Wir? Du und ich? Ja, warum nicht? Wir tragen die Gene unserer Vorfahren noch immer in uns. Unlängst sagte ich meinem Sohn, dass ich in der Mittagssommerhitze sicher nicht spazieren gehe. Er meinte, in Afrika laufen sie bei 40°. Ich erwiderte darauf, ich sei doch keine Afrikanerin. Doch, meinte mein Sohn, denn wir alle stammen von denen ab und haben die Gene noch immer in uns. Wirklich?
Wie steht es aber mit dem Geist? Mit der wandernden Seele? So wie unser Pin auf dem Planeten der Pins wandert. Ist es überhaupt der Planet der Pins, so wie wir sagen, dass der Planet Erde uns gehört? Vielleicht haben die Pins erkannt, dass ihnen nichts gehört, nicht einmal sie sich selbst. Alles geborgt und geliehen. Wir geben nicht nur den Löffel ab. Wir geben alles ab.
Die Wissenschaft streitet den Geist oder die Seele nicht ab, aber sie kann ihn/sie nicht messen. Stattdessen zerlegen sie die Materie und sagen, es gäbe eigentlich gar keine Materie, sondern immer nur Energie. Sie haben die Materie in lauter winzigste Teilchen und Wellchen zerlegt und erkannt, dass alles Energie ist. Vielleicht ist diese Energie der Geist oder die Seele?
Wissenschaftler sagen auch, dass Energie nie vergeht. Sie verändert sich. Verwandelt sich. Aber vergehen kann in diesem Universum nichts und niemand wirklich. Auch irgendwie tröstlich, aber wie bereits erwähnt, darum kümmern sich die Pins nicht, seit sie erkannt haben, dass alles immer nur Vergangenheit ist und es in Wirklichkeit gar keine andere Zeit gibt.
Irgendwie gilt das ja auch für Menschen. Man blickt in den Sternenhimmel und weiß, dass das Licht, das man sieht und das der Stern aussendet, bereits vergangen ist. Man sieht etwas und sieht zuerst mal nichts, weil das Gehirn erst die Information des Auges verarbeitet und erst dann das Gesehene bewusst gemacht wird. Beides ein und das selbe. Wir leben ebenso in der Vergangenheit. Es gibt für uns kein Hier und Jetzt, denn sobald ich „jetzt“ sage, ist dieses Jetzt bereits Vergangenheit. Zukunft, das ist klar, gibt es auch nicht, es sei denn, sie steckt bereits in der Vergangenheit und alles ist vorprogrammiert. Von wem? Ganz einfach, nämlich von der ersten Ursache, dem Urknall. Von da an breitete sie alles wie Dominosteine aus, die so gelegt wurden, damit sie genauso fallen, wie sie fallen. Von wem? Wie gesagt, darüber denken Pins nicht nach und vielleicht sollten Menschen das auch nicht tun, denn womöglich würde uns die Antwort gar nicht gefallen.

Nach und nach kommen Urlauberpins aus den Bungalows und legen sich wie die Familie, die von unserem Pin noch immer starr beobachtet wird, auf die auf den Terrassen befindenden Liegen. Sie alle träumen sich in eine Vergangenheit, die sie nie gelebt haben, die dennoch mit großer Wahrscheinlichkeit noch immer in ihren Genen sein könnte. Es sind die Liegen, die sie das alles „träumen“ lassen. Es sind nicht sie selbst. Dennoch muss eine gewisse Symbiose vorhanden sein. Irgendetwas muss da sein, das erkennen kann; vielleicht auch etwas im Bewusstsein der Pins, das sie mit der Liege in Einklang bringt.
Es könnte auch sein, dass die Pins die Menschheit „träumen“. Sie sind jene Außerirdische, die uns leiten, die uns all diesen Unsinn machen lassen, den wir unschuldiger weise tun. Aber diesen Gedanken verwerfe ich schnell wieder. Es wäre ein Verlauf, den ich nicht mehr kontrollieren kann, denn dann müsste ich all das schreiben, was mir die Pins eingeben, die mich abwechselnd „träumen“. Es wäre dann auch kein Urlaub für die Pins, sondern schlichtweg Arbeit. Damit verdienen ihren Lebensunterhalt. Sie träumen eine ganz bestimmte Spezies. Aber wozu? Was hätten sie davon, wenn es so wäre?
Diese Frage ist typisch für Menschen. Was habe ich davon? Gebe ich dir, musst du mir auch geben. Sonst wird das nichts mit dem Geschäft. Dürfte in der Liebe der Menschen wohl auch so sein. Wenn du das tust, was ich liebe, liebe ich dich. Und du tust dann nur das, was mir was bringt. Aber Liebe ist keine Investition, wie einst einer meiner Lieblingsautoren schrieb. Liebe ist frei und fordert nichts. Sind Menschen dazu imstande?
Das mittlere Pinkind wird von unserem Pin ganz besonders genau beobachtet. Er wagt sich näher, bis er direkt vor der Terrasse steht. Er scheint zu spüren, was das mittlere Pinkind „träumt“, dem, könnte man es direkt fühlen, ein glückliches Lächeln durch den Stecknadelleib geht. Der Pin fühlt es, steigt auf die Terrasse und kniet vor dem Pinkind nieder. Er berührt die Liege.
Manchmal können Menschen wirklich lieben. Ohne Investition. Ohne etwas dafür bekommen zu wollen. Und ohne etwas tun zu müssen, weshalb der oder die andere ihn oder sie liebt. Elternliebe oder viel mehr Mutterliebe kann so sein. Egal, was das Kind anstellt, es wird geliebt. Bedingungslos.
Manchmal trifft das auch bei Tierliebe zu. Wer Haustiere hat oder hatte, weiß, worüber ich schreibe. Sie sind ja wie Kinder und egal, was sie tun, man ist für sie da. Aber hier bekommt man etwas zurück. Ehrlichkeit. Ehrliche Liebe, auch wenn man sie nicht fordert.
Jetzt geht auch bei unserem Pin ein glückliches Lächeln wie Wellen durch seinen Stecknadelleib. Was er und das mittlere Pinkind gerade „träumen“ kann ich momentan nicht sagen. Werden sie gerade von der Mutter liebevoll umsorgt, oder spielen mit dem Vater Fußball oder ist es ein Haustier, das sie gerade in den Armen halten und liebevoll streicheln? Auf jeden Fall leben beide gerade ein enormes Glücksgefühl aus, das vielleicht nur die Liebe geben kann.

Es ist aber noch etwas und unser Pin hat Glück, dass er sich ausgerechnet zu dem Kleinen kniet und seine Liege berührt; es ist das, was Menschen Phantasie, Vorstellungskraft nennen. Womöglich ist Phantasie sogar größer und klarer als Liebe, denn ob Menschen so lieben können, wie viele die Liebe definieren, ist fraglich.
Der kleine Pin und die Liege gingen eine Art Symbiose ein. Selbst wenn der klein Pin immer nur ein kleiner Pin gewesen ist, stecken Gene in ihm, die zu erkennen geben, dass sie aus dem Menschlichen stammen. Ich weiß, ich habe das bereits erwähnt, aber es dürfte nicht klar sein, wie eine Liege so etwas erkennen kann. Die Pins haben es also mit einer sehr sensibel entwickelten Technik zu tun, was auf Arbeit in Fabriken hinweist. Möglich, dass auch das hier, was die Familien tun, Arbeit ist, dennoch ist es noch nicht klar erwiesen. Dazu müsste der Pin weiter wandern, bis er vielleicht doch auf eine Art Stadt trifft, wo man das Alltagsleben der Pins beobachten könnte.
Aber unser kleiner Pin scheint verzückt zu sein, was ihn die Liege, gepaart mit dem kleinen Pin, „träumen“ lässt. Vielleicht können wir uns auch hinein versetzen, denn jetzt geht es schließlich um Phantasie und man könnte sich vorstellen, dass die beiden in ein Abenteuer verwickelt sind, das mitunter auch gefährlich werden könnt: Ganz weit zurück in die Menschheitsgeschichte, als man noch in Höhlen lebte und nicht wusste, was der Tag bringt. Dazu braucht man Phantasie, sich so ein Leben vorzustellen.
Immer lauert irgendwo Gefahr und niemand weiß, was essbar ist und was nicht. Wilde Tiere, wie etwa Säbelzahntiger durchstreifen die Savanne, die an ein Bergmassiv grenzt, in deren Höhlen einige der Gattung Homo Sapiens leben. Es sind Familien, die sich nahe stehen. Cousins, Cousinen, Tanten, Onkel, Brüder, Schwestern und ab und zu kommt ein Fremder oder eine Fremde vorbei und wird meist aufgenommen. Das verhindert teilweise Inzest und die Gefahr behinderte Kinder zu gebären. Aber bei dem Gehabe, den die Menschen an den Tag legen, würde Behinderung, außer sie ist körperlich, kaum auffallen. Sprache gibt es noch keine. Man verständigt sich durch Urlaute und Gesten.
Da ist ein kleines Menschlein, schon fast so stark behaart wie die Erwachsenen, das alleine durch die Savanne wandert und sich einem bärenähnlichen Tier nähert. Das Tier ist doppelt so groß und hat langes, braunes Haar. Es dürfte sich um ein Jungtier handeln, das seine Mutter verloren hat. Das kleine Menschlein hat seine Mutter nicht verloren. Es weiß nicht einmal, dass es eine Mutter hat und der Begriff Mutter ist ihm ebenso fremd. Kinder werden vom gesamten Clan aufgezogen, wobei man gar nicht von „Aufzucht“ oder gar „Erziehung“ sprechen kann. Man weiß ja selbst noch nicht viel und muss schauen, wie man den Tag überlebt.
Das bärenähnliche Tier brüllt. Das kleine Menschlein brüllt zurück. Langsam nähern sich die beiden und liegen sich plötzlich in den Armen. Was zuerst wie ein Ringkampf aussieht, entpuppt sich bald als Spiel und das Brüllen wird beim Menschlein zum Lachen und beim kleinen Bären zu einer Art Schnurren.
Auf diese Art könnten Haustiere entstanden sein, als sich die beiden in Richtung Höhlen aufmachen, denn der kleine Bär folgt dem kleinen Jungen wie einst seiner Mutter. Liebe und Phantasie vereint. Was will man mehr!

Aber jetzt versetzen wir uns mal in unseren Pin, der gänzlich ohne Erinnerungen urplötzlich auf den Planeten der Pins kam. Wir wissen nicht einmal ganz sicher, dass er vor dieser Urplötzlichkeit ein Mensch war, der auf der Erde entweder gestorben oder ein extrem spirituelles Erlebnis hatte, was ihn auf diesen Planeten beförderte. Wir nehmen ja nur an, dass der Planet der Pins, wie auch die Leuchtende Welt eine Weiterentwicklung der Erde und der Menschen und allem anderen sind. Mit 100%iger Sicherheit wissen wir gar nichts. Wir? Eigentlich ich – ich, die Autorin.
Wie gesagt, ich versetze mich mal in den Pin ohne Erinnerungen, der bis jetzt nur seine Umwelt irgendwie wahrnahm; vergleichbar mit einem Neugeborenen, dem die Welt um sich herum noch wie ein unergründliches Geheimnis erscheint und das sich keine Gedanken macht, weil es keine hat. Es, das Neugeborene, hat auch keine Sprache. Es sieht Bilder zum ersten Mal. Und nun kniet der Pin vor einem kleinen Pin, der auf einer Liege liegt, die ihn in alte Zeiten auf der Erde versetzt. Der kleine Pin und unser Pin erleben die alte Zeit durch das kleine Menschlein, das ebenso keine Sprache und keine Gedanken kennt, wie unser Pin.
Müsste diese Leere im Oberstübchen nicht traumhaft sein? Oder doch verwirrend, da Gehirne lernen wollen und vielleicht auch müssen, da sie sonst wieder verkümmern. Da erhebt sich halt wieder die Frage, ob Pins Gehirne haben. Anscheinend nicht. Anscheinend haben sie auch keine anderen Organe, denen das Gehirn etwas befehlen könnte und wo keine Organe sind, ist auch kein Gehirn nötig.
Unser Pin lässt die Liege los und erhebt sich. Überrascht blickt er um sich und registriert, dass etwas anders ist. Irgendwie wie vorher, bevor er sich niederkniete und die Liege berührte, aber doch anders, da nun auch andere Informationen in ihn geströmt sind. Wohin? In diese Zeichentricklinien, die seinen Körper ausmachen? In diesen winzigen Punkt, der seinen Kopf darstellt? Man könnte sich auch fragen, ob er überhaupt einen Körper hat und ob dieser winzige Punkt wirklich seinen Kopf darstellt. Vielleicht weil ich als Mensch ständig Vergleiche anstelle? Das, was ich als Kopf sehe, muss nicht der Kopf sein. Vielleicht sind Pins eine ganz andere, eine unvergleichliche Spezies, die gar nichts mehr mit Menschen gemeinsam hat? Fragen über Fragen, die ich mir eigentlich nur selbst beantworten kann. Immerhin bin ich die Autorin dieses Schwachsinns, wobei der Schwachsinn vielleicht auch seinen Tiefsinn hat.
Was nun? Beim Herrn Graudinger ging es mit ähnlich. Soll ich ihm nun sein winziges Gehirn lassen, mit dem er gerade das Nötigste zum Leben und Überleben vollbringen kann, oder versetze ich ihn eine Stadt mit anderen Graudingers, die gar nicht so anders ist, als jene der Menschheit? Aber das hier ist etwas anderes. Es geht um eine Weiterentwicklung der Erde, wie ich anfangs geschrieben habe. Das kann ich jetzt nicht mehr widerlegen. Können schon, aber dann macht alles keinen Sinn mehr. Andererseits – was macht schon Sinn? Vielleicht sieht das unser Pin ebenso, der anscheinend seine Reise fortsetzt. Irgendwie taumelnd verlässt er das Ressort und wandert wieder den Bach entlang.

Anfangs schrieb ich, Pins fragen sich nicht: „Woher komme ich? Wohin gehe? Wer oder was bin ich?“ Warum nicht? Ja, ich bin zum Entschluss gekommen, dass Pins nicht denken. Sie nehmen unmittelbar wahr. Das Jetzt! Das haargenaue Hier und Jetzt! Unmöglich? Für uns Menschen, weil wir ein Hirn haben, das uns erst übersetzen muss, was wir wahrnehmen. Pins haben kein Hirn und keine anderen Organe. Sie sind wahrhaftige Stecknadeln, die sich selbständig bewegen.
Aber woher kommen die Bungalows und die Liegen? Da muss sich doch einer was gedacht haben! Das ist der liebe Gott, der den Pins alle möglichen Wahrnehmungen zur Verfügung stellt. Ja, genau! Unser Pin wandert nämlich weiter und kommt zu einer ähnlichen Ferienanlage, aber diesmal sind es Hotels, die bis in den Himmel ragen. Bis zum lieben Gott, der zuweilen die flachen Dächer schrubbt. Ist ihm ja sonst langweilig. Dieser liebe Gott ist also für die Pins und diesen Planeten verantwortlich. Er schaut, dass alles läuft und alle zufrieden sind. Klar sind sie zufrieden. Wer nicht denkt, ist zufrieden. Nur die Grübler sorgen sich und machen sich das Leben zur Hölle. Pins wissen nichts von der Hölle, aber auch nichts vom Himmel. Sie nehmen alles gelassen hin, wie es ist, auch wenn sie nicht wissen, wie es ist.
Der liebe Gott lässt sich vor den Pins aber nicht blicken. Kann er auch nicht, denn er ist auf eine gewisse Art unsichtbar. Nicht wahrnehmbar für Geschöpfe gewisser Ebenen. Erst in den höchsten Ebenen kann er Gestalt annehmen, wenn er das will. Die meisten Götter wollen das eh nicht. Sie bleiben am liebsten im Verborgenen. Auch in den höchsten Ebenen, weswegen dort alles so leer erscheint. So nach Nichts, als Vorbereitung für das wahre Nichts, das zugleich das wahre Alles ist.
Unser Pin staunt nicht einmal, als er die Wolkenkratzerhotels wahrnimmt. Er steuert sofort eine der prächtigen Anlagen eines Hotels an, wo um einen Pool Liegen platziert sind und einige Pins darauf „träumen“. Diesmal nimmt sich unser Pin eine eigene Liege. Diesmal will er es wissen. Quatsch! Er hat wahrscheinlich endlich das Dasein der Pins erkannt. Sie leben von diesen „Träumen“. In diesen Träumen können sie ein Hirn haben, auch wenn der erste Halbtraum unseres Pins kaum was mit Hirn zu tun hatte. Aber es muss ja langsam anfangen. Unser Pin muss langsam auf sein neues Leben vorbereitet werden. Als Mensch war er zu beschäftigt mit Denken. Aber als Pin hat er jegliche Erinnerungen verloren.
Da liegt er nun und träumt wieder von der guten, alten Erde. Auch das hat der liebe Gott so eingerichtet. Er weiß ja, dass der Planet der Pins eine Weiterentwicklung der Erde und die Pins eine Weiterentwicklung der Menschen sind. Im Gegensatz zu mir weiß er es. Aber Gott bewahre, ich bin keine Göttin oder so was in der Art, auch wenn man das meinen könnte, denn auf eine gewisse Art sind Menschen, die irgendwelche Geschichten schreiben, Götter. Sie erschaffen etwas und spielen mit ihren Protagonisten wie mit Marionetten. Deshalb zögere ich manchmal, aber ich muss nun mal bestimmend sein. Sonst wird das nichts mit der Geschichte. Also lass ich unseren Pin nun von der guten alten Erde träumen, auf der er im Traum ein kleines Mädchen ist, das gerade Urlaub bei seinen Großeltern macht. Also nein, in Wirklichkeit ist es natürlich der liebe Gott, der unseren Pin träumen lässt. Durch die Liege, die all diese Träume irgendwie gespeichert hat. Vom lieben Gott gespeichert. Irgendwie halt. Ja, genau!